Er kann beim Wandern oder Bergsteigen kommen, beim Musizieren oder Schreiben der Master-Arbeit: der Flow. Wir vertiefen und verlieren uns dann im aktuellen Tun, sind hochkonzentriert und effektiv, und die Zeit vergeht wie im Flug. Und der Flow verlängert möglicherweise, wie jetzt eine deutsch-australische Studie bestätigt, auch unsere Lebenszeit. Denn er ist in vielerlei Hinsicht gesund – doch nicht alle von uns finden ohne Weiteres zu ihm.

Ein Forscherteam um Miriam Mosing vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat die Gesundheitsdaten von rund 9300 Männern und Frauen aus Schweden analysiert und sie außerdem in einem Fragebogen auf ihr Flow-Potenzial abgeklopft. Beispielsweise, indem man sie danach fragte, wie oft es in ihrem Alltag vorkam, dass sie in vollständig in ihrem Tun aufgingen.

Mehr Flow, weniger Angst

Es zeigte sich, dass bei höherer Neigung zum Flow weniger schwerwiegende Krankheitsdiagnosen gestellt wurden. Das Risiko für Angststörungen und Depressionen sank um 16, das für Schizophrenie um 15 und das für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um vier Prozent. „Diese Zahlen bestätigen die Ergebnisse, die wir bereits aus anderen Studien vorliegen haben“, betont Mosing.

Die Neurowissenschaftlerin vermutet als Hauptursache für die positiven Gesundheitseffekte, dass der Flow für ein stressfreieres Leben sorgt. Dadurch kursieren weniger Stresshormone im Körper, deren dauerhaft hohe Levels dafür bekannt sind, das Risiko für allerlei Erkrankungen zu erhöhen. Wobei das interessanterweise nicht uneingeschränkt gilt – der Hormonanstieg wird also nicht generell gedeckelt und bereits im Keim erstickt.

Die Flow-Theorie

Ein Forscherteam um Corinna Peifer von der Universität Lübeck ermittelte, dass Flow-Erlebnisse durchaus mit einem moderaten Anstieg von Cortisol einhergehen. Dieses Nebennierenhormon ist nicht nur entzündungshemmend, es sorgt auch für die Bereitstellung zusätzlicher Energien und Hirnkapazitäten. Gerade das macht ja auch im Zusammenhang mit dem Flow, der per Definition beim hochkonzentrierten Abrufen von Leistungen entsteht, durchaus Sinn. Doch es kommt auf die Dosis an. „Beim Flow ist die Erregung niedriger als bei negativem Stress“, betont Peifer.

Die Arbeitspsychologin empfiehlt, sich den Zusammenhang von Cortisol-Ausschüttung und physiologischer Aktivierung einerseits sowie dem Flow-Zustand andererseits wie bei einem umgedrehten U vorzustellen. Man braucht also eine gewisse Erregung, damit die Flow-Kurve überhaupt nach oben gehen kann. Wird jedoch ein bestimmtes Erregungs-Level überschritten, geht es vom Flow-Gipfel des umgedrehten U wieder zügig bergab: Aus positiver Aktivierung wird negativer Stress.

Wo hört der Flow auf, wo beginnt der Stress? Generell gilt: Beim Flow ist die Erregung niedriger als bei negativem Stress.
Wo hört der Flow auf, wo beginnt der Stress? Generell gilt: Beim Flow ist die Erregung niedriger als bei negativem Stress. | Bild: Alexander Heinl/dpa

Doch wie lässt sich erkennen, ob man oben auf dem Flow-Peak ist und sein Erregungs-Niveau besser nicht mehr weiter hochschrauben sollte? Ein entscheidendes Kriterium dafür sei, wie Peifer betont, das Gefühl der Kontrolle: „Beim Flow ist es im Allgemeinen hoch. Alles geht leicht von der Hand, wir haben unser Tun vollkommen im Griff – ganz anders als beim chaotischen Treiben im Büro, wenn immer neue, unvorhersehbare Aufgaben über uns hereinbrechen.“

Der Flow funktioniert also anders als Meditation oder autogenes Training, wo die Entspannung im Vordergrund steht. Nicht umsonst sprach schon sein Entdecker, der US-amerikanische Psychologe Mihály Csíkszentmihály, von der richtigen Balance, die man zwischen den Anforderungen und Fähigkeiten einer Person finden muss: Sind die Anforderungen zu gering, fühlen wir uns gelangweilt – sind sie zu hoch, fühlen wir uns gestresst. Hinzu kommt, dass offenbar nicht alle in gleichem Maße diese Balance und damit zum Flow finden.

