Die Gemeinde Damme im südlichen Niedersachsen gilt nicht gerade als Ort, an dem richtungsweisende Entscheidungen gefällt werden. Der Karneval wird hier großgeschrieben, und nach Feierabend trifft man sich im Schützenverein auf ein Bier. Die Arbeitslosigkeit ist gering, auch weil hier einer der größten deutschen Automobil-Zulieferer, die Friedrichshafener ZF, ein Produktionswerk hat – noch.

Denn Ende 2023 soll Schluss sein. Dann streicht ZF am Standort Damme die Segel. Weil ein Mietvertrag ausläuft, gibt der Konzern den Standort auf. Gekündigt wird niemand, die Mitarbeiter sollen in andere Werke in der Umgebung wechseln. Kommt es so wie geplant, wäre das eine Art Präzedenzfall. Denn Werke aufzugeben, gehörte bislang nicht zum Repertoire ZFscher Standortpolitik.

Conti und Bosch schließen Werke, ZF sichert die deutschen Standorte bis Ende 2022

Andere sind da weniger zimperlich. Continental aus Hannover, die Nummer zwei der deutschen Autozulieferer, hat in den vergangenen Monaten angekündigt, in den kommenden Jahren mehrere deutsche Werke dicht zu machen. Zudem werden Standorte im Ausland geschlossen. Auch Branchen-Primus Bosch verkleinert sein Standort-Netz. Zuletzt wurde bekannt, dass der Stiftungskonzern die Produktion im Bietigheimer Lenk-Werk, nicht weit vom Stuttgarter Stammsitz, Ende 2021 beendet.

Konzern-Chef Wolf-Henning Scheider: Seit Anfang 2018 im Amt, kämpft er an vielen Fronten. Die Gewinne sind seit Jahren auf Talfahrt. ...
Konzern-Chef Wolf-Henning Scheider: Seit Anfang 2018 im Amt, kämpft er an vielen Fronten. Die Gewinne sind seit Jahren auf Talfahrt. 2020 steht ein Verlust in den Büchern. | Bild: Rosenberger, Walther

Bosch und Conti exerzieren derzeit vor, was in den kommenden Monaten auch bei ZF ein immer größeres Thema werden dürfte: Die Arrondierung von Produktionsstätten. „Eine Konzentration auf weniger, große Werke“, nennt der Automobilexperte Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft IfA an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU), den Trend, der fast die gesamte Branche erfasst hat. Überall stellen Automobil- Zulieferer Werke auf den Prüfstand. Taktgeber sind die Zuliefergrößen Conti und Bosch. Seit längerem hätten sie „diese unabdingbare Transformation eingeleitet“, sagt Automobil-Professor Reindl. Ein Prozess, der ZF noch bevorstehe.

„Für die deutschen Zulieferer ist eine Konzentration auf weniger, große Werke unabdingbar“, sagt Stefan Reindl, Direktor des ...
„Für die deutschen Zulieferer ist eine Konzentration auf weniger, große Werke unabdingbar“, sagt Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) | Bild: Ifa

Verglichen mit dem branchenweiten Kahlschlag nehmen sich die angekündigten Einschnitte beim Getriebebauer vom Bodensee eher verhalten aus. Zwar will auch die ZF rund zehn Prozent ihrer ehemals 150.000 Jobs streichen, die Hälfte davon im Inland. Allerdings sind betriebsbedingte Kündigungen tabu, und das Unternehmen gibt sich mit den Maßnahmen Zeit bis Ende 2025. Werkschließungen im Inland hat der Konzern – vom Umzug der Beschäftigten im niedersächsischen Damme abgesehen – bislang noch nicht durchgesetzt.

Werke ohne Zielbilder

Vielmehr trat man bei ZF erst einmal auf die Bremse. Mitte 2020 vereinbarte der Zulieferer mit Arbeitnehmern und IG Metall einen Haus-Tarifvertrag, der die Ausgangslage auf Jahre zementiert. Bis Ende 2022 gilt nun eine Beschäftigungs- sowie eine Standortsicherung bei Deutschlands drittgrößtem Zulieferer. In der Zwischenzeit sollen alle deutschen Werke „Zielbilder“ für ihre künftige Ausrichtung ausarbeiten. Erst danach – also ab dem Jahr 2023 – seien Schließungen „nicht ausgeschlossen“, wie es vom Unternehmen heißt. Und zwar genau dann, wenn es den Standorten nicht gelungen sein sollte, einen tragfähigen Weg in die Zukunft zu finden.

