Die Wirtschaft im Südwesten mahnt die Parteien nach der Bundestagswahl zu einer zügigen Regierungsbildung und entschlossenem Handeln in Zukunftsfragen. „Eine monatelange Lähmung der Politik in Berlin können wir uns nicht leisten. Dafür sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen viel zu groß“, sagten die beiden Hauptgeschäftsführer des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg Wolfgang Wolf und Peer-Michael Dick.

Peer-Michael Dick, Co-Hauptgeschäftsführer des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg will Tempo bei der Regierungsbildung.
Peer-Michael Dick, Co-Hauptgeschäftsführer des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg will Tempo bei der Regierungsbildung. | Bild: KD BUSCH

Gleichzeitig warnten sie vor zu ambitionierten Zielen in der Klimapolitik. Die Unternehmen leisteten mit ihren hohen Forschungs- und Entwicklungsetats einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduzierung, sagte Wolf. „Auf dem Weg zur Klimaneutralität brauchen die Firmen aber technologieoffene und realistische Rahmenbedingungen. Die Koalitionsverhandlungen dürften hier nicht zu einem Überbietungswettbewerb führen. Eine neue Regierung werde mit fundamentalen Fragen konfrontiert sein, beispielsweise wie die klimapolitischen Ziele mit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Standorts unter einen Hut gebracht werden könnten.

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Wer die weltweit schärfsten Klimaziele anpeile, solle die Unternehmen mit den weltweit besten Standortbedingungen zur Umsetzung befähigen, sagte ein Sprecher des Friedrichshafener Autozulieferer ZF. „Wir benötigen bessere Standortfaktoren und ein klares Bekenntnis zu zukunftsweisenden Schlüsseltechnologien, von künstlicher Intelligenz über Halbleiter bis hin zur Windkraft und neuen Mobilitätskonzepten.“ Nötig sei nun eine „zügige Regierungsbildung“.

Werner Rottler, Präsident der HWK Konstanz, fordert „rasche Koalitionsverhandlungen“, um Zukunftsthemen wie die Energiewende ...
Werner Rottler, Präsident der HWK Konstanz, fordert „rasche Koalitionsverhandlungen“, um Zukunftsthemen wie die Energiewende angehen zu können. | Bild: Hanser

Werner Rottler, Präsident der Handwerkskammer Konstanz, sagte, das Handwerk wünsche sich „rasche Koalitionsverhandlungen, bei denen nicht Personen und Ämter, sondern Inhalte im Mittelpunkt stehen“. Die Aufgaben reichten vom bezahlbaren Ausbau der erneuerbaren Energien und digitaler Netze über mehr Investitionen in die Bildung bis hin zu deutlichen Entlastungen für kleine und mittelständische Unternehmen.

Nicht im „Bummelzug“ zur neuen Regierung

Ähnlich hört es sich beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft an. Dessen Bundesgeschäftsführer Markus Jerger sagte, der Wirtschaftsstandort Deutschland vertrage angesichts schlechter Wirtschaftsdaten nicht noch einmal „Koalitionsverhandlungen im Bummelzugtempo“. Die Lösung aller Probleme und die Bewältigung aller Aufgaben gelingt besser aus einer Position wirtschaftlicher Stärke“, ergänzte der Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, Claudius Marx.

Nicht warten, sondern machen: Probleme werden besser aus einer Position wirtschaftlicher Stärke gelöst, sagt der Konstanzer ...
Nicht warten, sondern machen: Probleme werden besser aus einer Position wirtschaftlicher Stärke gelöst, sagt der Konstanzer IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx. | Bild: Julian Stratenschulte

Modernisierung im Fokus

2017 hatten sich die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl über Monate hingezogen. Wichtige Projekte blieben liegen. Aktuell trüben sich die Konjunkturaussichten für Deutschland wieder ein. Mitte vergangener Woche hatte das Münchner Ifo-Institut seine Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft deutlich gesenkt. Derzeit gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr nur um 2,5 Prozent zulegen wird – ein Minus von 0,8 Prozentpunkten. Begründet wurden die pessimistischen Aussichten mit den anhaltenden Lieferengpässen. Zwar sind Auftragsbücher vieler Firmen voll, Aufträge können aber wegen Materialmangel nicht abgearbeitet werden.

Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, spricht für Schlüsselindustrien wie Autozulieferer, Maschinenbau und die ...
Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, spricht für Schlüsselindustrien wie Autozulieferer, Maschinenbau und die Medizintechnik. | Bild: Beck

„Unabhängig davon, wie die kommende Koalition aussehen wird, benötigen unsere mittelständischen Unternehmen Planungssicherheit für die kommenden Jahre sowie Entlastungen bei Bürokratie, Steuern und Abgaben“, sagte Birgit Hakenjos, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg. Bildung, Infrastruktur, Transformation und ein nachhaltiges Pandemiemanagement müssten die Schwerpunkte einer neuen Regierung sein.

Fähige Azubis für Medizintechnik und Zulieferbetriebe

Man brauche zudem ausbildungsreife Schulabgänger ohne Lernrückstände. „Für unsere regionalen Unternehmen herausragend wichtig ist eine gelungene Transformation in der Automobilindustrie, eine Regulierung mit Augenmaß in der Medizintechnik und eine Stärkung von Handel und Gastronomie zur Belebung der Innenstädte“, sagte die Unternehmerin.

Thomas Burger, Präsident des Freiburger Industrieverbands WVIB Schwarzwald AG, will ein Steuersystem, das den Belangen des Mittelstands ...
Thomas Burger, Präsident des Freiburger Industrieverbands WVIB Schwarzwald AG, will ein Steuersystem, das den Belangen des Mittelstands gerecht wird. | Bild: WVIB

Eine umfassende „Modernisierung“ der Wirtschaft müsse Kernthema einer neuen Regierung sein, sagte auch Thomas Burger, Präsident des Schwarzwälder Industrieverbands WVIB. Deutschland habe gegen den Status Quo und für Reformen gewählt. Unter anderem müsse das Steuersystem wettbewerbsfähig gemacht werden, sagte Burger.

Harald Marquardt, Geschäftsführender Gesellschafter des Autozulieferers Marquardt aus Rietheim-Weilheim (Kreis Tuttlingen), macht aus ...
Harald Marquardt, Geschäftsführender Gesellschafter des Autozulieferers Marquardt aus Rietheim-Weilheim (Kreis Tuttlingen), macht aus seiner Präferenz für eine Jamaika-Koalition keinen Hehl. | Bild: Marquardt GmbH

Eine klare Absage an eine mögliche SPD-geführte Bundesregierung erteilte der Chef des Rietheimer Autozulieferers Marquardt.

Chef von Marquardt für Jamaika-Koalition

„Unsere klimapolitischen Ziele, die erfolgreiche Transformation der Industrie und den Erhalt gut bezahlter Arbeitsplätzen werden wir nicht mit noch mehr Steuerabgaben und Umverteilung erreichen“, sagte Harald Marquardt. Unerlässlich seien Bürokratieabbau, eine effiziente digitale Verwaltung, mehr Investitionen in Bildung und eine verringerte Abgabenlast. „Das traue ich am ehesten einer Jamaika-Koalition zu“, sagte er.