Die Winter in Deutschland und anderen europäischen Ländern sind deutlich milder als noch vor 30 oder 40 Jahren. Das spüren nicht nur die Menschen, sondern auch die wild lebenden Tiere, vor allem die wetterfühligen Zugvögel.
Oder sollte man eher sagen: klimafühlig? Es scheint so, denn einige Arten versetzen die Vogelkundler in Staunen, denn die Anpassung an die steigenden Temperaturen erfolgt deutlich schneller als erwartet.
Mehr Zeit fürs Brüten
„Das sehen wir an längeren Brutzeiten“, sagt Wolfgang Fiedler, Gruppenleiter der Abteilung Tierwanderungen am Max-Planck-Institut (MPI) für Verhaltensbiologie (früher bekannt als Vogelwarte) in Radolfzell. Den Vögeln steht für die Fortpflanzung mehr Zeit zur Verfügung, weil sie deutlich zeitiger als früher in den heimischen Brutgebieten eintreffen.
So kommt die Feldlärche einen ganzen Monat früher an, auch die Gartengrasmücke stellt sich laut Fiedler früher ein. Von mindestens drei Wochen geht er aus, das ist beim Vogelzug eine lange Zeit.
Doppelt Nachwuchs im Nest
Der Effekt ist bei manchen Arten so durchschlagend, dass die Vögel sogar zweimal Eier ausbrüten können, was beim Mauersegler, der der Schwalbe ähnelt, der Fall ist.
Davon kann diese Art profitieren, denn seine Nistplätze – Mauerspalten oder alte Dachvorbauten – werden durch Sanierungen eher weniger als mehr. „Wir sehen, dass nicht alles, was sich durch den Klimawandel ändert, schlecht ist“, so das Zwischenfazit des Biologen Fiedler.
Erstaunt sind Experten wie er auch über das Tempo, in dem sich die Vögel an die Temperaturveränderungen anpassen. So ist es der Mönchsgrasmücke, einem kleinen Singvogel, innerhalb von wenigen Generationen gelungen, neue Flugrouten und passende Winterquartiere in ihrem Erbgut zu speichern.
Dabei änderte sich die Flugrichtung grundlegend: Statt wie früher nach Spanien und Nordafrika fliegt ein Großteil der Population auf die britische Insel. Dort ist das Klima seit jeher milder, doch jetzt macht es eine erfolgreiche Überwinterung möglich.
In Afrika wird es heißer
Manche Arten treffen hier früher ein, andere verschieben ihre Abflugzeiten im Herbst, was wiederum Brut und Jungvögeln dient, die nun fitter für die Reise sind. Was genau bei jeder Art etwa die Abflüge aus Afrika in den Norden beschleunigt, wird bisher nur vermutet, aber auch hier nimmt man den Klimawandel an.
Die Temperaturen in der Sahelzone steigen, zum andern gibt es im Mittelmeerraum weniger Niederschlag. Wenn aber die Rastplätze trockenfallen, bleiben die Vögel nur kurz und ziehen schnell nordwärts weiter.
Die Veränderungen sind dramatisch: Jüngst veröffentlichte das Sekretariat der Ramsar-Konvention – ein internationales Übereinkommen für Feuchtgebiete – einen weltweiten Verlust von Flächen um mehr als ein Drittel von 1970 bis 2015.
Beste Bedingungen im hohen Norden
Zu den beschleunigten Nomaden gehört der Halsbandschnäpper. Inzwischen ist er auch in Südschweden anzutreffen. „Viele Arten suchen höhere Breitengrade auf“, sagt Wolfgang Fiedler.
Denn in den polaren Gebieten wird es im Sommer kaum dunkel und man kann praktisch 24 Stunden nutzen, um auf Beutefang zu gehen. Das wiederum dient der Fortpflanzung und der Aufzucht des Nachwuchses.

