Den eigenen Horizont erweitern und verschiedene Sichtweisen kennenlernen – das könnten laut Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ziele eines Pflichtdienstes sein. Der Präsident hatte vorgeschlagen, dass alle jungen Leute in Deutschland verpflichtend einen Gesellschaftsdienst leisten sollen – ob bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich sei hierbei egal.

Ganz neu ist der Vorschlag nicht. Zuletzt hatte die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer dafür geworben. Kein Wunder: Schließlich hat sich ihre CDU lange Zeit sehr schwer mit dem Ende der Wehrpflicht getan – auch wenn sie es selbst herbeigeführt hatte.

Ein Pflichtjahr hat Fans auf verschiedensten Seiten: Viele ehemalige Zivis erinnern sich an die damals gemachten wertvollen Erfahrungen zurück, die ihnen Einblicke in Lebensbereiche verschafft haben, die sie sonst wohl nie gehabt hätten. Befürworter einer größeren Wehrhaftigkeit sehen sich aktuell durch den Ukraine-Krieg bestätigt, der deutlich macht, dass Krieg in Europa doch nicht für alle Zeiten gebannt ist, wie gehofft.

Was auffällt: Bei der Debatte wird oft über die jungen Leute geredet, seltener aber mit ihnen. Aber was sagt eigentlich die Generation, die der Pflichtdienst treffen würde? Der SÜDKURIER hat sich bei jungen Menschen aus der Region umgehört:

Tassilo Stewanowitsch, 20, Student der Wirtschaftswissenschaften und Kreisvorstand der Jungen Liberalen in Konstanz

Tassilo Stewanowitsch, Student
Tassilo Stewanowitsch, Student | Bild: Angelika Wohlfrom

„Ein verpflichtender Dienst wäre eine unterkomplexe Antwort auf eine zu komplexe Frage und ein großer Eingriff in die Freiheit jedes Einzelnen. Solche Grundrechtseingriffe müssen aber begründet und alternativlos sein. In diesem Fall gibt es aber eine Alternative – nämlich, das Ehrenamt attraktiver zu gestalten. Ich selbst wusste schon am Ende der Schulzeit, dass ich studieren möchte. Mich persönlich hätte so ein Pflichtdienstjahr also eher in meiner Entwicklung gebremst. Eine Forderung nach einem verpflichtenden Gesellschaftsdienst bringt außerdem einen vorwurfsvollen Ton an die Jugend mit sich. Ich finde, dass unsere Jugend bereits jetzt hohe moralische Ansprüche hat – egal, ob bei Themen wie Klima oder Gendergerechtigkeit.“

Khushali Shah, 19, Freiwilliges Soziales Jahr am Jugendzentrum Konstanz

Khushali Shah, Freiwilliges Soziales Jahr
Khushali Shah, Freiwilliges Soziales Jahr | Bild: Khushali Shah

„In meinem FSJ habe ich Eigenschaften wie Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit gelernt. Und auch, wenn meine Meinung zu einem Pflichtdienst gespalten ist, würde ich mich letztendlich dagegen entscheiden. Allein das Wort ‚Pflicht‘ schreckt ab, denn wenn man etwas machen muss, weil es ein anderer einem vorschreibt, hat man automatisch weniger Lust darauf. Jugendliche fühlen sich dann, als würde ihnen die frisch gewonnene Freiheit nach Schulende direkt wieder durch einen solchen Pflichtdienst genommen werden.

Ohne Elan funktioniert sowas auch schlichtweg nicht – im Jugendzentrum muss man beispielsweise einfach Lust haben, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Die Bürokratie wirft bei mir auch Fragen auf: Wie will man auf einmal die ganzen Stellen schaffen? Und in welchem Alter sollte der Dienst denn absolviert werden? Schließlich haben nicht alle jungen Leute im gleichen Alter die Schule beendet. Ich würde also sagen: Engagement ja, Pflicht nein.“

Kimberly Bierhoff, 22, Freiwilliges Soziales Jahr am Jugendzentrum Konstanz

Kimberly Bierhoff, Freiwilliges Soziales Jahr
Kimberly Bierhoff, Freiwilliges Soziales Jahr | Bild: Kimberly Bierhoff

„Grundsätzlich würde ich einen verpflichtenden Dienst gut finden, weil ich weiß, wie wertvoll das für die Gesellschaft und für einen selbst sein kann – vor allem, wenn die Träger es ausgestalten können, wie sie es für gut empfinden. Nach dem Abitur hatte ich mich für ein Studium entschieden, mit der Zeit hat sich dann aber herauskristallisiert, dass ich mein Studium eigentlich überhaupt nicht mochte, aber auch nicht wirklich wusste, was ich sonst machen will.

Ich habe mich dann sehr bewusst für das FSJ als Orientierungsjahr entschieden. Grundsätzlich finde ich ein Pflichtdienstjahr also nicht schlecht, aber der Fokus sollte auf der Weiterentwicklung der Charaktere junger Menschen liegen und nicht zu einem Jahr werden, in dem Jugendliche harte, schlecht bezahlte Arbeit leisten und fehlendes Personal aufstocken sollen.“

Giuliana Ioannidis, 24, Studentin der Politik- und Verwaltungswissenschaften und Kreisvorstand der Jusos Konstanz

Giuliana Ioannidis, Studentin
Giuliana Ioannidis, Studentin | Bild: Giuliana Ioannidis

„Ich habe selbst noch keine abschließende Meinung über einen Pflichtdienst. Einerseits ist der Dienst für die Gesellschaft ein wichtiges Thema, das stärker diskutiert werden könnte, und bringt sicherlich einen Mehrwert. Der Knackpunkt liegt allerdings bei der Ausgestaltung. Es müsste auf jeden Fall die Vergütung angepasst werden, damit sich einen solchen Dienst überhaupt jeder leisten kann. Ein Pflichtdienstjahr würde einen Eingriff in die individuelle Lebensplanung jedes Jugendlichen bedeuten.

