Dass Biogas vor einem Comeback stehen könnte, entlockt Landwirt Stefan Russ nur ein müdes Lächeln. „Manchmal ist es realitätsfremd, was die Politik von uns will“, sagt der 39-Jährige. Die Lebensmittelproduktion und der Klimawandel würden laut ihm bereits auf dem Rücken der Landwirte ausgetragen. „Und jetzt auch noch die Gaskrise?“, fragt er.
Strom und Wärme für hunderte Haushalte
Stefan Russ ist Landwirt in Lottstetten am Hochrhein. Neben Ackerbau, Vieh- und Geflügelzucht gehört seit mehreren Jahren auch die Produktion von Biogas zu den Einnahmequellen des gleichnamigen Hofs. Rund 4400 Megawattstunden produziert die Anlage im Jahr, rechnet Russ mit seinem Smartphone vor.
„Das ist genug, um etwa 100 Häuser mit Wärme und 1000 Haushalte in der Nachbarschaft mit Strom zu versorgen.“ Theoretisch, betont er, wäre es auch möglich, bis zu 3500 Haushalte zu versorgen.
Biogas statt Putins Gas?
Biogas könnte im kommenden Winter drohende Gas-Engpässe in Deutschland abfedern. Das besagt zumindest eine Kurzstudie des Biomasseforschungszentrums Leipzig und des Wuppertal Instituts. Demnach könne der Energieträger mittelfristig drei Prozent des bundesweiten Gasbedarfs decken und bis zu 46 Prozent der momentan durch Gaskraftwerke erzeugten Stromproduktion ersetzen – selbst ohne Aufbereitung als Biomethan.
Um das zu erreichen müsse die Kapazität der Anlagen um ein Vielfaches erhöht werden, damit sie flexibel eingesetzt werden können, so die Autoren der Studie.
Biogas
Aktuell ist die Maximalproduktion häufig in den Bebauungsplänen der Anlagen gedeckelt. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll ein sogenanntes Energiesicherungspaket das aber ändern. „So soll vor allem die Biogaserzeugung ausgeweitet werden, indem etwa die vorgegebene jährliche Maximalproduktion der Anlagen ausgesetzt wird“, hieß es Mitte Juli in einer Pressemitteilung. Wann die dazugehörige Gesetzesregelung komme, wurde aber nicht genannt.
Theoretisch möglich, praktisch nicht
Mehr Biogas für mehr Haushalte? Was auf dem Papier einfach erscheint, ist in der Praxis nicht umsetzbar, betont Stefan Russ. Denn eine Erhöhung der Produktionsmenge würde eine Kette von Problemen nach sich ziehen.
Mist: Russ‘ Anlage produziert aus rund 50 Prozent Tierextrementen Energie. „Wir bräuchten bei einer Erhöhung der Leistung mehr Mist für die Anlage.“ Auch vorhandene Lagermöglichkeiten dafür würden nicht ausreichen. Dazu käme, dass Landwirte laut EEG 2009 immer 30 Prozent Mist in ihren Anlagen haben müssen, sonst werden Boni nicht gezahlt. „Einfacher macht es das nicht“, sagt Russ.
Gülle: „Wenn ich mehr Biogas produziere, dann fällt auch mehr Gülle an.“ Doch: „Es darf laut EU-Verordnung nur ein gewisses Maß an Biogasgülle auf die Flächen ausgebracht werden und nur in einem bestimmten Zeitraum.“ Bei einer höheren Produktion würde er auf der Gülle sitzen bleiben.
Verschwendung: Bei einer Erhöhung der Produktion müssten Motoren durchgängig laufen, so Russ. „Es wäre aber in den Sommermonaten eine große Verschwendung.“ Dann wird weniger Wärme aus der Anlage benötigt, der Strom werde in der Zeit vermehrt von Photovoltaik-Anlagen bezogen. „Wärme wird dagegen eher in den Wintermonaten gebraucht.“
Geld: „Das Geschäft mit dem Biogas lohnt sich nur für uns, wenn wir mehr finanzielle Sicherheit bekommen in puncto Vergütung“, sagt Russ. „Aber wenn das nur für ein halbes Jahr geht und dann kriegen wir wieder Putins Gas. Dann können wir davon nicht leben.“
Das Geschäft mit Biogas: Früher top, heute flop?
Noch vor zehn Jahren erhielten Landwirte mit einer durchschnittlichen Biogas-Anlage rund 21 Cent pro Kilowattstunde, heute liege der Preis durchschnittlich bei 16 Cent, so Andrea Horbelt, Pressesprecherin des Fachverbands Biogas. Diese Zahlen seien aber nur Referenzwerte. An der für den Gaspreis in Europa entscheidenden Energiebörse in Amsterdam kostet eine Kilowattstunde Erdgas derzeit mehr als 30 Cent.
„Preise für Strom aus Biogas werden individuell pro Anlage festgelegt“, sagt Horbelt, „je nach Größe, Jahr der Inbetriebnahme, Materialien in der Anlage oder auch unterschiedlicher Boni.“ Fest stehe allerdings, dass die Vergütung in den vergangenen Jahren abgenommen habe.
Kleine Anlagen profitieren wohl am meisten
Noch komplizierter sei es für Betreiber seit dem EEG 2017 geworden. Seitdem schreibe das Bundeswirtschaftsministerium eine bestimmte Menge von Biogas-Strom aus, auf den sich Betreiber bewerben können. „Wenn man zu den 80 Prozent der günstigsten Anbieter gehört, ist man überhaupt noch drin“, so Horbelt.
Unter dem aktuellen EEG lohne sich das Geschäft am meisten für die Betreiber kleinerer Anlagen bis zu einer Leistung von 75 Kilowattstunden sowie größeren Anlagen, die Biogas in Biomethan umwandeln und ins Stromnetz einspeisen, so die Pressesprecherin.
„Viele haben die Lust verloren“
Die ständigen Gesetzesänderungen und die sinkende Vergütung haben viele in der Branche verärgert. „Viele haben deshalb die Lust daran verloren und aufgehört“, sagt Otto Körner, Sprecher des Fachverbands Biogas in der Regionalgruppe Schwarzwald-Südbaden.

Trotz aller Hindernisse und Kostenprobleme hält der Donaueschinger Biogas grundsätzlich für eine Zukunftstechnologie. „Es ist klimafreundlich – und wenn die Sonne mal nicht scheint oder der Wind nicht weht, kann man vorhandenes Biogas in das Stromnetz zuschalten. Für die Netzstabilität ist das ein ganz entscheidender Punkt“, sagt er.
Warten auf ein Zeichen von Habeck
„Noch entscheidender ist aber, ob die Politik überhaupt Biogas haben will“, sagt er. Und da warte die Branche auf ein Zeichen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bezüglich der Veränderung der Produktionsgrenzen.

Auf SÜDKURIER-Anfrage nennt das Bundeswirtschaftsministerium keine Details zur Veränderung der Produktionsgrenzen für Biogas-Anlagen. „Ein Entwurf der entsprechenden Regelungen befindet sich gerade in der Ressortabstimmung“, sagt eine Sprecherin. „Das Gesetzgebungsverfahren soll zeitnah eingeleitet werden.“
In Lottstetten bleibt vorerst alles beim Alten
Für Landwirt Stefan Russ ändert sich vorerst nichts. „Vom Regierungspräsidium haben wir noch keine Anweisung, unsere Kapazitäten hochzufahren“, sagt er.
Und solange sich für ihn als Betreiber nicht einiges an den Rahmenbedingungen verändere, werde er nichts an der Biogas-Produktion ändern.