Nach dem Kirchgang der Wahlgang – zumindest beim politischen Spitzenpersonal von Grünen und CDU in Baden-Württemberg ist die Welt auch am Sonntag der Bundestagswahl noch in Ordnung. Neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zuhause im Sigmaringer Ortsteil Laiz holten sich auch sein Vize Thomas Strobl (CDU) in Heilbronn und CDU-Fraktionschef Manuel Hagel daheim in Ehingen am Vormittag noch im Gottesdienst geistliche Stärkung. Da blieb noch Zeit für das eine oder andere Stoßgebet, bevor die Spitzenkräfte der grün-schwarzen Landesregierung zur Bürgerpflicht an die Wahlurne schritten.
Und nahezu einträchtig saß anschließend die gesamte baden-württembergische Polit-Prominenz samt Entourage pünktlich um 14 Uhr in der Maschine von Stuttgart nach Berlin, neben Kretschmann, dem grünen Fraktionschef Andreas Schwarz, Strobl und Hagel etwa auch der SPD-Landesvorsitzende und Fraktionschef Andreas Stoch, die Bundestagsabgeordnete und frühere Landesvorsitzende Leni Breymaier und sein SPD-Generalsekretär Sascha Binder.

FDP und SPD mit guter Stimmung im Flieger
Stimmungslage und Erwartungen freilich konnten über den Wolken auf dem Weg in die Bundeshauptstadt unterschiedlicher nicht sein. „Die Stimmung ist prima“ hieß es angesichts der Umfragewerte für den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz bei der SPD-Landesgeschäftsstelle, entsprechend groß war die Hoffnung darauf, dass auch die in Baden-Württemberg politisch abgemeldete Südwest-SPD vom Scholz-Effekt würde profitieren können. Auch die liberalen Spitzenkräfte, Landeschef Michael Theurer und Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke, sahen dem Wahlabend mit breiter Brust und dem Selbstbewusstsein entgegen, dass ohne die FDP wohl eher keine neue Bundesregierung zustande kommen würde.
Gedämpfte Erwartungen hatte dagegen das grün-schwarze Führungsduo Kretschmann/Strobl im Gepäck. Wie schlecht würde es am Ende im Bund für die seit Wochen im Abwärtstrend befindlichen Grünen werden? Würde Scholz die Nase auch im Endspurt noch vor Laschet haben? Kretschmann und Strobl hatten sich noch bis zuletzt im Wahlkampf für ihre Spitzenkandidaten Baerbock und Laschet eingesetzt. Klar war beiden indes: für das baden-württembergische Modell einer grün-schwarzen Regierung würde es auch unter umgekehrten Vorzeichen wohl nichts werden im Bund. In Baden-Württemberg sieht die Welt anders aus als im Rest der Republik.
Gemeinsam in der Landesvertretung
Das nächste Rendezvous für die Spitzen der Südwest-Parteien gab es dann nach den Abstechern in die jeweiligen Parteizentralen am Abend in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin, wo sich rund 200 Gäste eingefunden hatten. Strobl, auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, und CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel räumten schon früh am Abend im SWR ein, dass sich die Union mehr vorgenommen hatte, betonten aber, dass die Südwest-CDU besser dastehe als die CDU im Bund – und übergingen großzügig die rund acht Prozent weniger, die CDU im Südwesten im Vergleich zur letzten Bundestagswahl eingefahren hat.
Eine Fortsetzung der Großen Koalition lehnte Hagel ab. „Die Große Koalition ist ausgezehrt, ich würde nicht dazu raten“, sagte der 33-Jährige. Die neue Bundesregierung müsse für die Themen Ökologie, Ökonomie und gesellschaftlicher Zusammenhalt stehen, daher passe eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP gut in die Zeit, erklärte Hagel. Strobl stärkte Armin Laschet den Rücken: Man habe mit ihm als Kanzlerkandidaten nicht aufs falsche Pferd gesetzt. Die Union wolle jedenfalls die Chance nutzen, wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen.
FDP-Landeschef Michael Theurer präferiert ebenfalls eine Jamaika-Koalition. „Hier gibt es in den wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen die größten Gemeinsamkeiten“, sagte Theurer am Abend gegenüber unserer Zeitung. Jedoch hätten die Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren gezeigt, wie schwierig die Bildung eines solchen Bündnisses sein könne. Und Rülke machte deutlich, dass die Liberalen umworben werden wollen: „Wer die FDP als Partner haben will, muss inhaltlich auf sie zugehen“, sagte er.
Dass Rülke die FDP in Siegermanier in der ersten Reihe verortet und nicht etwa auf Augenhöhe mit der AfD, wie es das Wahlergebnis nahelegt, machte er den SWR-Moderatoren deutlich. Es sei „nicht fair“, dass die FDP erst in der dritten Runde mit der AfD zu Wort komme, beschwerte sich Rülke vor laufender Live-Kamera.
Grüne: „Es sind Fehler passiert“
Auch Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand formulierte eine Bedingung: „Eine neue Bundesregierung ohne Grüne ist wie Klima ohne Schutz – das Ergebnis zeigt, dass es einen Regierungsauftrag für die Grünen gibt“, sagte Hildenbrand. Er räumte ein, dass die Grünen mehr erwartet hätten. „Wir freuen uns über starke Zugewinne und das beste Ergebnis aller Zeiten bei einer Bundestagswahl, sehen es aber mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es sind Fehler passiert, der Wahlkampf war holprig für uns“, sagte er. Fraktionschef Schwarz wollte keine Koalitions-Präferenz aussprechen. „Für uns ist es die Koalition, bei der Klimaschutz im Mittelpunkt des Regierens steht“, sagt er.

Immer größer dagegen wurde die Freude am Abend bei den Südwest-Sozialdemokraten im Willy-Brandt-Haus, als die SPD in den Hochrechnungen die Nase nach anfänglichem Patt vor die CDU schob. „Wir haben schon Grund zur Freude. Und die Menschen haben klar gemacht, dass sie Olaf Scholz als nächsten Kanzler wollen. Wer die stärkste Kraft ist, hat den Regierungsauftrag“, machte Südwest-Landeschef Andreas Stoch klar. Und schickte noch eine deutliche Botschaft an potenziellen Koalitionspartner hinterher, die schon Bedingungen fürs Mitregieren formulierten. „Da wäre ein bisschen mehr Demut und ein bisschen weniger Großmäuligkeit angebracht“, sagte Stoch. „Jeder von denen könnte noch ersetzt werden.“