„Ich kann sehr, sehr laut sprechen“, sagt Yannich Bisp auf die Frage, wie er Streit und Konflikte unter den Asylbewerbern verschiedener Ethnien und Religionen schlichtet und sich Gehör verschafft. Und zwar ohne, dass der eine die Sprache des anderen versteht.

Yannich, der sich den Besuchern aus Baden-Württemberg nach dänischer Art mit dem Vornamen vorstellt, ist ein freundlicher Riese mit gutmütigem Gesichtsausdruck und beeindruckender Statur.

Jannich Bisp (r.) vom Dänischen Roten Kreuz erläutert den Besuchern aus Deutschland das Prozedere in Sandholm.
Jannich Bisp (r.) vom Dänischen Roten Kreuz erläutert den Besuchern aus Deutschland das Prozedere in Sandholm. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Das mit der Lautstärke glaubt man ihm aufs Wort. Die dicke rote Jacke weist ihn als Mitarbeiter des Dänischen Roten Kreuzes aus. „Körpersprache sind 40 Prozent der Kommunikation. Und der Rest ist ChatGPT und Google-Übersetzer“, sagt Jannich und lächelt breit.

Hier landen zuerst alle Flüchtlinge

An dem Sozialarbeiter und seinen 90 Kolleginnen und Kollegen vom Dänischen Roten Kreuz, die im Auftrag des Staates und des Dänischen Immigrations-Service (DIS) das zentrale Asylbewerberaufnahmezentrum Sandholm betreiben, eine starke halbe Autostunde von der dänischen Hauptstadt Kopenhagen entfernt, muss jede Person vorbei, die in Dänemark einen Asylantrag stellt.

Maximal 888 Plätze stehen in den flachen, gelb gestrichenen Gebäuden auf dem weitläufigen Areal der ehemaligen Kaserne zur Verfügung. „Das ist genug Platz für alle, die kommen“, sagt Yannich. An diesem Mittwoch Anfang Februar liegt Stille über dem Areal. Der Wind ist schneidend kalt, es ist kaum jemand von den 700 Bewohnern zu sehen.

Radikaler Schwenk unter den Sozialdemokraten

Dänemark, knapp sechs Millionen Einwohner, steht mit seinem radikalen Schwenk in der Asylpolitik, mit harter Hand unter sozialdemokratischer Regierung vollzogen seit 2016 und verschärft seit 2019, bei den europäischen Nachbarn immer wieder im Fokus, wenn nach Lösungen bei den Problemen mit Massenzustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern und der Migrationskrise die Rede ist.

Ein Mann geht auf einer Straße in Richtung des Aufnahmezentrums Sandholm.
Ein Mann geht auf einer Straße in Richtung des Aufnahmezentrums Sandholm. | Bild: Martin Roy, dpa

Die Zugangszahlen nach Dänemark, die 2015 wie in vielen EU-Staaten einen Höchststand erreichten, sind mittlerweile massiv gesunken. Die dänische Politik beruht dabei im Wesentlichen auf drei Faktoren in einem klar geregelten Verfahren: Abschreckung, konsequenter Ermutigung der abgelehnten Asylbewerber zur Rückkehr sowie der schnellstmöglichen Arbeitsmarktintegration derer, die im Land bleiben dürfen.

Migrationspolitik in Dänemark genießt hohe Akzeptanz

Die Akzeptanz für diesen Kurs im Land ist hoch, die Außenwirkung durchschlagend: Flüchtlinge suchen sich andere Zielländer. Nur noch 2333 Asylanträge wurden im Jahr 2024 in ganz Dänemark gestellt – nach 20.935 im Jahr 2015. Dazu kamen etwas über 11.000 ukrainische Flüchtlinge, die einen etwas anderen Status genießen.

Dient also das dänische Modell als Vorbild, ist es übertragbar auf Deutschland oder in kleinen Teilen auf Baden-Württemberg? Davon wollen sich vor Ort in Sandholm auch Marion Gentges (CDU), die baden-württembergische Justiz- und Migrationsministerin, und ihre kleine Delegation ein Bild machen.

Auf dem dicht getakteten Programm von Gentges und ihrem für Migration zuständigen Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU) stehen neben dem Sandholm-Besuch eine Reihe von Gesprächen mit Regierungsmitgliedern und dänischen Experten.

