Ein solcher Hilferuf sucht seinesgleichen. Die Schulen sind jenseits der Belastungsgrenze: Unter dieser Überschrift steht eine Resolution, die von rund 16.000 Lehrkräften an 600 Schulen im Südwesten getragen wird. Sie wurde im März und April bei den Personalversammlung an den vier Schulämtern im Regierungspräsidium Tübingen – Markdorf, Biberach, Tübingen und Albstadt – nahezu einstimmig verabschiedet.
„Die Arbeitsbedingungen haben die Grenzen des Zumutbaren überschritten“, unterstrich Martina Jenter-Zimmermann, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Bezirk Südwürttemberg, am Donnerstag bei einem Pressegespräch, um die Resolution zu veröffentlichen. Es brauche dringend mehr Geld für Bildung im Land.
Was sind die drängendsten Probleme?
Grundproblem ist der Lehrermangel seit Jahren, der vor allem in Grundschulen grassiert. Hier sei das Lehrer-Schüler-Verhältnis das schlechteste im Vergleich aller Bundesländer, so die GEW-Bezirksvorsitzende. Schon zum Schuljahresanfang konnten in den meisten Bezirken nicht alle Stellen besetzt werden. Jeder Ausfall durch Krankheit oder Schwangerschaft verschärfe das Problem. „Die Personalsituation ist weit entfernt von einer ausreichenden Versorgung“, steht in der Resolution.
Die Auswirkungen sind laut GEW mitunter krass. Da wird in Schulen klassenweise die Vier-Tage-Woche eingeführt, weil es nicht genug Lehrkräfte gibt. In Waldshut-Tiengen habe die Hälfte aller Lehrer einer Schule keinen Lehramtsabschluss. Grundschullehrerinnen müssen über Wochen zwei Klassen betreuen, wenn die Kollegin fehlt. Lehrer arbeiten per Teilzeit-Abordnung immer öfter an zwei oder gar drei Schulstandorten.

„Wir füllen nur noch Lücken“, sagt David Funes vom GEW-Kreisvorstand im Bodenseekreis. Bis zu drei Vertretungsstunden pro Monat muss jede Lehrkraft leisten, ohne dass dies in der Statistik landet. „Das ist Lehrermangel mit Ansage“, kritisiert er eine „Bildungspolitik in Legislaturperioden“.
Immer mehr Lehrer ließen sich beraten, wie sie aus dem Job rauskommen, berichtet Heidi Drews, GEW-Kreisvorsitzende in Biberach. Die Belastungen steigen von Jahr zu Jahr. Digitalisierung, mehr Gesprächsbedarf mit Schüler, Eltern und im Team, dazu Leistungs-Evaluierungen – alles Mehraufwand on top ohne personelle Unterstützung. Darunter leide die Qualität des Unterrichts.
Teilzeit verbieten? „Genau der falsche Weg“
„Viele Lehrkräfte schaffen das nicht mehr in Vollzeit.“ Doch ausgerechnet die Teilzeitmöglichkeiten will Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) beschränken. Laut ihrem 18-Punkte-Plan für die Unterrichtsversorgung im nächsten Schuljahr sollen Lehrer ohne Voraussetzungen maximal auf 75 Prozent reduzieren dürfen. „Das ist genau der falsche Weg“, so Martina Jentner-Zimmermann.
Für David Funes stehen im Plan der Ministerin durchaus zwei, drei Punkte, die in die richtige Richtung gehen. So sollen erstmals befristet angestellte Lehrkräfte über den Sommer bezahlt werden. Im Großen und Ganzen lese sich der 18-Punkte-Plan „wie das Ausquetschen einer Zitrone bis auf den letzten Tropfen“. Es brauche endlich mehr Geld im Bildungssystem.
Was steht in der Resolution?
Die Forderungen stehen seit Jahren im Raum. Zuerst: Mehr Lehrer ausbilden, ausländische Abschlüsse schneller und unbürokratisch anerkennen, den Beruf attraktiver machen. Denn die Zahl der Bewerber sinkt seit Jahren, so die GEW. Schulleitungen brauchen Entlastung, echte Inklusion bedarf mehr Ressourcen und bessere Bedingungen.
Der Weg zu multiprofessionellen Teams an den Schulen benötige volle Unterstützung. Aktuell werde nichtpädagogisches Personal oft „aus schierer Not“ nur befristet und schlecht bezahlt eingestellt. „Wir brauchen gut ausgebildete Leute, die uns Arbeit abnehmen und nicht jedes Jahr neu eingelernt werden müssen. Das kostet Zeit und Geld“, erklärt Heidi Drews.
„Von Bildungsgerechtigkeit kann im Moment keine Rede sein“, steht in der Resolution. Durch den Lehrermangel erleben Schüler seit Jahren „nur unzureichenden Unterricht“. Im Ergebnis schneide Baden-Württemberg in Studien immer schlechter ab. „Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett“, sagt die GEW-Bezirksvorsitzende. Doch es ändere sich nichts. „Wir hoffen, dass endlich Konsequenzen gezogen werden und die Resolution politisch etwas bewirkt“, so Martina Jenter-Zimmermann. Letztlich treffe es die ganze Gesellschaft. „Wir brauchen Mittel und Wege, damit Bildung gelingt.“
Geflüchtete verschärfen die Lage noch
Laut Kultusministerium grassiert der Fachkräftemangel in vielen Berufssparten, nicht nur bei Lehrern. Deshalb sei die Situation auch nicht mit einigen wenigen Maßnahmen zu lösen. Dabei wird sich das Problem sogar noch verschärfen. Allein an den Grundschulen im Land werden vor allem durch den Zuzug Geflüchteter 18.300 Kinder mehr als heute erwartet, was 650 zusätzlichen Klassen entspricht. Wo die Lehrkräfte dafür herkommen sollen, steht in den Sternen.