Dieter Graf versteht die Welt nicht mehr. Erst muss er das ausgefallene Rutenfest im Juli in Ravensburg verkraften, für das er der Hauptverantwortliche ist. Und nun muss er sich für ein Video rechtfertigen, das vor drei Wochen in Ravensburg entstanden ist. Darin sieht man Graf, der die beiden selbsternannten Corona-Querdenkern Bodo Schiffmann und Daniel Langhans durch eine große Halle führt, in der das Mobiliar für das Rutenfest aufbewahrt wird.

Erst hören die beiden Gäste zu, dann setzt Schiffmann zum Gegenstoß an. Er spricht von „Propagandamethoden“ der Regierung und fordert Graf zum Widerstand auf – die Ravensburger könnten in Berlin mitdemonstrieren, wenn es gegen das Corona-Paket gehe.
Das wichtigste Fest im Jahr
Seitdem schlagen die Wellen hoch in Ravensburg. Das Rutenfest ist in der Kreisstadt das, was andernorts die Fasnacht ist: die wichtigste Feier. Sie dauert fünf Tage lang und hätte von 24. bis 28. Juli stattfinden sollen, war aber wegen der Coronakrise abgesagt. Am 26. Juli entstand das strittige Video mit den beiden Anti-Regierungs-Akteuren.

Seitdem hagelt es Rücktrittsforderungen an den Vorsitzenden der Rutenfestkommission. Auch Sozialminister Manfred Lucha, in Ravensburg wohnhaft, sagte, dass sich Graf mit Verschwörungstheoretikern verbündet habe. „Über einen Rücktritt entscheidet nicht Herr Lucha, den ich gut kenne“, sagt Graf im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Dem vielbeschäftigten Minister empfahl er, sich um seine eigenen heiklen Belange zu kümmern. Grafs Amtszeit als Chef der Kommission läuft bis 2021. Erst dann werde gewählt, sagte er.
Die Pandemie? Halb so schlimm
Wie steht der Versicherungsmakler zu den Ausführungen von Bodo Schiffmann? Im Telefonat hielt sich Graf bedeckt. „Ich möchte dazu nichts sagen.“ In einer nachgereichten schriftlichen Stellungnahme wird er dann präziser. Darin wird deutlich, dass er inhaltlich nahe bei den Ansichten von Dr. Schiffmann steht. Dieser sei kein Corona-Leugner, meint Graf, und: „Allerdings ordnet Schiffmann diese Krankheit entsprechend ein, und zwar in der Weise, dass es zahlreiche Krankheiten gibt, die noch weitaus gefährlicher sind. Die derzeitigen Maßnahmen, die auf die Dauer den Existenzverlust von zahlreichen Selbstständigen, Schaustellern, Leuten vom Kulturbetrieb zur Folge haben, sind nicht verhältnismäßig.“ Corona wird also relativiert.
Der 61-Jährige sagt im Gespräch: „Jeder darf seine Meinung haben.“ Er lasse sich nicht in die rechte Ecke stellen, wie dies die SPD-Fraktion im Gemeinderat der Stadt ganz schnell getan habe. Was Dieter Graf am meisten ärgert: Die SPD-Stadträte wollen den Zuschuss der Stadt für das ausgefallene Rutenfest überprüfen. Auf diese 125.000 Euro sei die Festkommission aber angewiesen, weil sie viel bestellte Ware hätte abnehmen müssen.
„Ich habe so eine Aggression in mir“
In dem Video ist Grafs Zustimmung eher verhalten. Sie äußert sich darin kaum. Ihm geht es um tatsächlich um das verhagelte Fest, die ungeheuren finanziellen Ausfälle und hunderte junger Leute, die sich auf die fünf tollen Tage gefreut haben. Das interessiert seine beiden Zuhörer aber nur am Rande. Schiffmann glaubt kommentieren zu müssen: „Die Kinder werden in Haft genommen. Ich habe so eine Aggression in mir.“
Ihre größte Gemeinsamkeit entdecken der Ravensburger und die beiden so genannten Querdenker in ökonomischen Fragen: Dieter Graf beklagt die Absagen der Schausteller – und Schiffmann warnt vor „Billionenverlusten“ in der deutschen Wirtschaft. Das ist ihre Schnittstelle.
Einen Schiffmann-Wunsch will Graf nicht erfüllen
Einen Wunsch seines rhetorisch überlegenen Gastes lehnte Graf indessen klar ab: Schiffmann fordert von den Ravensburgern: „Diese Stadt muss auseinanderbrechen von allen, die von der Insolvenz bedroht sind.“ Die Ravensburger Trommler sollen doch nach Berlin zur Großdemo der Querdenker fahren. Das hält Dieter Graf für Unsinn. Er könne und wolle die Schultrommler niemals in die Hauptstadt schicken, sagt er am Telefon.