Und dann rauscht er an. Der Bundeskanzler. Zwei schwarze Limousinen mit Berliner Nummern und ein Kombi biegen aufs Werksgelände des Baustoffkonzerns Sto in Stühlingen im Wutachtal. Vor dem kleinen Empfangskomitee aus Firmenvorständen und der örtlichen Bundestagsabgeordneten kommt der Tross zum Stehen.

Ein Nicken hier, ein Handschlag dort und ein kleiner Fototermin für das Häufchen Journalisten, das dem mächtigsten Mann Deutschlands an den südlichsten Zipfel Baden-Württembergs, nicht einmal 500 Meter von der Schweizer Grenze entfernt, gefolgt ist. Dann entschwindet Olaf Scholz, 66, SPD, und derzeit Kanzler auf Abruf, erst einmal in die Tiefen des Farbenwerks.

75 Termine in sechs Wochen Wahlkampf

Mehr als eine Stunde wird er sich an diesem Donnerstagvormittag Zeit nehmen, um dem Mittelständler der weltweit 5800 Mitarbeiter beschäftigt, einen Besuch abzustatten. Direkt danach steht noch ein weiteres Unternehmen und einige Bürgerveranstaltungen auf dem Besuchsplan. Und am Freitag geht es munter so weiter. 75 Termine in den sechs Wochen stehen im Terminkalender des SPD-Manns. Endspurt im Wahlkampf.

Baden-Württemberg ist dabei prominent vertreten, weil hier der Mittelstand zu Hause ist. Und der hat mit Scholz in den vergangenen drei Jahren seine liebe Not gehabt.

Der Vorwurf der kleinen und mittleren Unternehmen ist, dass der Kanzler und seine Partei ihr Augenmerk zu stark auf Konzerne richtet, Milliardensubventionen für Thyssen-Krupp, Salzgitter, Northvolt oder Intel auslobt und dabei die Basis mit all den Problemen, den Vorschriften, der Bürokratie und den steigenden Energiepreisen im Regen stehen lässt.

Kleinfirmen hadern mit dem Kanzler

Übel hat man der Kanzlerpartei genommen, dass deren hochrangige Vertreter Ende Januar beim bundesweiten Wirtschaftswarntag in Berlin durch Abwesenheit glänzten. Damals machten mehrere Hundert Unternehmer unter dem Brandenburger Tor auf ihre aktuell kritische Lage aufmerksam. Ganz so wie die Bauern vor genau einem Jahr.

Besuche wie der des Kanzlers beim Dämmstoff-Weltmarktführer Sto aus Südbaden oder beim Spielwarenhersteller Tipp-Kick aus Villingen-Schwenningen direkt danach dienen auch dazu, diese Scharten auszuwetzen.

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Bei Sto zeigt sich Scholz beeindruckt, wie viel High-Tech in Baustoffen mittlerweile drinsteckt. „Toll“, sagt er, als ihm Konzernchef Rainer Hüttenberger und sein Vorstandskollege Michael Keller die neueste Innovation der Südbadener vorstellen. Eine Wandfarbe, an der Wasser aufgrund ihrer Nanostruktur komplett abperlt. Das Prinzip haben sich die Sto-Forscher im Tierreich, bei Käfern, abgeschaut.

Scholz ist wissbegierig, fragt nach, lächelt. Als Sto-Chef Hüttenberger auf charmante Weise versucht, ihm die Leviten zu lesen und auf den „zweifelhaften Nutzen“ so mancher Vorschrift und die fehlende Planungssicherheit durch das Hin-und-Her der Berliner Ampel hinweist, lehnt der Kanzler locker mit der Schulter auf einem weißen Stehtischchen und hört lächelnd zu. Ganz abperlen, wie die Allwetterfarbe von Sto, lässt er die Nadelstiche indes nicht.

Wirtschaft selbst für Bürokratie verantwortlich

In Berlin sei man sich einig, dass man es mit der Bürokratie übertrieben habe, sagt er. Dass ein Teil davon wegmüsse, habe Priorität. Er sagt aber auch: „Die Hälfte der Bürokratie im Bausektor hat nicht der Staat erfunden, sondern die Wirtschaft selbst“, etwa über DIN-Vorschriften, die von Experten aus den Unternehmen vorgeschlagen würden. Für den Kanzler, der sonst eher stoisch daherkommt, ist das schon eine Art Angriffsmodus.

