Herr Lee, wer in Deutschland Vollzeit arbeitet, macht das in der Regel verteilt auf fünf Arbeitstage die Woche. Warum eigentlich?

Die Fünf-Tage-Woche wurde in den 1920er Jahren unter anderem beim Autohersteller Ford in den USA eingeführt und ist dann nach Europa geschwappt. Davor waren sechs Arbeitstage ganz normal, bei oft 50 Wochenstunden und mehr. Aber dann gab es so große Produktivitätssprünge, etwa durch Fließbandarbeit, dass die Firmen ihren Mitarbeitern mehr Freizeit zugestehen konnten.

Henry Ford hat als Arbeitgeber zudem gesehen, dass man auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter Rücksicht nehmen muss, dass es weniger Fluktuation unter den Beschäftigten gibt und mehr Fachkräfte verfügbar sind, wenn sie weniger arbeiten müssen.

Eine aktuelle Studie aus England legt nahe, dass die Produktivität von Firmen nicht leidet, wenn die Mitarbeiter nur noch an vier Tagen die Woche arbeiten.

Vom wissenschaftlichen Vorgehen her muss man diese Studie kritisch betrachten. Um die Produktivität bei den teilnehmenden Betrieben in diesem Vier-Tage-Versuch zu messen, wurde beispielsweise nur der Umsatz von zwei Monaten verglichen – vor dem Versuch und danach. Das sind Momentaufnahmen, die auch ganz andere Gründe haben können, etwa saisonale Effekte oder die Inflation. Und was ist mit der Motivation der Mitarbeiter? Bleibt diese wirklich dauerhaft so hoch, dass an den vier Arbeitstagen das geleistet wird, was zuvor an fünf geleistet wurde?

Der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee wurde 1971 in Manchester geboren. Von 2001 bis 2009 lebte er in der Schweiz und war unter ...
Der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee wurde 1971 in Manchester geboren. Von 2001 bis 2009 lebte er in der Schweiz und war unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Basel. Seit 2009 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe. | Bild: FOTO-FABRY.DE

Warum, die Anreize sind doch groß: Mehr Freizeit bei gleichem Gehalt?

Ja schon. Aber jeder von uns kennt doch diese Anfangs-Euphorie, wie man sie beispielsweise an den ersten Arbeitstagen nach dem Urlaub auch hat oder als Homeoffice noch etwas Neues war. Aber irgendwann flacht das ab, und was ist dann? Bin ich dann immer noch bereit, auf Kaffeepausen und das Schwätzchen mit den Kollegen zu verzichten, eine kürzere Mittagspause zu machen, ständig Vollgas zu arbeiten, damit ich mein Pensum schaffe?

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Die Firmen aus der England-Studie haben aber auch Meetings gestrichen und die Arbeitsabläufe effizienter gemacht, bevor ein Arbeitstag gestrichen wurde.

Natürlich ist es sinnvoll, Arbeitsabläufe zu überdenken und zu optimieren. Aber immer nur auf Effizienzsteigerung und Gewinnmaximierung zu setzen, das funktioniert nicht in jeder Branche. Wie soll ein Lehrer seine Produktivität um 20 Prozent steigern? Sollen die Schüler dann auch 20 Prozent schneller lernen? Oder ein Altenpfleger 20 Prozent schneller pflegen? In diesen Branchen würde eine Vier-Tage-Woche nur funktionieren, wenn man gleichzeitig mehr Mitarbeiter einstellen würde, aber da fehlen die Fachkräfte ja heute schon.

In anderen Branchen ist gerade der Fachkräftemangel das zentrale Argument für die Vier-Tage-Woche, weil sie Arbeitgeber attraktiver macht.

Wenn man bei vollem Gehalt vier statt fünf Tage arbeitet, ist das nichts anderes als eine versteckte Lohnerhöhung. Und höhere Löhne waren schon immer ein Hebel, um Fachkräfte zu finden. Es gibt ja auch in Baden-Württemberg einzelne Betriebe, die mit der Vier-Tage-Woche experimentieren, im Handwerk beispielsweise. Wenn man offene Stellen dadurch besetzt bekommt, ist das sicherlich ein Weg. Zumal der Fachkräftemangel sich zuspitzen wird und man der jungen Generation ja nachsagt, sehr auf ihre work-life-balance zu achten. Aber man sollte die Produktivität nicht aus den Augen verlieren.

