Das Versprechen ist vollmundig: Nicht weniger als die „größte Sozialreform seit 20 Jahren“ kündigt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an. Das Bürgergeld soll ab 1. Januar Hartz IV ablösen. Noch werden viele Punkte des Gesetzesentwurfs nicht nur diskutiert, sondern auch kritisiert. Es gibt bereits zahlreiche Änderungsanträge, diese Woche diskutiert der Bundesrat darüber. Was das Bürgergeld konkret bringt, steht also noch nicht fest.
Und trotzdem bekommt Klaus Lauenroth die Frage danach in der Beratungsstelle des Arbeitslosenzentrums der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Singen häufiger gestellt. Die Antwort, sagt der 63-Jährige, sei für viele ernüchternd: „Wer jetzt schon im Bezug ist, für den ändert sich außer der Höhe der Leistung kaum etwas.“

502 Euro soll das Bürgergeld betragen, der derzeitige Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende liegt bei 449 Euro. Die Erhöhung orientiert sich an der aktuellen Inflation, soll existenzsichernd wirken – und fällt laut Lauenroth trotzdem zu gering aus.
Bürgergeld reicht nicht zum Leben
Der Awo-Berater erzählt von den vielen neuen Kunden bei der Singener Tafel und von den Abrechnungen mit den „ganz dicken Nachzahlungen“, die Grundversorger Thüga demnächst herausschicken wird. Die rund 50 Euro mehr im Monat mit dem Bürgergeld seien ein Schritt in die richtige Richtung, könnten aber gerade die enormen Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie nicht auffangen und damit viele Probleme nicht ändern. Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müsste der Regelsatz aktuell bei 678 Euro liegen, um das Existenzminimum abzusichern.
Für Arbeitslose, die ab Januar erstmals Bürgergeld beantragen, könnten sich hingegen deutlichere Änderungen ergeben: Innerhalb der ersten zwei Jahre soll der Staat sowohl die Heizkosten als auch die Miete oder Raten fürs Eigenheim voll übernehmen.
Auch das sogenannte Schonvermögen, also die Obergrenzen für Vermögen oder Immobilienbesitz, sollen steigen. Innerhalb der ersten sechs Monate soll für Bürgergeldempfänger zudem eine Vertrauenszeit gelten, in der sie anders als im Hartz-IV-System für Versäumnisse nicht mit Sanktionen bestraft werden können.
Streit über Sanktionen und Schonvermögen
Die Idee hinter all diesen Vorschlägen: Die Arbeitslosen sollen sich in der ersten Zeit voll auf die Jobsuche konzentrieren können. In den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs findet laut Angeben des Arbeitsministeriums jeder Zweite wieder Arbeit.
Dabei wird gerade um diese Punkte aus dem Entwurf besonders gestritten: So fordert die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut in einem Positionspapier weniger Lockerungen, dafür schärfere Sanktionen für „Dauerverweigerer“. Der Bundesrechnungshof warnte jüngst vor Ungerechtigkeiten und skizzierte das Bild eines Ehepaares mit zwei Kindern, das trotz 150.000 Euro im Portemonnaie und auf dem Konto, zwei Autos und Eigenheim noch Bürgergeld erhalte.
„Es ist einfach draufzuschlagen, hat aber mit der Realität nichts zu tun“, sagt Klaus Lauenroth. Seiner Erfahrung nach hätten die wenigsten Arbeitslosen ein derart dickes Polster, im Gegenteil. Gleichzeitig wollten die meisten, die vermittelbar sind, auch arbeiten – ganz ohne Strafandrohungen. Die Diskussion über Sanktionen? Laut Lauenroth ein Sturm im Wasserglas.
Denn tatsächlich verhängen die Jobcenter sie kaum, auch im Landkreis Konstanz wird ein Großteil der Arbeitslosen nie sanktioniert: Zwei Prozent der Leistungsbeziehenden waren laut Auskunft des Landratsamts vor dem 1. Juli von den Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen betroffen, seitdem gilt das auf ein Jahr befristete Sanktionsmoratorium, mit dem Sanktionen prinzipiell ausgesetzt werden.

Für die Jobcentern hingegen sei vor allem Zeitplan eine große Herausforderung, sagt die Sprecherin des Landratsamts Marlene Pellhammer. Mit der Einführung des Bürgergelds zum Jahreswechsel stiegen für die Mitarbeiter die Anforderungen an Beratung, Vermittlung und Qualifizierung – in einer ohnehin schon angespannten Lage. Wenn das Bürgergeld kommt, sei zunächst damit zu rechnen, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten sich insgesamt vergrößert. Immerhin: Die Verfahren würden erleichtert, wenn Prüfungen von Einkommen, Vermögen und Unterkunftskosten wegfielen.
An einem Punkt des Gesetzesentwurfs gibt es bislang wenig zu meckern: Die Qualifizierung soll verbessert werden, es gilt der Grundsatz „Ausbildung vor Aushilfsjob“. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen in Deutschland haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, gleichzeitig mangelt es vor allem an Fachkräften.
Wer seinen Abschluss nachholt oder an Weiterbildungsmaßnahmen teilnimmt, wird mit Zuschüssen zum Bürgergeld belohnt. Die Menschen sollen nicht schnell, sondern vor allem langfristig vermittelt werden. Ein guter Ansatz, findet auch Klaus Lauenroth: „Die meisten sind froh, wenn sie auf die Leistungen nicht mehr angewiesen sind.“