Als Robert Storz am 12. Januar 2024 zur Arbeit kommt, klingelt das Telefon. Er nimmt den Hörer ab und hört die Frage, ob er am Tag darauf eine Schicht übernehmen kann. Es ist eine exemplarische Situation. „Finden sie keinen Ersatz, könnte der Zug krankheitsbedingt ausfallen“, meint der Lokführer.
Seit 2009 arbeitet der gelernte Schreiner für die Deutsche Bahn, fünf Jahre als Zugbegleiter, dann schult er zum Lokführer um. Üblicherweise fährt er die Schwarzwaldbahn zwischen Konstanz und Karlsruhe.

Als Angestellter der DB Regio Südbaden ist Storz Betriebsrat. Daneben ist er seit zehn Jahren Mitglied der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL), zwei davon als Vorsitzender der Ortsgruppe Villingen. Für den 42-Jährigen geht es bei dem Streik um nicht weniger als die Zukunft des Eisenbahnverkehrs.
Verständnis für die Passagiere
Dass der Streik den Frust zahlreicher Pendler nach sich zieht, ist dem Lokführer klar: „Ich habe für jeden Fahrgast vollstes Verständnis. Leider ist es unsere einzige Möglichkeit, dem Arbeitgeber zu zeigen, dass unsere Grenzen erreicht sind.“
Die Grenzen, die Storz meint, sind die Arbeitsbedingungen und der Personalmangel. Die Kernforderungen seiner Gewerkschaft haben für ihn vor allem einen Grund: die Bahn für den Nachwuchs attraktiver zu machen. „Wir brauchen junge Leute bei der Eisenbahn. Wenn ältere kommen, ist das gut, aber die sind in absehbarer Zeit wieder weg.“
Die 555 Euro mehr Lohn und zwei freie Tage statt bisher einem pro Woche sollen als zwei der Kernforderungen der GDL Anreize setzen, so Storz. Um die Notwendigkeit zu unterstreichen, erzählt der Lokführer aus seinem Berufsalltag.
Zermürbende Arbeitszeiten
Zwischen den Schichten müssen elf Stunden Freizeit liegen. Werden die eingehalten, kann etwa aus einem krankheitsbedingten Personalausfall ein Zugausfall werden, wenn niemand einspringen kann. So beschreibt es Storz.
Seine Jahresarbeitszeit beträgt 1984 Stunden. Das entspricht einer 38-Stunden-Woche. Allerdings kann er laut eigener Aussage für bis zu 60 Stunden die Woche eingeteilt werden – an sechs Tagen. Mit knapp 100 Überstunden und vier Tagen Resturlaub ist der Lokführer ins neue Jahr gestartet. Wegen des Personalmangels ist er skeptisch, ob er die jemals abbauen kann.
In breitem Alemannisch schildert der Betriebsrat die täglich wachsende Überlastung aufgrund kurzfristiger Änderungen im Wochenplan und der Schichtzeiten allgemein: „Es wird minutengenau geplant. Eine Schicht kann um 3.05 Uhr beginnen, die nächste um 5.15 Uhr und am nächsten Tag um 14 Uhr. Diese Zeiten zermürben, die Kollegen laufen am Limit“, skizziert Storz die Lage.

Dazu sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage des SÜDKURIER: „Der Wechseldienst gehört dazu, Züge fahren immer, und weniger Arbeitszeit bedeutet am anderen Ende höheren Personalbedarf.“ Laut dem Sprecher wurden 2023 bei der Bahn 25.000 neue Mitarbeiter eingestellt. Auch die Zahl der Ausbildungsplätze sei um zehn Prozent auf 880 Plätze erhöht worden.
Storz hält dem entgegen: „Das mag auf dem Papier so sein. Doch die Prüfungen der Quereinsteiger sind hart, die Durchfallquote deshalb hoch. Auch am Gesundheitsbescheid des Bahnarztes scheitern viele.“ Der Lokführer schätzt, etwa ein Drittel könnte überhaupt nur in den Beruf starten. Laut Angaben der Deutschen Bahn bestehe die Mehrheit die Prüfungen.
Unangemessener Lohn
„Die Verantwortung eines Lokführers wird unterschätzt“, meint Storz. Vor Fahrtbeginn müsse er das Türsystem überprüfen, die Bremsen und die generelle technische Einsatzbereitschaft des Zuges feststellen. Die Lokführer seien für die Fehlersuche und teilweise sogar die Fehlerbehebung zuständig.
„Viele Lokführer opfern ihre Freizeit, damit die Züge pünktlich abfahren“, sagt der 42-Jährige. „Unser Ziel ist es, den Zug pünktlich von A nach B zu bekommen. Das birgt nur Schwierigkeiten, wenn die Zugtechnik veraltet und die Strecke marode ist.“ Storz geht von 15 Störungen bei 20 Schichten aus.
Und wie sieht es mit der Bezahlung aus? Storz verdient etwa 3200 Euro brutto plus Zulagen, etwa bei Nachtschichten, an Feiertagen und sonntags oder bei Dienstbeginn vor vier Uhr morgens. Unterm Strich blieben am Ende etwa 2400 Euro netto monatlich, rechnet er vor. In Anbetracht seiner Verantwortung ist das für ihn kein angemessener Lohn.
Nach Angaben der Bahn liegt Storz damit noch im Ausbildungsgehalt. „Das Jahresgehalt eines Lokführers in Funktionsausbildung schwankt je nach Berufserfahrung zwischen 33.800 und 36.400 Euro brutto“, schildert ein Sprecher.
Dass Storz an seinem Job festhält, hängt mit der Eigenverantwortung zusammen, die er als Lokführer hat. „Ich bin mein eigener Chef, niemand redet mir rein“, sagt er. Und wenn er seine Bewunderung für einen Sonnenaufgang über dem Bodensee beschreibt, klingt sogar etwas Eisenbahn-Romantik an.