Doppelt so viele Einwohner, neun mal so viele Anträge

Allein in Baden-Württemberg mit rund elf Millionen Einwohnern wurden im Jahr 2024 über 22.100 Asylanträge gestellt – also bei etwa doppelt so vielen Einwohnern mehr als das Neunfache an Anträgen als in Dänemark. 57 Prozent der Anträge in Dänemark wurden anerkannt, die durchschnittliche Verfahrensdauer, während der alle Asylbewerber im Ankunftszentrum verbleiben, beträgt vier bis fünf Monate.

Das Straßenschild „Asylvej“ (Asylweg) im dänischen Sønderborg in der Nähe des Asylcenters.
Das Straßenschild „Asylvej“ (Asylweg) im dänischen Sønderborg in der Nähe des Asylcenters. | Bild: Carsten Rehder, dpa

Nach persönlichen Interviews, Identitäts- und Fallprüfungen steht fest, ob ein Antragssteller bleiben darf oder nicht. Sonderkontingente gibt es für bestimmte verfolgte Gruppen. Wer angenommen wird, wird aus Sandholm in eine andere Unterkunft verlegt oder in einer Kommune untergebracht.

Dabei achten die dänischen Behörden darauf, dass keine Parallelgesellschaften entstehen. Beträgt der Migrantenanteil an einer Wohnbevölkerung mehr als 30 Prozent, kann es zu Zwangsumsiedlungen kommen.

Der Klageweg ist begrenzt

Gegen eine Ablehnung kann vor einem juristischen Gremium, das außerhalb der üblichen staatlichen Justizwege in Dänemark steht und in dem auch ein Vertreter des Flüchtlingsrats sitzt, einmalig Einspruch eingelegt werden – oder gegen eine Geldsumme darauf verzichtet werden.

Erfolgt der Einspruch, wird binnen kürzester Zeit darüber befunden, in über 90 Prozent der Fälle entspricht die Entscheidung der Ablehnung der ersten Instanz. Damit ist der Rechtsweg ausgeschöpft – und der abgelehnte Bewerber wird in ein Rückführungszentrum verlegt, in dem es nur noch eine Option gibt: die – freiwillige – Rückkehr.

Die baden-württembergische Justizministerin Gentges und Migrations-Staatssekretär Lorek in einem Raum im Ankunftszentrum Sandholm.
Die baden-württembergische Justizministerin Gentges und Migrations-Staatssekretär Lorek in einem Raum im Ankunftszentrum Sandholm. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Nur Sachleistungen in den Rückführungszentren

In den Rückführungszentren herrschen strenge Bedingungen, die schon mehrfach Anlass zu internationaler Kritik waren. „Schlimmer als in russischen Gefängnissen“ nannte ein EU-Menschenrechts-Bericht die Zustände. Gefängnisse sind es nicht, versichern die Dänen. Aber es gibt kein Geld mehr, nur noch Sachleistungen und Mahlzeiten und notwendigste medizinische Versorgung, die Unterkünfte sind spartanisch, der Ausgang ist reglementiert, der Kontrolldruck ist hoch.

Wer dabei kooperiert, erhält bessere Bedingungen, auch finanzielle Unterstützung, die allerdings erst vor Ort voll ausgezahlt wird. Zwangsrückgeführt werden lediglich Straftäter. Allerdings arbeitet auch Dänemark intensiv daran, dass die Herkunftsländer ihre Staatsbürger überhaupt zurücknehmen.

Extremen Rechten das Thema entrissen

Vor dem Besuch in Sandholm ist der Tross um Gentges zum Briefing beim deutschen Botschafter in Kopenhagen. Was ihnen Botschafter Pascal Hector dort berichtet – dass der harte Asylkurs in Dänemark mittlerweile auf einen breiten Konsens in der dänischen Bevölkerung stößt und mit dazu beigetragen hat, der extremen Rechten das Thema Migration zu entreißen, bestätigen in Sandholm auch Henrik Thomassen und Helle Bliggaard vom Dänischen Immigrations-Service (DIS).

Briefing der baden-württembergischen Delegation bei Pascal Hector (vorne links), dem deutschen Botschafter in Kopenhagen. Rechts ...
Briefing der baden-württembergischen Delegation bei Pascal Hector (vorne links), dem deutschen Botschafter in Kopenhagen. Rechts Ministerin Marion Gentges, Staatssekretär Siegfried Lorek und Landtagsabgeordnete Ayla Cataltepe (alle CDU), rechts hinten Migrationsforscher Gerald Knaus, der die deutsche Delegation begleitete. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

„Die Sozialdemokraten in Dänemark haben das verstanden“, kommentiert Lorek mit Blick auf Deutschland und die Debatte um das Migrations-Programm des CDU-Kanzlerkandidaten Merz.

