Das Landgericht Konstanz stand an diesem Nachmittag ganz im Zeichen der Sicherheit. Für die Urteilsverkündung über die beiden letzten Angeklagten im sogenannten Mafia-Prozess hatten Polizei und Justiz die Überwachungsmaßnahmen hochgefahren. Polizeibeamte patrouillierten mit Maschinenpistolen vor dem Gebäude. Für die Besucher drinnen war Fieber messen, Atemschutzmaske auf, Leibesvisitation die Reihenfolge in Zeiten von Corona.

Nach 99 Verhandlungstagen sollten die letzten beiden Urteile fallen in diesem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Prozess um organisierten Drogenhandel, Waffenbesitz und Einschüchterungsversuche gegenüber Geschäftspartner.
Die beiden Angeklagten waren in dem Großverfahren noch verblieben, in dem es bereits Strafen zwischen einem Jahr und sechs Monate auf Bewährung und knapp neun Jahren gegeben hatte. Die meisten der überwiegend italienisch-stämmigen Angeklagten haben ihr Urteil angenommen.
Gegen den Hauptangeklagten hatte die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des versuchten Mordes erhoben und unter anderem deshalb 13 Jahre Haft gefordert. Der Angeklagte soll nach Ansicht der Ermittler im Mai 2017 fünf Schüsse aus einem Revolver auf ein Lokal in Hüfingen abgegeben haben – und dabei billigend in Kauf genommen haben, dass jemand im Haus zu Schaden gekommen wäre.
Kammer sieht keinen Beweis für versuchten Mord
Dafür sah die Schwurgerichtskammer aber keine klaren Beweise, wie der Vorsitzende Arno Hornstein in der anderthalb stündigen Begründung des Urteils feststellte. Dass der damals offenbar angetrunkene Angeklagte dem Inhaber des Lokals eine Lektion verpassen wollte, sei zwar sehr wahrscheinlich, einen vorsätzlichen Mordversuch gebe die Beweislage, die für das Gericht entscheidend sei, aber nicht her. „Die Kammer muss sich auf Fakten stützen“, so Hornstein. Gleichwohl bleibe Vieles in dem Verfahren im Dunkeln, räumte auch er ein. Auf mögliche Mafia-Bezüge, die sich aus Ermittlungen der italienischen Polizei ergaben, wollte Hornstein wie schon am ersten Verhandlungstag nicht eingehen. Er sprach vom „Mafia-Verfahren, das keines war“.

Dennoch sahen die Richter den Hauptangeklagten nach Anhörung hunderter abgehörter Gespräche und zahlreicher Zeugenaussagen in Puncto Drogenhandel schwer belastet. „Die Kammer ist davon überzeugt, dass Sie Drogengeschäfte gemacht haben. Sie hatten im Hintergrund eine tragende Rolle,“ sagte Hornstein mit Blick auf den Hauptangeklagten. Es ging vor allem um Marihuana im hohen Kilobereich, das unter tatkräftiger Mithilfe anderer Verurteilten die Besitzer gewechselt hatte. Im Vergleich dazu kam dessen geringer belasteter Sohn und Mitangeklagter mit zwei Jahren und fünf Monaten wegen Drogenhandels und Schusswaffenbesitzes noch glimpflich davon.
Richter kritisiert Anwälte der Angeklagten
Die Kammer hatte sich auch diese beiden Urteile in dem Großverfahren offenkundig nicht leicht gemacht. In einer persönlichen Stellungnahme äußerte Hornstein sein Befremden gegenüber dem Verhalten mehrerer Anwälte. Sie hätten in jedem der Beteiligten „einen Feind“ gesehen. Nicht zuletzt in der Kammer, deren Mitglieder reihenweise wegen Befangenheit abgelehnt wurden und die bis Ende 2019 mit „annähernd hundert Anträgen“ konfrontiert wurden. „Mir persönlich ist die Art und Weise der Verteidigung völlig fremd, das habe ich in 25 Jahren nicht erlebt.“

Nach der Urteilsverkündung ließ der Chefankläger Joachim Speiermann offen, ob er gegen das Urteil Revision einlegen wird. Er sei überrascht über die Kehrtwende der Kammer bei dem Vorwurf des versuchten Mordes. Das Urteil gegen den Hauptangeklagten halte er für moderat, so Speiermann. Widerlegt sei auch der Vorwurf der Verteidigung, dass es sich bei den Angeklagten um ehrenwerte Kaufleute gehandelt habe, deren Existenz von der Justiz vernicht wurden.
Rechtsstaat gibt‘s nicht zum Nulltarif
Damit endet eines der aufwendigsten Verfahren in der Geschichte des Konstanzer Landgerichts. Der Prozess begann nach monatelangen Ermittlungen am 21. September 2018 in Karlsruhe, weil das Verhandlungsgebäude auf dem ehemaligen Siemens-Areal in Konstanz nicht rechtzeitig umgerüstet werden konnte. Zum einen sorgte die umfangreiche Beweisaufnahme für eine lange Dauer des Prozesses. So wurden mehrere hundert abgehörte Telefongespräche dem Gericht vorgespielt und von zwei Dolmetscherinnen übersetzt. Darin ging es zum einen um Rauschgiftgeschäfte im dreistelligem Kilobereich; zum anderen auch um mehrere gezielte Schüsse, die ein Angeklagter von der Baar auf ein Hüfinger Lokal abgegeben haben soll.

Die Behörden hatten im Vorfeld in Deutschland und Italien Vermögenswerte in Höhe von sechs Millionen Euro eingezogen.
Mehr als 600.000 Euro kostete der Umbau der ehemaligen Siemenskantine
Allein die Telefonüberwachung der meist auf Italienisch geführten Gespräche kostete nach Angaben des Justizministeriums 113.000 Euro, ein Großteil davon waren Übersetzungskosten. Nach einer Auflistung des Innenministeriums vom Juni vergangenen Jahres kosteten Miete, Umbau und Ausstattung der ehemaligen Siemenskantine mehr als 600.000 Euro. Hinzu kommen weitere 760.000 Euro an Verfahrenskosten, wovon allein 500.000 Euro an die Pflichtverteidiger gingen – Stand Juni 2019. Weitere Kosten für Polizeischutz, Justizbeamte und Gefangenentransporte aus verschiedenen Vollzugsanstalten im Land noch nicht einberechnet.