Flow kann vor Krankheiten schützen

Das Forscherteam um Miriam Mosing untersuchte, ob Neurotizismus (Emotionskontrolle) und familiäre Faktoren eine Rolle dabei spielen. Um den letztgenannten Faktor erfassen zu können, hat man für die Studie eigens ein- und zweieiige Zwillinge rekrutiert. Es zeigte sich: Derjenige Zwilling mit der ausgeprägteren Flow-Neigung besitzt auch den besseren Schutz vor den genannten Krankheiten. Was vor dem Hintergrund der starken Erbgut-Komponente im Flow ein deutlicher Hinweis ist, dass er ursächlich vor Krankheiten schützt und nicht nur zufällig damit einhergeht.

Der Neurotizismus offenbarte sich als hinderlich für das Erreichen des Flow-Zustandes und dementsprechend als Krankheitsrisiko. Was sich allerdings auch schon aus seiner Definition ergibt. Denn ein ausgeprägter Neurotizismus – er gehört zu den so genannten Big Five der Persönlichkeitseigenschaften – bedeutet, dass der betroffene Mensch emotional unausgeglichen, leicht reizbar ist und schnell in Stress gerät. Außerdem macht er sich ständig Sorgen. „Und wer sich ständig Sorgen macht, wird auch Schwierigkeit haben, in den Flow zu kommen, weil ihn das permanent davon ablenken wird“, betont Mosing.

Das könnte Sie auch interessieren

Das familiäre Erbgut ist freilich vorgegeben, und auch der Grad an Neurotizismus ist teilweise genetisch vorinstalliert. Was die Frage aufwirft, ob entsprechend vorbelasteten Menschen der Flow für immer versagt bleibt. Mosing, die am Max-Planck-Institut zur Verhaltensgenetik forscht, gibt da jedoch Entwarnung: „Die Bedingungen sind dann zwar erschwert, aber das bedeutet nicht, dass der Flow dann erledigt ist.“ Man könne durchaus seiner Anti-Flow-Veranlagung entgegenwirken.

In der Studie zeigte sich, dass es einigen Menschen trotz familiärer und neurotizistischer Störfaktoren immer wieder gelingt, in den Flow zu kommen und entsprechend vor Krankheiten geschützt zu sein. Wie sie das anstellten, wurde nicht erfasst. Einige Firmen bieten mittlerweile Maßnahmen und Kurse zum „Flow Promoting“ an, mit denen sich der Zustand angeblich leichter erreichen lassen soll. „Aber die wissenschaftliche Basis ist da in der Regel ziemlich dünn“, warnt Mosing.

Herausforderungen fördern den Flow

Nichtsdestoweniger gibt es einige Faktoren, deren Flow-Förder-Potenzial solide abgesichert ist. Wie etwa der sogenannte Expertise-Effekt. „Ein geübter Pianist oder eine erfahrene Lehrerin kommen eher in den Genuss selbstvergessenen Tuns als etwa ein Klavierschüler oder Referendar“, erläutert Peifer. Die Psychologin weiß von Feldstudien an Schulen, in denen gerade herausfordernde Unterrichtssituationen für Flow-Zustände bei den Lehrern sorgten.

In anderen Untersuchungen zeigte sich sogar, dass die aktuelle Anforderung die Fähigkeiten sogar ein wenig übersteigen kann, solange es genug Erholungsphasen gibt. „Sich realistischen Herausforderungen – aber eben Herausforderungen – zu stellen und zwischendurch immer mal wieder kurz zu verschnaufen, bietet demnach die beste Gewähr für nachhaltiges Flow-Erleben“, rät Peifer.

Er kann sich im Klavierspielen regelrecht verlieren: Lang Lang, Pianist aus China.
Er kann sich im Klavierspielen regelrecht verlieren: Lang Lang, Pianist aus China. | Bild: Ian West/dpa

Die griechische Psychologin Evangelia Demerouti wies überdies nach, dass wir leichter in den Flow kommen, wenn die zu bewältigende Aufgabe eine subjektive Bedeutung für uns hat. Wenn sich das Kind auf drängenden Wunsch der Eltern zum Klavierspielen durchringt, wird es sich schwerer in der Musik verlieren können, als wenn es begeistert und aus eigenem Antrieb die E-Gitarre in der Schulband zupft.

Wobei das nicht heißen soll, dass Klavierunterricht generell den Flow unterdrückt. So berichtet der chinesische Star-Pianist Lang Lang, dass er als Kind anfangs keinen Spaß am Klavierspielen hatte. „Doch der Spaß kam dann mit dem Können.“