Montagabend, kurz vor 21 Uhr, Einfahrt zum Autokino Stuttgart-Kornwestheim. Der Rückstau hält sich in Grenzen. „Fenster geschlossen lassen“, signalisiert der Kartenkontrolleur. Die Tickets, online für acht Euro das Stück gebucht und per Code auf das Handy geschickt, werden durch die geschlossene Scheibe gescannt.
Wer zuerst kommt, sichert sich die besten Parkplätze. Auf der 500 Quadratmeter-Leinwand läuft heute das Rocker-Biopic „Lindenberg“, auf der kleineren 240m²-Leinwand die Buchverfilmung „Känguru-Chroniken“ – unser Ziel. Die erste Abendvorstellung, für die vor einer Woche überhaupt Karten zu bekommen waren, abgesehen von den Nachmittagsvorstellungen, die auf kleinen LED-Leinwänden auch bei Tageslicht zu sehen sind. Alles andere: ausverkauft, inklusive der Mitternachtsvorstellungen. Mit an Bord sind neben mir meine 18-jährige Tochter und ein paar Snacks und Getränke. Die Snackbar am Autokino ist aus Gründen des Infektionsschutzes geschlossen.
Die Parkplätze fassen normalerweise 650 und 250 Fahrzeuge, in Corona-Zeiten ist die Kapazität derzeit auf 25 Prozent heruntergefahren. „Auch wir müssen Abstand garantieren“, sagt Heiko Desch, Theaterleiter des ältesten deutschen Autokinos im hessischen Gravenbruch bei Frankfurt und Pressesprecher der fünf Drive In-Autokinos, die von der DWJ Veranstaltungs-GmbH in Starnberg betrieben werden. Dazu gehört auch Kornwestheim, seit 51 Jahren in Betrieb und das einzige ganzjährig betriebene seiner Art in Baden-Württemberg.
Vom Aussterben bedroht
20 Autokinos gab es zu Beginn des Jahres in Deutschland, oft sind sie nur kurze Zeit im Jahr geöffnet und kämpfen ums Überleben. Die Zeiten, wo Autokinos der einizge unbeobachtete Rückzugsort für junge Pärchen waren, sind längst vorbei. „Jetzt aber gerade macht es richtig Spaß“, sagt Desch. „Es ist eine tolle Stimmung bei den Leuten, manchmal gibt es Hupkonzerte am Ende zum Dank.“ In Corona-Zeiten kommen viele Menschen vorbei, die den Besuch im Autokino schon lange einmal auf dem Zettel hatten und einfach mal raus wollen – und sei es im eigenen Auto.
Mit einem Kinosaal nicht vergleichbar
Derweil schlagen wir uns in Kornwestheim mit Anfängerproblemen herum. Die breite Leinwand ist etwa 60 Meter entfernt, was sie nicht übermäßig groß erscheinen lässt. Das Bild ist ok, aber nicht mit dem im Kinosaal vergleichbar. Vor der Beifahrerseite ragt die Antenne des vorderen Fahrzeugs ins Bild. Und warum hat eigentlich vorher niemand die Scheibe geputzt?
Die Scheibenwaschanlage verschlimmert die Lage eher, als dass sie Abhilfe schafft. Es hilft nichts: Ich muss raus und putzen.

Das Einstellen der eingeblendeten Frequenz am Autoradio aber funktioniert problemlos. Der Ton läuft. Er kommt von einem Sender am Projektorhäuschen. Ohne Autoradio kein Ton. Die normalerweise verfügbaren Leihgeräte für Notfälle gibt es zu Coronazeiten nicht, auch keine Untertitel oder Sprachwahl.

Die UKW-Sendefrequenz wird den Autokinobetreibern von der Bundesnetzagentur zugeteilt. Sie ist auf eine bestimmte Grundstückgröße und Reichweite begrenzt. Voraussetzung für die Zuteilung ist in Baden-Württemberg eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Landesanstalt für Kommunikation (LfK), die auf Antrag nach Prüfung kostenlos erteilt wird. Seit Beginn der Coronakrise wurden landesweit bereits etwa 35 neue Anträge gestellt und derzeit 29 davon schon genehmigt, wie Pressesprecherin Eva-Maria Sommer sagt. „Die meisten wollen ein Autokino betreiben, aber es geht auch um die Übertragungen von Gottesdiensten , Lesungen oder Konzerten“, sagt Sommer.

