Die Zeiten, in denen gefühlt alle paar Wochen eine neue Corona-Verordnung herauskam, sind vorbei. Die nächtlichen Runden der Ministerpräsidenten, die mit dem Bund um einen Maßnahmenkatalog rangen, der dann doch wieder unterschiedlich umgesetzt wurde, ebenso. Das neue Infektionsschutzgesetz hat aufgeräumt mit dem Wirrwarr – zumindest derzeit. Doch was, wenn die Infektionslage sich weiter verschärft? Schon werden wieder Rufe nach einer verschärften Maskenpflicht laut.
Tatsächlich sind die Inzidenzen landesweit in den vergangenen Wochen stetig gestiegen. In einigen Kreisen im Südwesten haben sie die 1000er-Marke wieder überschritten, beispielsweise in Sigmaringen (Stand: 14. Oktober 2022).
Überschaubares Regelwerk
Vorschriften für die Bürger gibt es nach den aktuellen Regeln des Infektionsschutzgesetzes nicht mehr viele: Lediglich die Maskenpflicht im Fernverkehr, in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen bleibt. In Baden-Württemberg gilt sie auch im öffentlichen Nahverkehr. Zudem muss in Krankenhäusern und Pflegeheimen ein negativer Test vorgelegt werden.
Die Länder dürfen weitere Maßnahmen anordnen – allerdings in begrenztem Umfang. So sieht das neue Gesetz vor, dass die Länder die Maskenpflicht auf Innenräume ausweiten dürfen, auch im Freizeitbereich wie in Restaurants und Fitnessstudios sowie in Schulen ab der fünften Klasse. Dort kann zudem auch die Testpflicht wieder eingeführt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts notwendig ist. Auch in Asylunterkünften wäre das dann wieder möglich.

Der Bund nennt dieses Paket die „Winterreifen“: Kommt es ganz hart, müssen die „Schneeketten“ her. Diese setzen die Maskenpflicht ohne Ausnahme fest, sehen Hygienekonzepte vor und das bekannte Abstandsgebot. Selbst Obergrenzen für Veranstaltungen in Innenräumen wären dann wieder an der Tagesordnung.
Was Stuttgart plant
Aber würde das Land Baden-Württemberg davon auch Gebrauch machen? Die Antwort ist lang und nicht ganz unkompliziert. „Verschlechtert sich die Infektionslage und wird dadurch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastruktur bedroht, wird Baden-Württemberg weitergehende Maßnahmen zum Schutz ergreifen“, sagt der Sprecher des Sozialministeriums, Pascal Murmann.
Soll heißen: „Zunächst werden möglichst wenig einschneidende Maßnahmen wie insbesondere Maskenpflichten in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Testpflichten in ausgewählten Bereichen in Erwägung gezogen.“ Ob sich das aber „auf alle öffentlich zugänglichen Innenräume beziehen wird oder lediglich auf ausgewählte besonders betroffene Bereiche“, hänge vom Infektionsgeschehen ab.
Welche Faktoren eine Rolle spielen
Sollten die Maßnahmen nicht ausreichen und das Gesundheitssystem wieder stärker belastet werden oder die sogenannten kritischen Infrastrukturen nicht mehr störungsfrei funktionieren, können laut Murmann weitere Maßnahmen folgen. Dazu muss allerdings der Landtag ins Boot geholt werden. Nur mit Zustimmung der Abgeordneten wären dann Einschränkungen wie die genannten Personenobergrenzen bei Veranstaltungen möglich. „Diese Maßnahmen sind als Ultima Ratio zu verstehen und sollen lediglich als letztes Mittel zum Einsatz kommen“, betont der Sprecher.
Ob das nötig wird, will das Sozialministerium anhand der bekannten Pandemie-Indikatoren entscheiden – die Sieben-Tage-Inzidenz, der sogenannte R-Wert, der Aufschluss über das Potenzial der Ansteckungen gibt, die Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz und die Belegung der Intensivstationen, aber auch das Abwasser-Monitoring, das zeigt, wie viele Virenrückstände im Wasser gefunden werden.
Keine Corona-Ampel mehr
Warum aber gibt es kein Stufensystem mehr, wie wir es aus dem vergangenen Pandemie-Winter kennen? Damals waren Hospitalisierungs- und Intensivpatienten-Quote maßgeblich für die nächste Stufe der „Corona-Ampel“. Grenz- oder Schwellenwerte sind in der neuen Corona-Verordnung des Landes nicht mehr zu finden. „Es ist aufgrund der Vielzahl der zu beachtenden Indikatoren und der Vielzahl der denkbaren Entwicklungen jedoch nicht mehr möglich, ein Stufensystem mit im Voraus bestimmten Maßnahmen zu regeln“, ergänzt Murmann.

Und was sagt die Wissenschaft dazu? Gerade hat der Ärzteverband Marburger Bund die Rückkehr zur allgemeinen Maskenpflicht gefordert. Der SÜDKURIER hat mit der Freiburger Virologin Valeria Falcone gesprochen. Sie sagt: „Dort, wo Corona-Infektionen ein Risiko darstellen können, also in Krankenhäusern und Pflegeheimen, ist die Pflicht schon sinnvoll. Eine umfassende Maskenpflicht, wie wir sie in den problematischen Phasen der Pandemie hatten, brauchen wir in der heutigen Situation bei den aktuell bekannten Virus-Varianten wohl nicht mehr.“
Wichtig sei die persönliche Verantwortung für andere – das bedeutet, freiwillig Maske zu tragen und beim Auftreten von Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Zwar glaubt die Virologin nicht, dass es noch schärfere Instrumente braucht: „Maßnahmen wie Kontaktsperren oder Lockdowns wie zu Beginn der Pandemie brauchen wir wahrscheinlich nicht mehr, auch Schulschließungen nicht.“
Dennoch könne eine Ausweitung der Maskenpflicht sinnvoll sein: „Wenn die Zahlen auf den Intensivstationen derart steigen, dass es zu Problemen für Patienten oder Personal kommt, sollten die wirkungsvollsten Maßnahmen wohldosiert angewandt werden“, sagt Falcone. Vieles hängt davon ab, wie das Virus weiter mutiert und ob es wie die aktuelle Variante eher zu milden Verläufen führt. Vorhersagen lässt sich das aber nicht.