Überraschende Wendung im Streit um ein hochgradig politisches Kunstwerk: Die Skulptur von Peter Lenk, die sich kritisch mit dem Bau des Tiefbahnhofs in Stuttgart befasst, erhält eine zweite Chance. Boris Palmer bringt Tübingen als neuen und interessanten Standort für das Werk ins Spiel.
Die Chancen für das figurenreiche Werk stehen gut – Palmer wirkt nicht nur als Oberbürgermeister von Tübingen, er hat auch manche Rechnung mit den Grünen noch offen. Und beide, der Politiker und der Bildhauer, passen gut zusammen.
Palmer agiert überwiegend über Facebook und Instagram. Einen Teil seiner Schwierigkeiten handelte er sich durch – wie er meinte – humorige Bemerkungen zu nicht-humorigen Themen ein. Diesmal meint er es ernst, er schreibt: „Beim Westspitzengespräch kam der Vorschlag auf, der in Stuttgart heimatlos gewordenen Skulptur von Peter Lenk in Tübingen Zuflucht zu gewähren. Die große Mehrheit im Publikum fand das gut. Ich auch. Und da wir unseren Bahnhof oberirdisch modernisieren und den Vorplatz neu gestalten, gäbe es auch einen idealen Ort. Außerdem hat Tübingen mit 57 Prozent gegen S21 gestimmt. Auch das spricht für Tübingen als Ort der Skulptur.“
In den sogenannten Westspitzengesprächen sprechen lokale Experten, was in Tübingen schon gut läuft und was besser laufen könnte, Bürger sind miteinbezogen.
Peter Lenk stimmt zu
Der Bodmaner Künstler ist begeistert von dem Vorschlag. „Das ist ein wunderbarer Affront gegen die grünen Wendehälse vom Stuttgarter Stadtrat, die das Werk es gar nicht schnell genug weghaben wollten, um nicht an ihr gebrochenes Versprechen erinnert zu werden: Einen Kombibahnhof mit oberirdischen Gleisen“, äußerte er gegenüber dem SÜDKURIER.
Für ihn wäre eine Aufstellung vor dem in bald in neuem Glanz erstrahlenden Bahnhof der Universitätsstadt ein Riesenerfolg. Seine dreidimensionale Satire mit dem Originaltitel ‚“S 21 – Chronik einer Entgleisung“ war bis Juni 2021 vor dem Stuttgarter Stadtpalais aufgebaut.
Hunderte von Menschen zogen daran vorbei. Einigen Kunstschaffenden und Teilen des Gemeinderats erschien das Werk als zu vulgär, anderen war es nicht abstrakt genug. Deshalb sollte es nicht an diesem herausgehobenen Platz in der Innenstadt unterkommen.
Einen anderen, dezentralen Standort lehnte Peter Lenk ab, ließ seine Figuren abbauen und im eigenen Garten in Bodman aufstellen. Ein endgültiger Standort in Tübingen wäre auch eine späte Genugtuung für ihn. Es hätte den Raum, für den es komponiert wurde.
Palmer ist mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 bestens vertraut. Im großen Schlichtungsverfahren unter Heiner Geißler (2010) zählte er zu den Fachleuten, die sich gegen den Tiefbahnhof aussprachen. Auch viele Projektbefürworter zollten ihm Respekt für seine Expertise zu Bahnfragen.