Der Anfang vom Ende bricht im Herbst des Jahres 1802 in Gestalt zweier markgräflicher Kommissare und 100 Mann eines Rastatter Füsilierbataillons über das Bodenseestädtchen Meersburg herein. Hier residieren im Neuen Schloss die Konstanzer Fürstbischöfe. Die Kommissare lassen Verlautbarungen anschlagen. Die setzen das Volk darüber in Kenntnis, dass hier künftig nicht mehr der Bischof im nahen Konstanz, sondern Markgraf Karl Friedrich von Baden das Sagen hat.
Das Hochstift Konstanz, eines der kleinsten Territorien im Deutschen Reich, ist jetzt Teil der Markgrafschaft Baden. Die Säkularisation – die Einverleibung des Besitzes der Bistümer und Klöster durch die Territorialstaaten des Heiligen Römischen Reichs – ist in vollem Gange.
Napoleon ebnete den Weg
Eigentlich sollten die Badener erst nach dem Reichsdeputationshauptschluss des 25. Februars 1803 – des offiziellen Endes des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation – nach dem klerikalen Eigentum greifen. Doch warum warten, wenn der vom französischen Kaiser Napoleon gebackene Kuchen hinter den Kulissen ohnehin unter den mächtigsten weltlichen Fürsten aufgeteilt ist?
Immerhin hatte man den regierenden Konstanzer Fürstbischof Karl Theodor von Dalberg (1744-1817) zwei Wochen zuvor über die Annektierung in Kenntnis gesetzt. Ohne Widerstand lässt man in Meersburg die Inbesitznahme geschehen und hofft darauf, dass das Bistum selbst, immerhin das größte katholische Bistum jenseits der Alpen, fortexistieren darf.
Aber für so ein internationales Bistum ist in den aufkeimenden Zeiten der Nationalstaaten kein Platz mehr: Württemberg wird ab 1821 kirchenrechtlich von Rottenburg aus gesteuert, Baden gründet kurze Zeit später das Erzbistum Freiburg. Die Schweizer Teile des Bistums Konstanz wurden zuvor provisorisch den Bistümern Basel und Chur unterstellt.
„Im Grunde endet 1821 mit der Auflösung des Bistums Konstanz auch die historisch große Zeit des Bodenseeraums, die im Mittelalter ihren Höhepunkt hatte“, beschreibt der Historiker und Leiter des Napoleonmuseums Arenenberg, Dominik Gügel, die Konsequenzen, die aus dem Verschwinden des etwa seit dem Jahr 585 existierenden Bistums Konstanz resultieren.

Gügel ist sich sicher, dass die historische Bedeutung der Bodenseeregion „in großem Maße bedingt war von der christlichen Tradition des Bistums Konstanz, flankiert von den bedeutenden Abteien in St. Gallen und Reichenau“.
Mit der Auflösung des Bistums Konstanz durch Rom endete eine mehr als 1200-jährige Tradition, die weit über den Bodenseeraum hinauswies.
Letztere wurde immer wieder von Äbten geführt, die in Personalunion Bischöfe von Konstanz waren. Tatsächlich bilden in Gügels historischer Ereignissammlung die Gründung und die Auflösung des Bistums im Wesentlichen die beiden Pole, zwischen denen die weltgeschichtliche Relevanz des Bodenseeraums, mitunter als eine der Wiegen des Abendlandes beschrieben, erwächst – und wieder vergeht.
Fortbestand in der Schweiz?
Die Gründe, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben der unvermeidlichen Säkularisation der weltlichen bischöflichen Herrschaftsgebiete auch das Bistum Konstanz selbst von der Landkarte verschwindet, sind für Gügel jedoch nicht nur im neuen „Primat des Staates“ zu suchen, dem ein geistlich-religiöses Konstrukt, das sich über sieben Länder erstreckt, entgegensteht.
Das allein erkläre nicht, so der Historiker, weshalb eine mehr als 1200 Jahre währende Tradition per Federstrich ausradiert wurde. Die beteiligten Schweizer Kantone waren nicht uninteressiert, das Bistum zumindest in der Eidgenossenschaft fortleben zu lassen.
Entscheidend sei für die Auflösung des Bistums vielmehr der Argwohn, gar Hass Roms gewesen. Denn Bischof Dalberg und vor allem dessen Domkapitular und potenzieller Nachfolger Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860) waren mit ihren liberalen Reformbestrebungen im Sinne einer katholischen Aufklärung sowie ihrer kirchenpolitischen Unterstützung einer deutschen Nationalkirche dem Papst ein Dorn im Auge.

Ein ruhm- und würdeloses Ende
„Die römische Kirche wollte das Wessenberg-Problem unbedingt lösen“, sagt Gügel. Mit einem Bischofssitz in Konstanz wäre das nicht möglich gewesen. Mit der Bulle „Provida solersque“ vom 16. August 1821 verfügte Rom schließlich „die ruhm- und würdelose Suppression des Bistums Konstanz“, so der schweizerische Kirchengeschichtler Franz Xaver Bischof.
Die Ironie der Geschichte: Die überstürzte endgültige „Zernichtung“ des Bistums zu dem Zweck, den unliebsamen Wessenberg kaltzustellen, hat auf Schweizer Seite bis zum heutigen Tag die Folge, dass dort „Reste des Bistums Konstanz ein Schattendasein führen“, wie der Leiter des erzbischöflichen Archivs in Freiburg, Christoph Schmider, schreibt. „Mehrere Schweizer Kantone gehören noch immer de jure zum Bistum Konstanz“, sagt Gügel.
Konstanz als Schweizer Stadt
Die Zugehörigkeit zu einem anderen Bistum hätten diese Kantone bis heute offengelassen. Das passt für den Konstanzer Historiker ins Bild: „Konstanz ist im gefühlten Selbstverständnis vieler Schweizer bis heute eine schweizerische Stadt geblieben, das Münster auch ‚ihr‘ Münster“, sagt Gügel.
Dass der eidgenössische Einkaufstourismus heutiger Tage gerade die Stadt Konstanz heimsucht wie keine andere grenznahe deutsche Stadt, ist für den Geschichtswissenschaftler ein Phänomen, dass möglicherweise auch auf dieses Zugehörigkeitsgefühl zurückzuführen ist. „Das schlechte Gewissen der Thurgauer und anderer Schweizer, die nach Deutschland zum Einkaufen fahren, ist in Konstanz einfach kleiner als anderswo.“
Lesetipp: Dominik Gügel: 50 x Bodensee. Eine spannende Zeitreise durch die Geschichte, Silberburg Verlag, 2020, 120 Seiten, 19,99 Euro