Zwei wesentliche Unterschiede zum Südwesten

Gentges‘ Bilanz am Ende, ob Dänemark zum Vorbild taugt, fällt durchwachsen aus. „Wir konnten uns zweieinhalb Tage lang ein Bild davon machen, was Dänemark in den letzten Jahren in seiner Migrationspolitik verändert hat. Ich denke, es gibt zwei ganz wesentliche Unterschiede zu Deutschland und zu Baden-Württemberg. Erstens sind das die Zahlen, über die wir hier reden. Vieles geht mit kleineren Zahlen von Schutzsuchenden besser. Das zeigt vor allem auch, dass wir mit unseren Zugangszahlen runter müssen“, fasst die CDU-Politikerin zusammen.

„Und zweitens gibt es in Dänemark einen augenscheinlich weitreichenden Konsens zwischen Politik und Gesellschaft, die sich auf dem Feld der Migrationspolitik einig zu sein scheinen, auch zwischen den Behörden und den NGOs. Das ist sehr unterschiedlich im Vergleich zu uns.“

Der Rechtsweg ist deutlich kürzer

Vor allem einen Punkt will Gentges in Baden-Württemberg und in Deutschland in die Diskussion einbringen. „Es war in Dänemark immer die Rede von sehr schnellen, sehr effizienten Verfahren. Es gibt eine Entscheidung, und danach gibt es nur eine Behördeninstanz, die angerufen werden kann, und die trifft schnell eine finale Entscheidung“, bilanziert die Ministerin.

„Es gibt also nicht, wie bei uns, einen langen Rechtsweg mit vielen separaten Rechtsmitteln. Vielleicht brauchen wir etwas weniger Rechtswege.“ Das EU-Recht stehe dem jedenfalls nicht im Wege.

Geld für die Rückkehr? In Deutschland umstritten

Und der zweite Punkt für die Justizministerin ist ein in Deutschland umstrittener Ansatz. „Wenn ein Asylbewerber die erste ablehnende behördliche Entscheidung akzeptiert und sofort zusagt, zu kooperieren und das Land wieder zu verlassen, bekommt er eine finanzielle Unterstützung. Die Rede ist von 3500 Euro, die er in zwei Tranchen bekommt“, sagt Gentges.

„Die Dänen haben die Erfahrung gemacht, dass die Summe kein zusätzlicher Anreiz ist, um überhaupt erst ins Land zu kommen. Es geht dabei nicht um die konkrete Höhe des Betrags, sondern um das dahinterstehende Prinzip. Das ist zwar kein Punkt, für den in erster Linie ein Bundesland wie Baden-Württemberg zuständig ist, aber etwas, das wir uns überlegen müssen. Das Instrument wurde uns als sehr wirkungsvoll beschrieben.“

Viel Respekt und Zuwendung für Asylbewerber

Für Sozialarbeiter Jannich und seine Kollegen, stellvertretend für die 700 Beschäftigten im DIS, darf neben der klaren Rechtslage und der ganzen Effizienz im Prozess aber ein anderer Faktor nicht fehlen: Respekt, Verständnis und Zuwendung – auch im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern. „Das sind ganz normale Menschen, die in einer sehr unnormalen Situation gelandet sind“, sagt Yannich.

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Auch Claes Nilus von der dänischen Rückkehragentur nennt der Besuchergruppe Respekt als Prinzip. „Wenn jemand sagt, er geht nicht zurück, versuchen wir, es auf die sanfte Art zu machen. Wir hören zu. Wir überzeugen sie, dass es besser für sie ist, zurückzukehren.“

„Bei uns hast du keine Perspektive“

Viel gehe es dabei um Gesichtswahrung, denn junge Männer würden oft als Hoffnungsträger nach Europa geschickt. Natürlich komme es in den Rückkehrzentren auch zu Aggression. „Aber wenn wir Geduld haben und respektvoll bleiben, sind das sehr wenige Fälle“, sagt Nilus. „Wir sagen immer: Bei uns hast du keine Perspektive. Du hast ein besseres Leben in deinem Heimatland verdient, als monatelang hier im Rückführungszentrum mitten im Wald zuzubringen.“