Deutschland ist ein Land, das den Sport hochhält. Wir wollen ja immer Weltmeister sein! Und damit die Bürger dafür gut vorbereitet und gestählt sind, werden ihnen Härteprüfungen auferlegt. Wenn man die unbeschadet an Geist und Körper überlebt hat, kann man sich gratulieren.

Zum Sample dieser Trainingseinheiten gehören Oktoberfeste, Innenstadtflohmärkte, verkaufsoffene Sonntage und – ja genau! – Weihnachtsmärkte. Sie sind eine junge Erfindung, aber das sagt nichts über ihren Grad an Humanität und Menschenfreundlichkeit. Hinter dem schönen Schein versteckt sich das nackte Grauen. Wer ihm zum Opfer fällt, kann – wenn er diesen Text gelesen hat – hinterher nicht behaupten, er habe es nicht gewusst.

Engelchen mit dicken Backen

Wenn ich mich recht erinnere, gab es in meiner Kindheit keine Weihnachtsmärkte. Es vermisste sie auch keiner. Irgendwann baumelte die Adventsbeleuchtung über den Straßen und gut war‘s.

Die vorchristfestliche Welt war schön und geordnet. Man hörte, in Nürnberg – einer weltberühmten Hochburg der deutschen Heimeligkeit – gebe es einen „Christkindelmarkt“. Aber da dachte man an rosige Engelchen mit dicken Backen, Lichterpyramiden aus dem Erzgebirge (damals DDR) und Posaunenbläsern auf hohen Kirchtürmen.

 

Riesenrad und Achterbahn

Heute wünsche ich mich ganz da oben hin und in Sicherheit, wenn ich versuche, mich durch die festgefügte Menschenmasse eines Weihnachtsmarkts zu quetschen. Wenn man Pech hat, wurde man auf eine Art Adventsrummelplatz verschlagen, auf dem sich ein Riesenrad dreht, ein dämliches Kinderkarussell dödelt oder sogar eine Achterbahn kreist, wie im heidnischen Berlin.

Pseudo-alpiner Hüttenzauber

In Stuttgart, dessen Weihnachtsmarkt ich mir vor Jahren mal angetan habe, um meine Fitness zu testen, schiebt man sich durch ein Labyrinth von Fichtenholzbuden und pseudo-alpinem Hüttenzauber, in dem man um das Prädikat „Süßlichster Weihnachskitsch der Saison“ konkurriert.

Eine starke Sonnenbrille würde vor den übelsten Auswirkungen dieses Lichter-und-Sternchen-Bombardements helfen, doch den Gerüchen, die aus den Kulissen quellen, bin ich schutzlos ausgeliefert: Überall köchelt, dampft, gart, spritzt und kokelt irgendwas.

Hier sieden Massen von glitschigen Schupfnudeln unter Bergen von Kraut, dort werden gnadenlos Würste gewendet bis sie platzen; Waffelteig klatscht in die Eisen, und verfrorene Esser stopfen sich Pizzastücke in die geröteten Backentaschen. Links hat der Geröstetemandelnverkäufer seinen Angriff auf meine Geruchsnerven gestartet.

Überall Zipfelmützen

Rechts taucht die XXL-Schöpfkelle in die XXL-Glühweinkessel mit ohne Alkohol, mit Alkohol und mit viel Alkohol. Verkäuferinnen unter roten Zipfelmützen sagen die gesalzenen Glaspfandpreise an, die einen auch ohne Alkohol zurücktaumeln lassen. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich diese ausgeleierte Zimtstangenromantik eisern schönzutrinken und sich unverdrossen die überteuerten Fischknusperle mit Mayo reinzuschieben.

Drachen und Bogenschützen

Es geschehen also furchtbare Dinge im Land. Und keiner merkt es. Aber was bei uns im Badischen veranstaltet wird, ist der reine Kindergarten im Vergleich zu den Darbietungen, mit denen die Besucher des Weihnachtsmarkts von St. Wendel im merkwürdigen Saarland gefoltert werden. Hier treten – so die Reklame – „Drachen, Possenreißer und tanzende Feuermenschen“ auf den Plan. Speerwerfen und Bogenschießen sind möglich. Wie gesagt: Der Deutsche liebt die Härteprüfung. Also auf nach St. Wendel!

 

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