Es ist einer der seltenen Fälle, in denen eine schlechte Nachricht für eine positive Entwicklung stehen könnte: Die Zahl der bei der Polizei angezeigten Fälle von sexuellen Übergriffen, Belästigungen, Nötigungen und Vergewaltigungen war im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg mit 7607 Straftaten so hoch wie nie zuvor im Südwesten und lag um rund 25 Prozent höher als im Vorjahr. Das geht aus dem Sicherheitsbericht 2018 hervor, den Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Landespolizeipräsident Gerhard Klotter gestern in Stuttgart vorlegten. Der massive Anstieg könnte vor allem eine Ursache haben allem: Opfer trauen sich viel öfter, Taten und Täter anzuzeigen.
2673 Sexualdelikte erfolgten 2018 im öffentlichen Raum, was eine Zunahme der angezeigten Fälle von rund 21 Prozent bedeutet. Fast ausnahmslos sind die Opfer Frauen. Aber auch noch nie mussten so viele Täter die Konsequenzen tragen.
Über 80 Prozent der Fälle wurden 2018 von der Polizei aufgeklärt, die Täter bestraft.
Strobl erklärt den statistischen Ausschlag vor allem mit der 2017 erfolgten Änderung des Straftatbestands. Weil dieser auf sexuell motivierten Körperkontakt ausgedehnt wurde, tauchen 2018 erstmals Fälle in der Statistik auf, die hier zuvor gar nicht erfasst wurden.
Dazu kamen die öffentlichen Debatten wie "me too" und "Nein heißt Nein", die mehr Opfer ermutigt hätten, ihre Scham zu überwinden und an die Öffentlichkeit und zur Polizei zu gehen. "Möglicherweise ist gar nicht mehr passiert, es wurde aber mehr angezeigt", sagt Strobl, der daher auch eine weitere Zunahme der Zahlen in den kommenden Jahren für möglich hält.
Die Gefahr, erwischt zu werden, steigt
"Wir bringen in dieses riesige Dunkelfeld mehr Licht." Damit steige auch die Chance, dass Übergriffe erst gar nicht stattfinden: "Denn die wachsende Gefahr für den Täter, erwischt zu werden, hält aus polizeilicher Erfahrung weit mehr von der Tat ab als ein härteres Strafmaß", so der Innenminister.
Jede dritte Sexualstraftat erfolgte 2018 im öffentlichen Raum, weshalb die Polizei deren Bekämpfung zu einem von vier Handlungsschwerpunkten im laufenden Jahre erklärt hat. Strobl: "Das Ziel ist ganz klar: Frauen sollen den öffentlichen Raum nicht meiden müssen, sondern sich selbstbewusst und unbehelligt überall dort bewegen können, wo sie es wollen."
In den Deliktfeldern der sexuellen Belästigung und den schweren Straftaten wie Vergewaltigung waren Deutsche und ausländische Täter 2018 zu gleichen Teilen beteiligt. Asylsuchende und Flüchtlinge sind unter den ausländischen Tätern überproportional vertreten. Die größte zahlenmäßige Gruppe stellen aber türkische Staatsangehörige vor Syrern und Afghanen.
Zwei Drittel der Täter sind Deutsche
Insgesamt sind mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen im Bereich der Sexualstraftaten Nichtdeutsche. Im Umkehrschluss heißt das: Knapp zwei Drittel der Täter sind Deutsche. "Ich will nichts beschönigen“, sagt Strobl mit Hinweis auf die öffentliche Diskussion im Zusammenhang mit schweren Sexualstraftaten durch Ausländer. „Aber die Wahrheit ist: Der überwiegende Teil der Übergriffe erfolgt durch Täter im nahen Umfeld, durch Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder gute Bekannte", so Strobl.