Die junge Generation wurde schon in der Pandemie sehr stark gefordert. Mit der Schulpflicht haben wir außerdem schon eine Pflicht für junge Leute, ob da eine weitere Pflicht die richtige Maßnahme ist, weiß ich nicht. Ich kann aber nicht für die nachfolgende Generation sprechen, die das gegebenenfalls betreffen würde. Ich selbst bin ja schon einige Jahre aus der Schule draußen.“

Ioannis Tagos, 25, Doktorand der Politik- und Verwaltungswissenschaften und Vorsitzender der Studierendenschaft der Uni Konstanz

Ioannis Tagos, Doktorand
Ioannis Tagos, Doktorand | Bild: Ioannis Tagos

„Ein verpflichtendes soziales Jahr für alle ist nur auf den ersten Blick sozial. Gerade als junger Mensch unter ärmeren Verhältnissen ist man darauf angewiesen, möglichst früh Geld zu verdienen, um eine Existenzgrundlage oberhalb der Armutsgrenze zu haben. Ein ganzes Jahr unbezahlte Arbeit sorgt nur dafür, dass die eigene Armut länger Bestand hält. Die Ungleichheit wird dadurch verstärkt.“

Teresa Rietzler, 22, Ausbildung zur Erzieherin in Konstanz

Teresa Rietzler, Auszubildende
Teresa Rietzler, Auszubildende | Bild: Teresa Rietzler

„Meiner Meinung nach sollte jeder mal ein Jahr in einem sozialen Bereich arbeiten. Ich selber habe ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Grundschule gemacht und es hat mich um einiges weitergebracht. Nicht nur, dass ich dadurch meine Laufbahn gefunden habe, sondern auch, dass ich auch mal die Seite der Lehrer und Lehrerinnen gesehen und gemerkt habe, dass das alles nicht so einfach ist, wie es immer scheint.

Ein Pflichtjahr schätze ich daher als eine sehr gute Idee ein – egal, ob es letztendlich ein Freiwilliges Soziales Jahr, ein Freiwilliges Ökologisches Jahr oder eine andere Art von Dienst ist . Durch dieses Jahr kann man seiner Heimat auch Unterstützung geben und vielleicht findet der ein oder andere auch seinen Beruf in diesem Jahr.“

Larissa Schäuble, 23 , Raumausstatterin, besucht die Meisterschule in Singen und Bad Saulgau

Larissa Schäuble, Meisterschülerin
Larissa Schäuble, Meisterschülerin | Bild: Larissa Schäuble

„Ich denke, dass ein Pflichtdienst den Jugendlichen durchaus eine Orientierungshilfe sein kann, weil es ja so viele Möglichkeiten gibt, seine Zukunft und auch seinen Berufsweg zu starten oder zu beschreiten. Fraglich ist allerdings, ob die Pflicht viele Jugendliche nicht abschreckt und sie das Gefühl bekommen, bevormundet zu werden. Das könnte demotivierend sein.

Ich kann mir vorstellen, dass soziale Arbeit, sei es in der Pflege oder in anderen Bereichen, sehr viel zur persönlichen Entwicklung, zu mehr Toleranz und zu einem guten Miteinander beitragen kann. Das wäre im Allgemeinen sehr wichtig. Allerdings sind auch noch viele Fragen offen, zum Beispiel nach der Entlohnung oder nach der Anrechnung an den Abschluss. Um mich wirklich dafür oder dagegen zu positionieren, müsste das Konzept noch deutlich mehr ausgearbeitet werden.“

Emre Yilmaz, 17, Schüler und Vorstandsvorsitzender des Jugendparlaments in Friedrichshafen

Emre Yilmaz, Schüler
Emre Yilmaz, Schüler | Bild: Emre Yilmaz

„Meines Erachtens wäre ein Pflichtdienst eine Einschränkung in meiner Handlungsfreiheit. Mein Ziel ist es, nach dem Abitur zu studieren und dann auch direkt zu arbeiten. Bei einem verpflichtenden Gesellschaftsdienst würde ich zu viel Zeit verlieren. Natürlich kann man nicht wissen, ob so ein Dienst einem vielleicht gefallen würde. Jedoch gibt es viele Menschen, die jetzt schon wissen, dass sie solch einer Tätigkeit nicht nachgehen wollen.

Auf Zwang würden viele in diesem Gesellschaftsdienst nicht die erwartete Leistung bringen. Die Gesellschaft würde bestimmt von solchen Diensten profitieren, nicht aber von schlecht gelaunten jungen Menschen, die Lücken im System schließen sollen, weil der Staat es nicht organisiert bekommt.

Mein Vorschlag wäre, dass der Gesellschaftsdienst freiwillig bleibt, dafür jedoch mit besseren Anreizen. Es sollen zum Beispiel die Talente von jungen Menschen gefördert werden, in dem sie einen abwechslungsreichen Alltag haben und erfahren können, was ihnen besser liegt. Viele junge Menschen machen ein FSJ ja auch, weil sie nicht wissen, was ihre Stärken und Schwächen sind. Aufgrund dessen braucht es eine bessere Beratung.“