Einig ist man sich dann wieder, als es darum geht, den Wohnungsbau in Deutschland anzukurbeln. Das müsse schneller gehen, sagt der Kanzler. Die gesetzlichen Grundlagen habe man angestoßen. „Das liegt jetzt alles im Bundestag, und ich bin mir sicher, es wird beschlossen.“

Serielles, also schnelles und standardisiertes Bauen, sei das „heiße Ding“, das einen Schub bei neuen Wohnungen bringen werde. Hüttenberger sagt, man brauche jetzt Sonderabschreibungen und eine Sonderförderung nach dem Vorbild des Aufbaus Ost.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim Spielen, Geschäftsführer Mathias Mieg schaut zu.
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Spielen, Geschäftsführer Mathias Mieg schaut zu. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Der Kanzler kickt

Im Vergleich zu Sto ist der Besuch bei Tipp-Kick in Schwenningen der reinste Spaßtermin. Nicht nur, weil Scholz eine extra erstellte Spielfigur vermacht bekommt, die speziell für ihn in Kleinserie gefertigt wurde: Rotes Trikot, hintendrauf die Nummer eins und sein Name.

Der sei „für harte Schüsse und tolle Treffer“ im Wahlkampfendspurt, sagen die Geschäftsführer Mathias und Jochen Mieg, die beide nicht verraten wollen, bei wem sie ihr Kreuzchen machen. Scholz kann man die Freude an seinem verschmitzten Lächeln ansehen.

Zwar nicht als Wachsfigur verewigt, aber immerhin als Tipp-Kicker: Olaf Scholz bekommt bei Tipp-Kick seine eigene Figur – die Nummer ...
Zwar nicht als Wachsfigur verewigt, aber immerhin als Tipp-Kicker: Olaf Scholz bekommt bei Tipp-Kick seine eigene Figur – die Nummer eins, mit Scholz-Schriftzug. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Die Miegs haben für ihn eine Art Werkbank aufgebaut, an der die Fertigungsschritte der kleinen Spielfiguren nachvollzogen werden. Gegossen werden die Zinkrohlinge mittlerweile in Fernost, in Schwenningen wird nur noch montiert und von Hand bemalt.

Scholz darf dabei helfen, den roten Kopf auf die Figur zu pressen, mit dem getippt wird. Das Malen erlässt man Scholz, das übernimmt Mitarbeiterin Bianca Vorlop, die den Kanzler, der höflich alle Hände schüttelt und interessiert nachfragt, „sympathisch“ findet. Zum Malen aber brauche man Routine, da lasse sie auch sonst niemand ran, sagt sie und schmunzelt.

Fürs Ladensterben kann die Berliner Politik nichts

Tipp-Kick ist im Vergleich zu Sto winzig. Zehn Mitarbeiter beschäftigt man, dazu zwei Handvoll Heimarbeiterinnen. Der Mittelstand ist vielfältig. Sorgen gibt es auch hier: Die Miegs berichten dem Kanzler von der kürzlich besuchten Spielwarenmesse, auf der die Geschäfte schlecht liefen, weil es immer weniger Fachhändler gibt.

Mittlerweile macht Tipp-Kick 70 Prozent seiner Umsätze im Internet. Der kleine Schwenninger Mittelständler ist von internationalen Lieferketten genauso betroffen wie die ganz Großen. „Entsprechend der weltpolitischen Lage stockt die Logistik“, erzählt Mathias Mieg.

„Also mir gefällt‘s hier“

Dem Kanzler ein Anliegen auf den Weg geben wollen die Miegs nicht. „Am Ladensterben in den Innenstädten kann die Bundesregierung auch nichts ändern“, sagt Jochen Mieg. Man holt Scholz und die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur, die den Kanzler nach Villingen-Schwenningen gelockt hat, lieber an den Spieltisch.

Scholz, der als Kind Tipp-Kick gespielt hat, fehlt offenbar die Übung. Das einzige Tor schießt Türk-Nachbaur. Scholz bekommt ein Spieleset geschenkt. „Also mir gefällt‘s hier“, sagt er. Dableiben kann er aber nicht – es warten weitere Wahlkampftermine im Enzkreis und in Esslingen.