Winfried Hermann war sich am Donnerstagmittag nicht sicher, was jetzt die weniger unangenehme Veranstaltung der letzten 16 Stunden war: der Bürgerdialog am Mittwochabend in Uhingen östlich von Stuttgart, bei dem sich der grüne Verkehrsminister zwei Stunden lang dem geballten Unmut der Bürger über die chaotischen Zustände auf der Filstalbahn stellte – oder doch die Landtagsdebatte. Da bekam Hermann nicht nur von der Opposition, sondern auch vom CDU-Koalitionspartner kräftig sein Fett ab.
Noch am richtigen Platz?
Dass ein CDU-Abgeordneter sich just am Morgen der Debatte mit Zweifeln zitieren ließ, ob der Verkehrsminister in seinem Amt noch am richtigen Platz sei, empfand Hermann zudem als grobes Foul unter Koalitionspartnern. „Das macht man nicht“, schimpfte er anschließend auf dem Landtagsflur.
Den Ausschuss geschwänzt
An der Stimmung hatte Hermann freilich selbst seinen Anteil. Als es im Verkehrsausschuss des Landtags vergangene Woche um die chaotischen Zustände auf der Filstalbahn östlich von Stuttgart gehen sollte, schwänzte der Verkehrsminister. Ein Vortrag in Ravensburg erschien ihm dringlicher. Ein Verhalten, das die Verkehrsexperten im Ausschuss nachhaltig vergrätzte und auch den überaus korrekten CDU-Ausschussvorsitzenden Karl Rombach zu einer harschen Rüge des grünen Ministers veranlasste.
Eine „Missachtung des Parlaments“, urteilte scharf der SPD-Abgeordnete Martin Rivoir, eine Einschätzung, der sich auch CDU und FDP schnell anschlossen. Die verlangte öffentliche Entschuldigung Hermanns vor dem Parlament gab es freilich nicht, ebensowenig den von AfD-Fraktionschef Bernd Gögel geforderten Rücktritt des Verkehrsministers.
Dennoch: Der Debattentitel „Verkehrspolitik in Trümmern“, von der AfD initiiert, sprach so manchem Abgeordneten aus dem Herzen. Denn es läuft derzeit nicht gut mit der Verkehrswende im Land, einem zentralen politischen Anliegen der Grünen. Immer mehr Menschen wollen auf die Bahn umsteigen, aber die ist vielerorts im Regionalverkehr unpünktlicher und mit weniger Kapazitäten unterwegs als je zuvor.

Ob Breisgau-S-Bahn, Frankenbahn, Filstalbahn – die Berichte von frustrierten Pendlern, überfüllten Waggons, Zugausfällen und Verspätungen gleichen sich. Landesweit steigen Bahnpendler wieder aufs Auto zurück. Sie machen ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken und bei ihren gewählten Volksvertretern Luft.
„Dramatisch“, so fasste FDP-Verkehrsexperte Jochen Haußmann die Situation auf den Strecken zusammen. „Der Verkehrsminister hat den Überblick verloren. Die Fahrgäste wollen keine Entschädigung, sie wollen, dass die Züge pünktlich fahren.“ Die CDU immerhin verzichtete darauf, Hermanns ewige Widersacherin in Sachen Verkehrspolitik, Nicole Razavi, ans Mikrofon zu lassen. Razavi hatte schon vor Jahren die Ausschreibung der neuen Verkehrsverträge, die jetzt nach dem Betreiberwechsel für so viel Ärger sorgen, kritisch begleitet – damals freilich noch von der Oppositionsbank aus.
„Ich schäme mich“
Als „Bürgerin Razavi“ hatte sie sich am Vorabend in Uhingen ans Mikrofon gestellt und Hermann daran erinnert. Statt ihrer forderte im Landtag CDU-Verkehrspolitiker Thomas Dörflinger, rasch für Verbesserungen zu sorgen. „Ich schäme mich für die schlechte Verkehrsleistung der Bahn, die in Baden-Württemberg angeboten wird“, sagte Dörflinger. „So haben wir uns die Verkehrswende nicht vorgestellt.“
Das alles will Hermann nicht auf sich sitzen lassen. „Die Situation ist unmöglich, und ich will alles dafür tun, dass besser wird, wofür wir verantwortlich sind“, sagte er. „Aber ich lasse mir nicht alle Probleme, die im System sind, in die Schuhe schieben.“ Doch so schnell wird er die Schuhe nicht los.
Gäubahn-Konflikt schwelt
Zu alledem schwelt noch zwischen Grünen und CDU ein Konflikt um die Gäubahn. Während die CDU um Justizminister Guido Wolf, Vorsitzender des Interessenverbands Gäubahn, den Ausbau in das Gesetzespaket des Bundes zur Beschleunigung von Großbauprojekten aufnehmen lassen will, ist das grüne Verkehrsministerium dagegen. Es hat Bedenken. Kommende Woche ist das Gesetz erneut im Bundesrat, vorher drängt die CDU auf eine gemeinsame Linie des Landes. Es wird nicht bequemer für Winfried Hermann.
Entschädigung kommt
Pendler mit Dauerkarten im regionalen Schienenverkehr von Baden-Württemberg sollen als Wiedergutmachung für Zugausfälle und Verspätungen in den vergangenen sechs Monaten auf bestimmten Strecken eine einmalige Entschädigung erhalten. Das teilte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zur Beruhigung mit. Derzeit werde eine Liste der betroffenen Strecken und eine unbürokratische Abwicklung in seinem Ministerium erarbeitet. Über die Finanzierung verhandeln Land und Eisenbahnunternehmen noch. Zudem sollen die betroffenen Eisenbahnunternehmen künftig über eine Bonus-Malus-Regelung finanziell belohnt oder bestraft werden, wenn sie die Pünktlichkeitsziele übertreffen oder sie nicht einhalten. (uba)Das lesen Sie zusätzlich online
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