Zwei Wochen lang hat Kunstgießer Johannes Traub gespachtelt und verstrichen. Die neun Meter hohe Tonplastik von Peter Lenk ist nun von Silikon und Gips ummantelt. Getrocknet soll diese Hülle zur Gussform für Lenks eigentliche Skulptur werden – gefertigt aus mit Epoxidharz gebundenem Kalkstein, nicht etwa aus Beton, der wäre zu schwer angesichts dieser Ausmaße.
Im Moment sind von der eigentlichen Skulptur allerdings nur vage Umrisse zu erkennen. Klar ist: Was darunter schlummert, wird für Aufsehen sorgen, wie so ziemlich alles von Peter Lenk. Der Bildhauer aus Bodman mit den fränkischen Wurzeln nimmt nun mal gerne die Reichen und Mächtigen aufs Korn, auch so mancher Auftraggeber blieb nicht vor seinem satirischen Blick verschont. Die Geschichte der Denkmalsenthüllungen ist eine voller Skandale und Schelmenstücke. Lenk kann Dutzende davon erzählen.
Das neueste Werk des 71-Jährigen, das gerade unter dem Gips verschwunden ist, trägt den Arbeitstitel „S 21 – Das Denkmal. Die Chronik einer grotesken Entgleisung“. Sein luftiges Atelier in Bodman ist gut damit ausgefüllt. Um einen drei Quadratmeter großen Sockel sind Reliefs geplant, die vergangene und zukünftige Szenen rund um das Stuttgarter Bahnprojekt schildern.
Vom Schwarzen Donnerstag im Schlossgarten bis hin zu einer Vision des tiefergelegten und hochwassergefährdeten Bahnhofs als Badesee. Was sich darüber abspielt, ist nicht minder kritisch. Eine moderne Laokoon-Figur kämpft da mit einem entgleisenden ICE anstelle von giftigen Schlangen. Darüber ein Wolkenkuckucksheim aus Profiteuren und Möglichmachern des, so Lenk, grotesken Projekts.
Warum nicht auf den Schlossplatz?
Wer da mit dem ICE-Ungeheuer kämpft – nach der griechischen Mythologie zu urteilen übrigens vergeblich –, darüber darf trefflich spekuliert werden. Ist es der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, den der Volksentscheid dazu verdammte, zu unterstützen, was er – in der Opposition – nie gewollt hatte? Oder verbirgt sich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) darunter, der Stuttgart 21 als „größte Fehlentscheidung der Eisenbahngeschichte“ bezeichnet, aber trotzdem Geld dafür geben muss? Oder ist es am Ende gar kein Politiker, der hier mit dem Bahnprojekt ringt? Klar ist nur: „Dem Laokoon fällt das langsam alles auf den Kopf.“

Peter Lenk macht es spannend – nicht nur, weil er den Überraschungseffekt zur Enthüllung nicht verderben will. Er weiß, dass die Dargestellten ansonsten Klage einreichen könnten, um das Denkmal noch auf den letzten Metern per Unterlassung zu verhindern. „Je etablierter die Leute werden, desto kleinkarierter reagieren sie.“
Das hat er gelernt. Auch darüber, wo sein Werk einmal stehen könnte, herrscht Ungewissheit. Passend wäre ja der Schlossplatz als zentraler Stuttgarter Platz oder der Arnulf-Klett-Platz direkt vor dem Bahnhof, findet Winfried Wolf, einer der Wortführer des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Oder, noch besser: „Ganz provokativ“ auf der Straße, um den Verkehr vor dem Bahnhof ein wenig auszubremsen.
Wird die S 21-Skulptur aufgestellt?
Wolf, der einst für die PDS im Bundestag saß, glaubt noch immer fest daran, dass Stuttgart 21 scheitert. „Die Bahn kann nicht sieben Milliarden Euro für solch ein Projekt ausgeben, wenn sie gleichzeitig den Bund anbetteln muss.“ Gemeinsam mit anderen Mitstreitern hat Wolf die S 21-Skulptur bei Lenk angeregt. Ob Stadt Stuttgart, das Land oder die Bahn tatsächlich genügend Selbstironie aufbringen, um die Aufstellung des Denkmals zu genehmigen? „Ich glaube es, ehrlich gesagt, nicht“, sagt Wolf.
Aber Lenk ist berühmt für seine Nacht-und-Nebel-Aktionen, mit denen er seine Werke zu ihrem Platz verhilft. Und im Nachhinein, das zeigt die Erfahrung, ist noch jede Kommune dankbar gewesen. Wenn das Kunstwerk erst für Touristenscharen gesorgt hat, will es bald kein Gemeinderat mehr loswerden. Bisweilen, das zeigt die „Imperia“ in Konstanz, wird die Lenk-Skulptur sogar zum Wahrzeichen der Stadt.
Nur er habe nichts davon, klagt Lenk – zuckt mit den Achseln und grinst. Reich sei er mit seiner Kunst jedenfalls nicht geworden – aller Berühmtheit zum Trotz. Auch für das S 21-Denkmal hat er sich wieder in Unkosten gestürzt. Mit einer Spendenaktion versucht er dem nun entgegenzuwirken. Wenn mindestens 100.000 Euro zusammenkommen, will Lenk seine Skulptur bis Ende des Jahres aufstellen.
Mehr Informationen zur Spendenaktion gibt es unter www.lenk-in-stuttgart.de
Die Argumente der Gegner
Dass die Gegner keinesfalls nur Blockierer und Neinsager sind, das hat spätenstens die Schlichtung zu Stuttgart 21 gezeigt. Die Befürworter des Kopfbahnhofs hatten gute Argumente auf ihrer Seite. Zum Beispiel:
- Der schwierige Untergrund: Der Anhydrit im Boden unter der Landeshauptstadt droht beim Kontakt mit Wasser aufzuquellen und Bauwerke in Schieflage zu bringen. Nun wird an den Stellen alle paar Dezimeter in die Wände gebohrt und mit einem Gel präpariert.
- Die Neigung: Auf einer Länge von 400 Metern sollen die Bahnsteige einen Höhenunterschied von sechs Metern haben, wodurch Kinderwagen oder Rollstühle ungewollt in Bewegung geraten könnten. Ein Sicherheitsrisiko.
- Die Größe des Bahnhofs: Der bestehende Kopfbahnhof hat 17 Gleise – der künftige Durchgangsbahnhof nur noch acht. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass Stuttgart damit zum Nadelöhr wird. (rom)