15.800 körperliche Angriffe auf Polizeibeamte und andere Ordnungskräfte hat es laut Polizeilicher Kriminalstatistik allein im Vorjahr bundesweit gegeben, ein Plus von 5,9 Prozent gegenüber 2019. Für Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, ist die Polarisierung durch die Corona-Pandemie „eine der wesentlichen Ursachen“ für den Anstieg bei den Attacken auf Polizisten.
In diesem Zusammenhang musste sich am Montag der Querdenker Jürgen S. vor dem Amtsgericht Konstanz verantworten, weil er noch vor Beginn eines Corona-“Lichterspaziergangs“ am 18. Januar am Konstanzer Münsterplatz die Fassung verloren, einen Polizeibeamten verletzt und sich gegen seine Festnahme gewehrt haben soll.
„Zieh das Ding runter“
Es war kurz vor 18 Uhr, als der kommunale Ordnungsdienst vor dem Portal des Konstanzer Münsters die langsam eintrudelnde Menge aufforderte, Schutzmasken zu tragen, wenn sie kein Attest vorzuweisen haben. Darauf soll Jürgen S. laut dem polizeilichen Einsatzleiter, der vor Gericht als Zeuge aussagte, recht aufbrausend reagiert haben: „Zieh das Ding runter, wir müssen das noch nicht anziehen. Die Gelben (die Polizei trug gelbe Schutzwesten, Anm.) haben hier nichts zu melden und die Blauen (der kommunale Ordnungsdienst, Anm.) sowieso nichts“, soll S. zu seiner Ehefrau gesagt haben.
Als der Einsatzleiter der Polizei S. nach seinem Personalausweis fragte, soll dieser ihn laut angeschrien haben. „Die Demo habe noch nicht begonnen, ich könne – wortwörtlich – abfahren“, schilderte der Einsatzleiter vor Gericht.
„Er hat sich lautstark echauffiert“
Daraufhin soll S. seinen Namen lautstark über den Münsterplatz gerufen haben und weggelaufen sein. Ein etwa einminütiges Katz- und Mausspiel begann, bis der Einsatzleiter den Querdenker am Arm zu fassen bekommen hat. „Er hat sich lautstark echauffiert. Kollegen wollten ihn zum Fahrzeug führen. Andere Demoteilnehmer wurden darauf aufmerksam und bewegten sich in unsere Richtung. Ich wurde von der Menge aufgefordert, den ‚Gewaltexzess‘ zu unterbinden, es war ein lautes Geschrei und die Stimmung war sehr aufgebracht“, erinnert sich der polizeiliche Einsatzleiter. Er ist davon überzeugt, dass S. mit seinem Geschrei die anderen Demoteilnehmer aufstacheln wollte.
Schließlich wurde S. von zwei Beamten nach seinem Ausweis durchsucht. „Er hat versucht sich loszureißen. Wir mussten ihn am Boden fixieren und zum Dienstfahrzeug bringen. Ich habe ihm mehrfach gesagt, dass er seinen Widerstand aufgeben soll. Auf einmal hat er nach hinten ausgetreten und mich am Schienbein erwischt“, sagte ein 30-jähriger Polizist vor Gericht aus. Dann soll S. zum Beamten gesagt haben, dass er sich Gesichter gut merke und „Jagd“ auf ihn machen werde.
200 Euro Schmerzensgeld angeboten
Dass diese Aussage gefallen sei, daran konnte sich der 57-jährige Beschuldigte vor Gericht nicht mehr erinnern. „Sich ein Gesicht zu merken, ist mit Maske schwer. Ich hasse Gewalt, weil ich in meinem Leben selbst viel Gewalt erlebt habe“, sagte S. Bereits im April hatte er dem verletzten Polizisten einen Entschuldigungsbrief geschrieben und ihm ein Schmerzensgeld angeboten, ohne eine Antwort zu erhalten.
Die Verhandlung nutzte er, um sich persönlich beim Beamten zu entschuldigen. „Ich habe nicht bewusst getreten und es tut mir wirklich aufrichtig leid. Es war eine Ausnahmesituation, in der ich noch nie war“, sagte der Angeklagte und bot auch ein Schmerzensgeld in Höhe von 200 Euro an, das er in bar in einem Umschlag mit hatte. Der verletzte Polizist nahm die Entschuldigung an, „wenn sie wirklich ernst gemeint ist“, wollte aber von S. kein Geld entgegennehmen.
„Zustand höchster affektiver Erregung“
Die beiden Staatsanwälte Charlotte Eichler und Simon Pschorr sahen in ihrem Schlussplädoyer keinen Zweifel, dass die Aussage mit den Gesichtern und der Jagd tatsächlich so gefallen sei. Sie betonten die erhöhte Ansteckungsgefahr, die die Polizeibeamten aufgrund des Verhaltens von S. ausgesetzt waren, und forderten sieben Monate Freiheitsstrafe, die aber zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sowie 80 Stunden gemeinnützige Arbeit durch S.
Dessen Verteidiger, Tomislav Duzel, betonte in seinem Schlussplädoyer wiederum, dass sein Mandant nicht vorbestraft sei, ein „glaubhaftes und lückenloses Geständnis“ ablegte und Reue gezeigt habe. „Wir haben es hier nicht mit einer Widerstandshandlung in einer Kneipe zu tun, sondern mit einem Ausnahmezustand im Zustand höchster affektiver Erregung“, sagte Duzel. Das Verfahren habe genügend Wirkung auf seinen Mandanten gezeigt, weshalb eine Freiheitsstrafe bei einem Unbescholtenen nicht erforderlich sei und man es auch bei einer Geldstrafe belassen könne.
Auch unbedingte Haft wäre möglich gewesen
Die vorsitzende Richterin am Amtsgericht Konstanz, Marie-Theres Polovitzer, schloss sich am Ende bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe den beiden Staatsanwälten an und verurteilte S. – rechtskräftig – zu sieben Monaten Haft, die zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden, sowie zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Mildernd wertete sie seine Reue, fehlende Vorstrafen und dass der Polizeibeamte nur leicht verletzt wurde.
Als strafverschärfend sah die Richterin an, dass S. versucht habe, die Versammlung gegen die Polizei aufzustacheln, mit einer „Jagd“ drohte sowie das erhöhte Infektionsrisiko, dem die Beamten ausgesetzt waren. „Wären Sie nicht einsichtig gewesen wären, dann wäre auch bei einem Ersttäter eine unbedingte Freiheitsstrafe möglich gewesen. Sie müssen nicht ins Gefängnis, aber Bewährung kommt von sich bewähren. Wenn Sie die Auflagen nicht erfüllen oder eine neue Straftat begehen, dann wird die Strafaussetzung widerrufen und die Haftstrafe vollstreckt“, sagte die Vorsitzende Polovitzer und schloss die Verhandlung am Amtsgericht Konstanz.