Konzern lässt Arbeitnehmer im Dunkel tappen

Aber ist dieser überhaupt für alle ZF-Werke vorgesehen? Die Zweifel daran wachsen. Auch Monate nach Beginn des Projekts liefen die Verhandlungen mit dem Management „sehr, sehr schleppend und unheimlich zäh“, heißt es von informierter Seite. Ziele der Konzernzentrale, an denen sich die einzelnen Standorte orientieren könnten, um eine Zukunftsperspektive überhaupt zu entwickeln, lägen im Dunkeln oder fehlten komplett.

„Jetzt endlich müssen mit den Arbeitnehmervertretern mögliche Lösungen diskutiert werden“, sagt Achim Dietrich, ...
„Jetzt endlich müssen mit den Arbeitnehmervertretern mögliche Lösungen diskutiert werden“, sagt Achim Dietrich, ZF-Gesamtbetriebsratschef | Bild: Felix Kästle

In den Belegschaften steigt daher die Unruhe. „In dem laufenden Zielbildprozess wünschen wir uns, dass an allen Standorten die langfristigen Personalplanungen transparent aufgezeigt werden“, sagt ZF-Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich. Falls künftig Produktion wegfiele, müsse „jetzt endlich“ mit den Arbeitnehmervertretern über mögliche Lösungen diskutiert werden. Nur so könnten entstehende Beschäftigungslücken „Zug um Zug mit neuen Aufgaben gefüllt werden“. Alle Standorte auszulasten und die Arbeitsplätze zu sichern, sei möglich, sagt Dietrich.

Renditen im Centbereich

So zuversichtlich sind nicht alle. Besonders für einige kleinere Niederlassungen sei die Luft schon seit langem dünn, sagt ein Konzern-Insider. Allein im Inland ist ZF laut eigener Firmen-Webseite an rund 50 Standorten präsent, teils mit mehreren Werken. Insbesondere durch die Übernahme des US-Konkurrenten TRW im Jahr 2015 ist ein wahrer Flickenteppich an Dependancen entstanden. Manche davon würden „seit vielen Jahren“ Verluste einfahren, heißt es von informierter Seite.

An den Standorten, die manchmal gerade einmal 200 Mitarbeiter aufwiesen und wo meist einfache Bauteile wie Spurstangen, Stoßdämpfer oder Lenkungselemente gebaut würden, lägen die Gewinnspannen „oft nur im Centbereich“. Regional ballten sich solche Werke um den Dümmer See in Niedersachsen, heißt es. Auch das Werk Damme, das ZF 2023 verlagern will, liegt hier. Aber auch in Baden-Württemberg oder Bayern seien künftig längst nicht alle Standorte sicher.

In Frankreich und UK werden Werke dicht gemacht

Im Ausland sind sie dies offenbar schon heute nicht mehr. Unter dem Radar der deutschen Öffentlichkeit ist die Restrukturierung hier längst eingeleitet. In Großbritannien und Frankreich stünden mehrere Werke vor der Schließung, sagt ein Insider. Konkret soll es dabei um die ZF-Niederlassung im französischen Anthony nahe Paris sowie die Standorte Cirencester und Sunderland im Vereinigten Königreich gehen. Medienberichten zufolge soll etwa das Lenker-Werk in Sunderland Ende dieses Jahres geschlossen werden. ZF äußert sich zu dem Thema derzeit nicht.

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Das Thema ist für ZF brisant, gilt die oft beschworene „ZF-Kultur“, doch nicht nur für die deutschen Standorte, sondern für alle Konzern-Beschäftigten. Den konjunkturellen Einbruch in Folge der Corona-Krise hat vor allem das Ausland zu spüren bekommen. Während die Beschäftigten hierzulande durch Kurzarbeit weitgehend abgesichert waren, wurde in China, den USA oder Mexiko Personal entlassen.

Düstere Bilanz für das Jahr 2020

Und die Spielräume werden für ZF und seine Beschäftigten stetig geringer. Wenn der Konzern am Donnerstag seine Bilanz für 2020 vorlegt, wird nach SÜDKURIER-Informationen unter dem Strich ein hoher dreistelliger Millionenverlust stehen. Die Gewinnspanne (Ebit) wird sich seit dem Rekord-Jahr 2017 auf 3,2 Prozent glatt halbiert haben. Begleitet wird dies durch eine massiv ausgedünnte Eigenkapitaldecke. Und auch beim Konzernumsatz geht es abwärts, wie die ZF bereits vor einigen Tagen angekündigt hatte.

Alles in allem werden die Rückgänge ausgeprägter ausfallen als bei wichtigen Konkurrenten, etwa dem Automobilgeschäft von Bosch. Unter den drei großen deutschen Automobilzulieferern „dürfte der Veränderungsdruck bei ZF am höchsten sein“, sagt IfA-Chef Reindl. Nach Zukunft hört sich das nicht gerade an.