Im Handwerk werden 4-Tage-Arbeitszeitmodelle schon ausprobiert. Oft klappt es.
Im Handwerk werden 4-Tage-Arbeitszeitmodelle schon ausprobiert. Oft klappt es. | Bild: Adobe Stock

Warum?

Wenn in den übrig bleibenden Arbeitsstunden weniger geleistet wird als früher, müssen die Firmen zum Beispiel ihre Preise erhöhen, um die Umsätze zu halten. Das macht am Ende das Leben für alle teurer und wir müssen die gewonnene Freizeit mit Wohlstandsverlusten bezahlen. Deshalb raten die meisten Experten ja auch: Erst braucht es Produktivitätssprünge wie durch die Fließbandarbeit, Computer, das Internet oder bald vielleicht die künstliche Intelligenz. Und dann kann man die Arbeitszeit verkürzen.

Für die Vier-Tage-Woche gibt es aber ganz unterschiedliche Modelle. Manchmal bleibt die Arbeitszeit gleich und wird eben an vier Tagen geleistet.

Das mag für manche Mitarbeiter gut funktionieren, ich denke da beispielsweise an die jungen, ohne Familie. Was aber hätten Eltern davon, wenn die Kinder weiterhin um 12 Uhr mittags nach Hause kommen, sie aber in ihrem Teilzeitjob künftig sechs statt vier Stunden täglich arbeiten müssten? Oder in Vollzeit abends erst nach zehn Arbeitsstunden nach Hause kämen? Für die Vereinbarkeit wäre das nicht förderlich.

Wenn Vier-Tage-Woche, dann also nur mit reduzierter Arbeitszeit?

Auch das allein reicht nicht, dadurch verdichtet sich die Arbeitsbelastung meist nur. In Frankreich wurde im Jahr 2000 die Wochenarbeitszeit von 39 Stunden auf 35 Stunden verringert. Die meisten Franzosen sagen heute: sie haben dadurch an Lebensqualität gewonnen. Zwei Drittel sagen aber auch: Während der Arbeitszeit hat der Stress deutlich zugenommen, weil die Unternehmen verlangen, dass in 35 Stunden das gleiche geleistet wird wie früher in 39 Stunden. Wer die Arbeitszeit auf vier Tage verringert, muss auch die Arbeitsanforderungen anpassen, damit es zu wirklichen Verbesserungen kommt.

Büroarbeit ist etwas anderes als in der Fabrik ranklotzen. Flexibles arbeiten ist auch hier möglich.
Büroarbeit ist etwas anderes als in der Fabrik ranklotzen. Flexibles arbeiten ist auch hier möglich. | Bild: Robert Schlesinger, dpa

Die Vier-Tage-Woche bleibt also in nächster Zeit ein schöner Traum?

Flächendeckend über alle Branchen und nach einem Modell mit 32 Wochenstunden vermutlich schon. Für einzelne Branchen aber kann sie durchaus funktionieren. Und in anderen kann man darüber nachdenken, die Regelarbeitszeit von 40 Stunden auf beispielsweise 37 Stunden zu senken. Ob das dann verteilt auf vier oder fünf Tage passiert, können auch die Mitarbeiter entscheiden. Das machen ja viele Unternehmen heute schon. Wir werden künftig noch mehr verschiedene und vor allem flexible Arbeitszeitmodelle brauchen.

Und was ist mit den Experten, die sagen: In Deutschland muss künftig nicht weniger, sondern mehr gearbeitet werden, um den Fachkräftemangel aufzufangen?

Dazu muss man sehen: Schon heute wird in Deutschland durchschnittlich ja nicht an 40 Stunden in der Woche gearbeitet. Das trifft auf die Vollzeitbeschäftigten zu, Teilzeitarbeitskräfte arbeiten im Durchschnitt nur 21 Stunden. Nimmt man das zusammen, scheinen 30 Wochenstunden die Zeit zu sein, die Familien gerade noch mit Kinderbetreuung und Haushalt vereinbaren können. Bislang verzichten die Arbeitnehmer durch einen Teilzeitjob also mehr oder weniger freiwillig auf Lohn, um alles organisiert zu bekommen. Wie will man da mehr Arbeitszeit durchsetzen?