Bisher gibt es keine durchschlagende Medikamenten-Waffe im Kampf gegen eine schwere Corona-Erkrankung. Deshalb hat in dieser Woche eine Meldung für Aufsehen gesorgt: Ein Asthma-Spray gilt – aufgrund einer aktuellen Studie der englischen Universität Oxford – neuerdings als große Hoffnung in der Covid-19-Therapie. Es soll schwere Verläufe der Erkrankung und insgesamt ihre Dauer deutlich verkürzen können.
90 Prozent weniger schwere Covid-Erkrankungen
Karl Lauterbach ist nicht gerade bekannt für tröstliche oder gar ermutigende Äußerungen zur Corona-Epidemie. Doch die Oxford-Studie, die soeben in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen ist, bringt den SPD-Gesundheitsexperten ins Schwärmen. Denn darin wird einem Asthma-Spray mit dem Wirkstoff Budenosid bescheinigt, 90 Prozent aller schweren Covid-19-Erkrankungen verhindern zu können.
Das sei, so Lauterbach in einer Einschätzung im Nachrichten-Netzwerk Twitter, ein „Game-Changer“ im Umgang mit der Pandemie. Mit „Game-Changer“ sind normalerweise Firmen genannt, die durch eine hoch innovative Erfindung auf dem Markt plötzlich völlig neue Regeln setzen und Bedingungen radikal ändern.

Lauterbach äußert sich entsprechend ungewohnt euphorisch: „Ich kenne einige Ärzte, die bereits diese Strategie verfolgen“, schreibt er zur Inhalierung von Budesonid bei Corona-Erkrankungen. „Ich würde dies als Hausarzt auf Grundlage der vorliegenden Daten, ohne Kontraindikation, auch tun.“ Er würde also auch die ansonsten gegebene Vorsicht diesmal außer acht lassen.
Hoffnungsvolle Meldungen aus anderen Ländern
Budenosid gehört zur Arzneigruppe der Kortikoide, die aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wirkung schon länger als Therapieoption gegen Covid-19 untersucht werden. Ausgangspunkt dieser Bemühungen sind Berichte aus China, Italien und den USA, wonach Patienten mit Asthma oder Chronisch Obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) seltener an einem schweren Corona-Verlauf erkrankten. Und das, so die Vermutung von Wissenschaftlern, könne nur an den von ihnen verwendeten Kortikoid-Sprays liegen. Denn aufgrund ihrer Erkrankungen gehörten die Patienten ja sonst eher zur Covid-Risikogruppe.
Auch Hersteller AstraZeneca ist im Spiel
Doch weil Berichte durch Hörensagen noch kein Beweis sind, hat ein Forscherteam der Universität Oxford an 146 Patienten mit milden Covid-19-Symptomen untersucht, inwieweit sich ihr Krankheitsverlauf durch die konkrete Anwendung eines Budenosid-Sprays beeinflussen lässt. Finanziert wurde die Studie vom schwedisch-englischen Pharma-Unternehmen AstraZeneca, das neben seinem bekannten Corona-Impfstoff auch ein Budenosid-Präparat gegen Asthma im Sortiment hat.
Die Probanden wurden in zwei Halbgruppen aufgeteilt: Die eine erhielt eine Standardbehandlung mit Fiebersenkern und die andere zusätzlich zwei Mal täglich 800 Mikrogramm Budenosid aus einem Inhalationsgerät. Bei den letzteren Patienten sank daraufhin das Risiko für eine Krankenhauseinweisung um 90 Prozent.
Deutlich weniger Beschwerden
Zudem entwickelten sie weniger Symptome, waren diese schneller wieder los und brauchten weniger Fiebersenker. Sie litten auch nach Ablauf der 28tägigen Beobachtungsperiode deutlich seltener unter Beschwerden. Das bewertet Karl Lauterbach als Potenzial zur Risikoreduktion von Spätfolgen der Erkrankung – dem berüchtigten „Long-Covid“.
Christian Taube von der Deutschen Atemwegsliga warnt jedoch vor Euphorie. „Es ist nicht damit zu rechnen, dass Asthma-Sprays zu einem Game-Changer in der Pandemie werden“, sagt der Pneumologe.

