Wer Uli Topka zuhause aufsucht, weiß schnell Bescheid. An den Wänden der Wohnung drängt sich Fasnacht auf engem Raum. Narrenorden, ein Holzschwert, Masken. Im Türrahmen hängt bereits das Häs für die kommenden Tage: der Konstanzer Blätzlebueb. Die Wohnung ist ganzjährig für die Fünfte Jahreszeit hergerichtet. Uli Topkas Frau Gudrun sowie die Kinder Marius und Maja machen das mit – alles begeisterte Fasnachter.

Uli Topka ist begeisterter Narr und Forscher. Sein Konstanzer Blätzle hält er gut in Schuss.
Uli Topka ist begeisterter Narr und Forscher. Sein Konstanzer Blätzle hält er gut in Schuss. | Bild: Fricker, Ulrich

Für den 61-Jährigen bedeutet Fasnacht mehr als sechs verrückte Tage. Sie ist für ihn der Gegenstand hartnäckigen Fragens. Topka ist bereits im Ruhestand und widmet seine Zeit dieser Art von Brauchtum. Als er vor einigen Tagen im SÜDKURIER las, dass die „Fasnacht bestens erforscht“ sei, machte ihn das stutzig. Das stimmt nicht, sagt er bei unserem Treffen. Einzelne Städte und Figuren seien ausgeleuchtet, aber die Fasnacht als Ganzes? Fehlanzeige. Viele Leerstellen, viele Lücken, und wenig Volkskundler, die sich darum kümmern.

Werner Mezger ist der Platzhirsch

Er ist einer der Kümmerer. Seine Fragen zielen in zwei Richtungen, erst ins Kleine, dann ins Große: Für Konstanz, die ehemalige Bischofsstadt, und dann für den gesamten Südwesten – den alemannischen Kulturraum also.

Werner Mezger genießt den Ruf der Fasnachts-Autorität schlechthin – bisher. Uli Topka zweifelt an der Stichhaltigkeit von Mezgers ...
Werner Mezger genießt den Ruf der Fasnachts-Autorität schlechthin – bisher. Uli Topka zweifelt an der Stichhaltigkeit von Mezgers Theorien. | Bild: Patrick Seeger/dpa

Werner Mezger ist der Platzhirsch in diesem Gelände. Der bekannte Volkskunde-Professor hält Vorträge – von der Volkshochschule bis zu den Landfrauen ist er präsent. Im SWR-Fernsehen erklärt er die großen Narrentreffen. Mezger, gebürtiger Rottweiler, gehört zum sprechenden Inventar der fünften Jahreszeit.

Seine Interpretation ist Standard: Die Fasnacht, so sagt er, hat christliche Ursprünge, auch ihre Bildsprache – von Fuchsschwanz bis Schelle – ist christlich. Deshalb auch das Wort: Fasnacht ist die Nacht vor der Fastenzeit.

Der Weingott Bacchus steht am Anfang

Uli Topka hält dagegen. Die Herleitung dieses Brauchtums aus rein christlichen Wurzeln sei eine Engführung – nicht falsch, aber doch vieles ausblendend. Für den 61-Jährigen Heimatforscher, der derzeit im achten Semester Geschichte studiert, spielen römische Feste eine große Rolle, die am Beginn der Fasnacht stehen.

Topka nennt die Bacchanalien, jene ausschweifenden Trinkgelage zu Ehren des Weingottes Bacchus.

Dabei verkleideten sich die Teilnehmer auch gerne und bekränzten sich mit Weinlaub. Hört sich wie Fasnacht an. „Das ist der römische Stil von Brot und Spiele,“ sagt Topka schmunzelnd.

 

Das Brauchtum und seine Geografie: Auf dieser Karte hat Topka die närrischen Orte im Südwesten eingezeichnet. Sie sind alle katholisch.
Das Brauchtum und seine Geografie: Auf dieser Karte hat Topka die närrischen Orte im Südwesten eingezeichnet. Sie sind alle katholisch. | Bild: Fricker, Ulrich

Werner Mezger ignoriere diesen Zusammenhang, sagt Topka und zählt noch andere Beispiele auf, die der Freiburger Professor gegen den Strich bürstet. Zum Beispiel die Schellen, die viele Narren am Leib tragen. Mezger führt sie auf eine Stelle im Korintherbrief zurück (“... wenn ich der Liebe nicht hätte, so wäre ich eine klingende Schelle“). Von wegen, meint Topka. „Schellen und Glocken sind seit jeher ein Lärminstrument, auch in Kulturen ohne christlichen Hintergrund.“

Der Engener Lumpenhansel. Bereits der Name verrät, dass das Häs aus Resten zusammengelesen wird.
Der Engener Lumpenhansel. Bereits der Name verrät, dass das Häs aus Resten zusammengelesen wird. | Bild: Uli Topka

Der Blätzle, ein Resteverwerter

Der Forscher spürt neue Dokumente auf. Schon im Jahr 1503 sei ein Narrenzunftmeister für Konstanz belegt. Sein Augenmerk liegt auf einer Figur, die heute fast unscheinbar scheint: der Blätzle. In Konstanz gibt es ihn, in Engen, Waldshut, in Überlingen. Der Blätzle ist ein Resteverwerter: Sein Häs besteht aus vielen, oft billigen Stoffresten, die zu einem weiten Anzug vernäht werden. Auch die Haube ist aus Stoff mit zwei Löchern für die Augen.

Uli Topka läuft an der Fasnacht selbst in diesem bunt gefleckten Gewand herum. Der Blätz ist für ihn Fasnacht schlechthin, und seine Recherchen belegen: In Literatur und bildender Kunst sind immer wieder Gestalten mit einem Kleid aus Tuchflecken unterwegs. Sogar im Konstanzer Münster fand er eine einschlägige Darstellung: einen Mann im schuppenartigen Häs.

Überragender Fund: Diese Steinfigur im Konstanzer Münster entdeckte Topka. Sie trägt ein Fleckengewand, ähnlich wie der Blätzle auch.
Überragender Fund: Diese Steinfigur im Konstanzer Münster entdeckte Topka. Sie trägt ein Fleckengewand, ähnlich wie der Blätzle auch. | Bild: Uli Topka

Viel Wissen hat er angehäuft, eine Karte der närrischen Orte und Zentren erstellt. Seine Vergangenheit als Informatiker ist nützlich, denn ohne PC könnte er seine Dokumente nicht so proper verwalten. Eines Tages wird er ein Buch daraus machen – aber erst nach der Fasnacht 2020, soviel ist sicher.

Auch die Waldshuter Hansele tragen ein geflecktes Häs.
Auch die Waldshuter Hansele tragen ein geflecktes Häs. | Bild: Uli Topka