Doch sind es nicht nur die Temperaturen, die die Verhaltensbiologie der Vögel beeinflussen. Zu den Faktoren gehören auch die – je nach Art und Nist-Vorlieben – intensive Waldwirtschaft, die flächenoptimierte Landwirtschaft und der Nahrungsmangel durch den Einsatz von Pestiziden.
Naturschutzgebiete müssen größer werden
Wenn zu diesen oftmals variablen Veränderungen die Verschiebung von Wärme- und Kältephasen kommt, wird auch der Natur- und Artenschutz gefordert. Das ist aber gar nicht so einfach. „Unsere Naturschutzgebiete sind statisch ausgelegt“, sagt Vogel-Experte Fiedler.
Vor Jahren oder Jahrzehnten ausgewiesen, könnten sie heute für den Schutz bestimmter Arten nicht mehr zielführend sein – etwa weil die Vögel gar nicht mehr kommen, weil sie woanders bessere Bedingungen finden.
Für die Fachleute steht fest: je größer ein Naturschutzgebiet, desto besser. Denn so sind Veränderungen besser auszubalancieren. Hier kommt auch das baden-württembergische Umweltministerium ins Spiel, dessen Chefin Thekla Walker (Grüne) heute bei den Radolfzeller Biologen mit am Tisch sitzt.
Mit Nabu-Themen und Naturpädagogik aus ihrem früheren Berufsleben vertraut, will sie die Vernetzung und damit die Vergrößerung von Schutzgebieten im Land voranbringen. Möglichst noch in dieser Legislatur. Auch wenn es für menschliche Augen meist unsichtbar ist: „Die Natur verändert sich permanent“, sagt die Ministerin.

Welche Vogelarten am Ende die Gewinner sind und welche die Verlierer, das können die Ornithologen derzeit nicht sicher sagen. Auch weil es schwierig ist, zu eindeutigen Folgerungen zu kommen.
Dient es der Amsel-Population, wenn sie in Deutschland zu „Dableibern“ geworden ist, wie die Experten sagen? Einerseits ja, denn Stress und Risiken eines langen Vogelzugs fallen weg.
Andererseits hat sich für die Amseln in der freien Natur das Nahrungsangebot drastisch reduziert. Die beliebte Singvogelart leistet daher den Menschen in den Städten, Parks und Gärten zunehmend Gesellschaft.

Das MPI ist inzwischen dafür weltbekannt, dass es mit Erfolg die Ausstattung von vielen Tierarten mit Sendern vorantreibt, die Verhaltensdaten erfassen und an eine Zentrale weitergeben. Dafür steht das ‚Internet der Tiere‘, erdacht von MPI-Direktor Martin Wikelski.
Die auf Karten gezeichneten bunten Bewegungsmuster von Tieren (Vögel wie auch Säuger) sind für den Forscher eine Sprache, die wir verstehen lernen müssen. Man kann man sich auf Erd- oder Seebeben vorbereiten, wenn man die Nervosität der Tiere rechtzeitig lesen kann.
Storch als fliegende Wetter-Boje
Oder man nutzt Vögel wie die Störche als fliegende Wetter-Bojen. Ein kleiner Sender-Rucksack macht das möglich, der Deutsche Wetterdienst (DWD) speist Daten in seine Berechnungen ein.
Für die Störche ist Andrea Flack, Gruppenleiterin beim MPI, zuständig, sie wertet die Zugrouten aus. Deutlich wird: Ältere Vögel tun sich die weite Reise über die Sahelzone nach Südafrika nicht mehr an.

Viele Störche rasten auf den vielen Müllhalden, die es etwa in Spanien gibt und die reichhaltig Nahrung bieten. Ein Vorteil? Die Rast spart Flugmeilen, aber was die Tiere zu sich nehmen, kann auch nicht immer gesund sein. Bleibt der Storch ganzjährig hier, hat er zwar gar kein Reiserisiko, aber er riskiert Kälte und Extremwetter mit Dauerregen wie in diesem Jahr, was die Brut tötet.
Wichtig ist: Aus den vielen Analysen muss angewandter Tierschutz werden. Das MPI trägt dazu bei, auch durch die Vogelaufzucht in Volièren. 200 Amseln sind im diesem Jahr bereits geschlüpft.