Die Studie, so Taube, sei zwar gut gemacht, und sie zeige auch, dass Asthma-Sprays den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung günstig beeinflussen können. „Doch in ihr wurden im Wesentlichen jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen untersucht, und das sind nicht diejenigen, die uns in der Pandemie die großen Sorgen bereiten“, so Taube, der an der Universitätsmedizin Essen die Klinik für Pneumologie leitet.
Das große Problem in der Pandemie seien vielmehr die Hochrisiko-Patienten, und für die sei weiterhin unklar, ob Asthma-Sprays wirklich helfen könnten. „Für diese Patienten sind Antikörper-Therapien gegen das Sars-CoV2-Virus das Mittel der Wahl“, erläutert Taube. „Und die kommen bisher viel zu wenig zum Einsatz.“ Die Beseitigung dieses Defizits würde weitaus mehr zur Entlastung der Krankenhäuser und Intensiv-Stationen und damit zur Lösung des Kardinalproblems in der Corona-Krise beitragen als die Asthma-Sprays.
Perspektiven für das Kortison
Nichtsdestoweniger sieht Taube, wenn auch nicht für Hochrisiko-Patienten, in den Sprays durchaus eine Perspektive für die Behandlung von Covid-19. Denn sie können überschießende Entzündungsreaktionen in den Atemwegen hemmen, die – wie man mittlerweile weiß – zu den Hauptauslösern von schweren Covid-19-Verläufen gehören.
Kortison bisher kein offizielles Corona-Medikament
Ein weiterer Pluspunkt der Kortikoid-Sprays: Man muss für die Anwendung nicht in die Klinik. Nach der ärztlichen Verordnung kann der Patient sie in Eigenregie anwenden. Ihr Risiko ist gering.
Kortison-Belastung ist verschwindend gering
„Viele Leute haben Angst vor den Sprays, wegen der Nebenwirkungen, die Cortison haben kann“, berichtet Erika von Mutius, Leiterin des Instituts für Asthma- und Allergieprävention am Helmholtz Zentrum in München. Doch die inhalierte Menge entspreche „nur einem Hundertstel bis zu einem Tausendstel dessen, was man mit einer Tablette oder Ähnlichem einnimmt“. Denn Inhalieren heißt, dass man die Kortikoide gezielt in die Atemwege einbringt, und nicht über den ganzen Körper verteilt.
Was die Frage aufwirft, warum man nicht schon vor einem Jahr damit angefangen hat, zumindest jüngere und an sich gesunde Covid-19-Patienten mit Kortikoid-Sprays zu behandeln. Denn deren entzündungshemmende Wirkung in den Atemwegen war hinlänglich bekannt und überprüft.
Verdacht musste ausgeräumt werden
Die Erklärung dafür liefert Pharmakologe Michael Freissmuth von der Universität Wien: „Es wäre möglich gewesen, dass ein Wirkstoff wie Budenosid den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung auch hätte verschlimmern können.“ Denn wenn eine Entzündung zu stark unterdrückt wird, kann dies auch die Fortpflanzungslust von Viren anstacheln, weil sie auf zu wenig Gegenwehr vom Immunsystem stoßen.
Dieser Verdacht musste zunächst mit Studien ausgeräumt werden. Das scheint nun in Oxford geschehen zu sein. Doch ein radikaler Game-Changer werden die Sprays dadurch nicht. „In dieser Hinsicht sollte man weiterhin sein Augenmerk auf die Impfungen legen“, betont der Atemwegs-Experte Christian Taube.
Hoffnung auf eine breitere Studie
Deutsche Klinik-Mediziner sowie die Studienautoren selbst weisen darauf hin, dass die Ergebnisse der Oxford-Untersuchung mit relativ wenigen Patienten in einer breiten Studie bestätigt werden müssen.
Man brauche „dringend“ eine Phase-III Studie mit etwa 1000 Patienten, so der Leiter des Zentrums für klinische Studien des Universitätsklinikums Jena, Frank Brunkhorst. Wenn sich die Beobachtungen bewahrheiteten, habe das eine enorme Wirkung – und Budesonid sei überall auf der Welt verfügbar, fasst der Direktor der Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Berliner Charité, Norbert Suttorp, die Hoffnungen zusammen.