Der Feind ist die Uhr: Kurz vor Schulbeginn bricht das Chaos in der eigentlich ruhigen Seitenstraße aus. Schwere Familienkutschen, die Mama hinterm Steuer, rollen über den Zebrastreifen, kommen schließlich auf einem Gehweg zum Stehen. Von den Rückbänken purzeln müde Kinder mit Schulranzen und trotten Richtung Schultor. Mama oder auch mal der Papa drücken da schon wieder aufs Gaspedal, sofern ihnen die Autos anderer Eltern Platz dafür lassen. Solche Szenen sind ein Grund, warum sich Polizei, Lehrer und Verkehrsexperten an vielen Orten für ein Umdenken aussprechen.
Zum Zu-Fuß-zur-Schule-Tag an diesem Donnerstag, 22. September, weisen unter anderem das Deutsche Kinderhilfswerk und der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) auf die Probleme hin, die gerade in Städten mit Elterntaxis einhergehen. Aktionswochen bis Ende September sollen Tausende Schüler zur mehr Bewegung animieren. Zwar mag für Eltern der Schutz ihrer Kinder vor Regen, möglichen Verkehrsgefahren oder Belästigungen vorrangig erscheinen. Gegen das Elterntaxi aber spricht vieles.
Jörg Becker vom ADAC Berlin-Brandenburg ist nicht allein mit der Befürchtung, dass es chauffierten Kindern an Bewegung, sozialen Kontakten und später an Konzentrationsfähigkeit in der Schule mangele. „Die Kinder verpassen es, vielleicht in Begleitung eines Erwachsenen ein sicheres Verhalten im Verkehr einzuüben“, sagt Becker. Zumal der Sicherheitsgedanke trügerisch ist: 6- bis 9-Jährige verunglückten am häufigsten als Mitfahrer im Auto und seltener als Fußgänger, betont Becker.
In Berlin sei die Zahl der Unfälle mit Kindern in den vergangenen Jahren eher rückläufig, betont Andreas Tschisch, der bei der dortigen Polizei den Fachstab Verkehr leitet. Allerdings würden etwa zwei Drittel davon von Kindern verursacht – sie gefährden sich selbst. Heutzutage beobachte die Polizei bei Kindern ein unselbstständigeres Verhalten im Verkehr und zunehmende motorische Probleme. „Viele Grundschulkinder sind gar nicht mehr in der Lage, ein Fahrrad zu bewegen“, sagte Tschisch. Der Aktionstag sei daher eine vernünftige Angelegenheit.
Weil viele Eltern so verunsichert sind, gibt es inzwischen einen großen Markt an möglichen Hilfsmitteln. Die Rede ist nicht nur von orangefarbenen Mützchen oder gelben und orangen Warnwesten, sondern von Apps oder Tracking-Uhren. Diverse Anbieter haben Produkte auf den Markt gebracht, mit denen auch Schulkinder zum Beispiel via GPS-Signal auf dem Bildschirm verfolgt werden können.
„Kinder bekommen dadurch mehr Freiheiten und ihre Eltern können trotzdem beruhigt sein“, erklärt Tim Hautkappe die von ihm mitbegründete App KommGutHeim. 50 Prozent der mehr als 60 000 Nutzer seien Eltern und Kinder. Neuestes Element der App ist ein Notfallknopf, den man im Fall einer Gefahr drücken kann. Damit würden sekundenschnell zum Beispiel die Eltern alarmiert, so Hautkappe.

Warnung per App
Manche Initiativen, etwa in Baden-Württemberg, zielen darauf ab, dass Schüler auf Internetplattformen gefährliche Stellen auf ihrem Schulweg melden – und die Kommunen diese beheben. Andere Apps gehen noch weiter und führen Daten von Schulkindern und Autofahrern zusammen: Das Programm Schutzranzen lässt im Auto ein Warnsignal ertönen, wenn sich ein Kind nähert, das die App ebenfalls nutzt. Praktisch ist da vor allem, wenn ein Kind nicht sichtbar hinter einem Auto steht. Auch Grundschulen sind eingespeichert, sodass Fahrer gewarnt werden, wenn sie in die Nähe kommen.
Verkehrsexperte Becker ist skeptisch. „Technik kann nicht die Eigeninitiative ersetzen“, betont er. Manche Produkte könnten im Einzelfall eine Hilfe sein: „Aber man darf Kinder auch nicht mit Technik überfordern, sodass sie zusätzlich abgelenkt sind.“ Viele Experten sprechen sich für Elternhaltestellen in der Nähe von Schulen aus, eingebettet in Programme zur Verkehrserziehung. Bislang gibt es solche Haltezonen vereinzelt, mit eigenen Verkehrsschildern – mehrere etwa in Brandenburg.
Auch Andreas Tschisch von der Berliner Polizei will Eltern das Fahren nicht gänzlich madig machen: Oft reiche es schon, wenn sie in 300 bis 400 Meter Entfernung zur Schule hielten. Das Begleitung bis zur Tür führe aber dazu, dass Kinder „ein Stück weit unmündig“ gemacht würden für den Straßenverkehr, warnt er.
Zu Fuß zur Schule
Viele Kinder werden von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule gebracht. Der internationale Aktionstag „Zu Fuß zur Schule“ will das ändern. Der Verkehrsclub Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk rufen Jungen und Mädchen dazu auf, zu Fuß, mit dem Rad oder dem Roller zur Schule zu kommen. Zahlreiche Schulen und auch Kitas nehmen an den Aktionstagen teil, die noch bis zum 30. September andauern. Die Veranstalter betonen, wie wichtig Bewegung für die Gesundheit der Kinder ist. Außerdem sollen die Kleinen lernen, sich selbstständig im Verkehr zu bewegen. (dpa)