Wichtig sei, dass es sich um ein abgrenzbares Grundstück handelt und etwa nicht auf Grundstücke oder Gebäude Dritter „übergestrahlt“ werden könne. Auch bundesweit wächst die Zahl täglich, seit Beginn der Corona-Krise wurden bereits mindestens 120 Anträge bei der Bundesnetzagentur gestellt.

Während die „Känguru-Chronik“ auf der Leinwand ihren Lauf nimmt und ich, nur mäßig gebannt vom Filmgeschehen, darüber nachgrüble, wie sich der Filmsound wohl mit einer High-End-Audio-Anlage im Auto statt mit zwei blechernen Standard-Boxen ausmachen würde, holt uns jäh die Bevormundung moderner Technik ein.
Technik-Terror: Der Ton ist weg
„Energiesparmodus aktiviert“ teilt das zentrale Display unvermittelt mit. Das Batteriesymbol blinkt kurz, dann ist der Ton weg, das Display aus. Batterie leer? Unmöglich. Wir müssen den Motor starten. Dabei geht das Tagfahrlicht an. Motor wieder aus. Der Ton übers Radio läuft noch fünf Minuten, dann das gleiche Spiel von vorne. Ich suche im Internet nach der Pkw-Betriebsanleitung und erfahre, dass sich der Energiesparmodus nicht deaktivieren lässt. Und dass es unzählige Beschwerden darüber gibt. Auch im Umkreis um unser Auto gehen immer mal wieder Scheinwerfer an.
Motor an, Motor aus statt entspanntes Filme schauen
Mitarbeiter befestigen an den betroffenen Autos Scheinwerferabdeckungen. Bei uns löst sie der böige Wind nach wenigen Minuten. Ton an, Ton aus, Motor an, Motor aus, Licht an, Licht aus – so geht das jetzt die nächste Stunde weiter. Worum geht‘s da bei dem Känguru noch mal? Wir bekommen nur die Hälfte der Dialoge mit. Die Stimmung leidet. Sonst nerven im Kino die Knusper- und Raschelgeräusche der anderen Besucher, der Surround-Sound erschlägt mich oft. Kann es sein, dass mir das jetzt alles fehlt?
Aus der Not eine Tugend gemacht hat derweil das Karlsruher Kammertheater. Auf dem städtischen Messplatz hat der kleine Spielbetrieb ein Autokino für zunächst 400 Fahrzeuge aus dem Boden gestampft. „Wir wollten eigentlich auf einer Bühne unter der Leinwand ein Theaterstück aufführen und die Vorstellung auf die Leinwand übertragen“, sagt Intendant Ingmar Otto. „Das hat aber nicht funktioniert, weil die Darsteller nicht proben durften. Und jetzt wollen wir unsere Aufführungen retten, indem wir vorerst mit Freilichtkino wenigstens ein wenig Geld verdienen.“ Zudem soll es auch Tageslicht-Vorführungen mit einer kleinen LED-Leinwand geben.

1,50 Euro können die Besucher bei der Ticketbuchung freiwillig an das Kammertheater überweisen. Am Mittwochabend war Premiere – mit den Känguru-Chroniken. Aber ein bisschen Extra-Theater darf es in Karlsruhe dann schon sein. So bewacht eine King-Kong-Figur den Toiletten-Zugang, Stelzenläufer sind als Aufsicht auf dem Platz unterwegs, vor dem Film läuft über die UKW-Frequenz ein Theater-Hörspiel. Außerdem soll es bald ein Publikums-Wunschprogramm geben. Und es wird ein Scheiben-Putzservice angeboten. Vielleicht gibt‘s ja doch noch eine Versöhnung mit dem Autokino.