Für Ungeimpfte wird es im Alltag immer ungemütlicher. Am Wochenende hat der 1. FC Köln das Stadion nur noch für Geimpfte und Genesene geöffnet. Als erstes Bundesland stellt Hamburg Ladenbesitzern und Gastronomen frei, ob sie Ungeimpfte vor der Tür stehen lassen. In Baden-Württemberg wird laut über ein „Lockdown für Ungeimpfte“ nachgedacht. Was die Politik aber bisher ausblendet: Diese scharfen Regeln gelten für Zuschauer, Kunden und Gäste. Für die Menschen, die dort arbeiten, aber nicht. Am Arbeitsplatz können sich Impfverweigerer weiterhin frei bewegen.

„Arbeitgeber haben grundsätzlich kein Fragerecht bezüglich des Impfstatus“, erklärt Philipp Merkel, Referatsleiter Arbeitsrecht bei Südwestmetall, in Stuttgart. Das strenge Datenschutzrecht verhindere derzeit zudem, dass Unternehmen erfassen können, wer in den eigenen Reihen bereits geimpft ist und wer nicht – geschweige denn, dass es möglich ist, Mitarbeiter zur Impfung zu verdonnern. „Solange keine Impfpflicht besteht, kann der Arbeitgeber auch die Mitarbeiter nicht sanktionieren, wenn sie sich verweigern“, stellt Merkel klar.
Planungsschwierigkeiten für Unternehmen
Das bringe die Unternehmen in große Planungsschwierigkeiten, wenn etwa Monteure zu Kunden oder in Länder gehen sollen, die eine Impfpflicht vorschreiben. Denn fragen darf man die Beschäftigten ja nicht. „Hier ist man aktuell auf das freiwillige Mitwirken der Mitarbeiter angewiesen“, so Merkel. Im Fall des 1. FC Köln bedeutet das: Alle Fremdbetriebe müssen zusehen, wie sie geeignetes Personal finden und ins Stadion bekommen. Um das zu erleichtern lässt der Club im Gegensatz zu den Zuschauern hier auch Getestete zu. Doch auch der Verein darf seine Betreuer, Balljungen und Spieler nicht fragen, ob sie den eigenen Regeln entsprechen.
Impfverweigerer können auf die vom Grundgesetz geschützte „körperliche Unversehrtheit“ verweisen. Die Geimpften könnten das allerdings auch. Was also, wenn Geimpfte darauf bestehen, nicht mit einem Verweigerer zusammenzuarbeiten?
IG Metall fürchtet Reibereien in der Belegschaft
Der IG Metall bereitet die offene Rechtslage ebenfalls Kummer; sie schließt nicht aus, dass es in den Betrieben bald zu Reibereien kommen könnte. „Das ist nicht unwahrscheinlich, dass das passiert“, befürchtet Roman Zitzelsberger, Chef der Bezirksverwaltung in Stuttgart.

In seltener Einigkeit haben deshalb Stefan Wolf, Präsident von Gesamtmetall, und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann an die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie appelliert: „Nehmen Sie – egal wo – Impfangebote an!“ Nur wenn man eine hohe Impfrate erreiche, werde eine vierte Welle verhindert und die schnelle Rückkehr zu Normalität möglich.
„Selbstverständlich ist die Impfung eine persönliche Entscheidung. Aber es geht auch um unser gesellschaftliches Zusammenleben“, mahnen die beiden Spitzenvertreter, die sich sonst mit härtesten Bandagen bekämpfen. Auch die Betriebe werden aufgefordert, ihren Teil beizutragen und trotz der „hohen organisatorischen und finanziellen Belastungen“ entsprechende Angebote einzurichten. „Ziel muss es sein, es den Menschen so einfach wie möglich zu machen, an ihre Impfung zu kommen. Dabei gilt es, auch kreative und neue Lösungen zu finden“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Arbeitsrecht kollidiert mit Coronaregeln
„Das Arbeitsrecht und die Corona-Regeln sind in weiten Teilen nicht kompatibel. Hierüber beklagen sich zunehmend auch Mitgliedsunternehmen“, schimpft Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), in Frankfurt. Dort ist man angesichts der unklaren Lage spürbar ungehalten: „Es herrscht eine große Ungewissheit, wie mit ‚Impfmuffeln‘ umzugehen ist. Die Unternehmen sitzen zwischen den Stühlen“, klagt Brodtmann. Auf der einen Seite gäbe es keine gesetzliche Impfpflicht, auf der anderen Seite sei es datenschutzrechtlich heikel, den Impfstatus zu erfragen. Hinzu komme: Unternehmen müssen auch aus Fürsorgegesichtspunkten Infektionsrisiken gering halten.

„Viele Unternehmen haben niederschwellige Impfmöglichkeiten über Betriebsärzte angeboten. Jetzt geht es vor allem darum, Geimpfte zu schützen“; erklärt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall. Dies sei nur möglich, wenn der Impfstatus bekannt ist.
Arbeitgeber bräuchten dringend Rechtssicherheit, nicht zuletzt mit Blick auf Fragen nach dem Datenschutz von Beschäftigten. „Da besteht wohl Handlungsbedarf“, räumt Arne Braun, Sprecher der Landesregierung in Stuttgart ein. Worin die Lösung aber bestehen könnte, will er nicht spekulieren. Das Sozialministerium in Stuttgart will erreichen, dass Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen, Schulen und Polizei über ihren Impfstatus Auskunft geben müssen. Doch bisher fehlt dafür die rechtliche Grundlage.
„Jetzt ist eindeutig die Politik am Zug“, mahnt Dick. Und Arbeitsrechtsexperte Merkel betont: „Man muss durch gesetzliche Klarstellung den Unternehmen ein Fragerecht zugestehen.“. Das hätte immerhin den Vorteil, dass die Betriebe wüssten, wen sie wo einsetzen können. Doch bereits das systematische Erfassen dieser Informationen dürfte heikel bleiben, denn dem steht das Datenschutzrecht entgegen.
Auch ein Bonus ist denkbar
Skeptisch sieht Merkel auch Versuche, über externe Dienstleister alle Mitarbeiter zu kontrollieren, denn auch so ließe sich die Rechtslage nicht aushebeln. Denkbar ist aber auch, einen Bonus auszuloben und den Impfnachweis zur Voraussetzung zu machen. Dann können die Beschäftigten selbst entscheiden, ob sie sich offenbaren wollen. Allerdings muss ein solcher Bonus mit dem Betriebsrat abgestimmt werden.
„Die Arbeitgeber haben nun genug dazu beigetragen, dass die Pandemie unter Kontrolle kommt“, unterstreicht Dick. Als „Gipfel der Zumutung“ bezeichnet er Überlegungen des Bundesarbeitsministeriums, wonach Beschäftigte künftig für Corona-Impfungen freizustellen sind. Trotz des Wahlkampfs möge die Politik bedenken, dass vor allem eine funktionierende Wirtschaft die Stabilität im Land garantiere.