Bringt die bisherige Form des Contact Tracings zur Eindämmung der Corona-Pandemie überhaupt etwas? Neue Erkenntnisse von Forschern der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) schüren jedenfalls Zweifel: Laut einer neuen ETH-Analyse basiert die Kontaktnachverfolgung in den meisten Ländern der Welt auf einer fehlerhaften Studie.
Wird jemand positiv auf Covid-19 getestet, erfragen Gesundheitsämter die Personen, mit denen der Infizierte bis zu zwei Tage vor Auftreten der ersten Symptome sowie seither Kontakt hatte. Grundlage dafür ist eine im März durchgeführte Studie der Universität Hongkong, laut der mit Covid-19 infizierte Menschen das Virus bereits zwei Tage vor Ausbruch der Krankheit weitergeben können.
„Man müsste die Kontakte bis zu vier Tage zurückverfolgen“
Doch diese 48-Stunden-Regel sei falsch, wie Forscher der ETH Zürich in einer Analyse aufzeigen, die vergangene Woche in der Fachzeitschrift Swiss Medical Weekly erschienen ist. Die Schweizer Wissenschaftler haben in der Hongkonger Studie einen Rechenfehler entdeckt. Laut den neuen Berechnungen sind Infizierte über einen längeren Zeitraum ansteckend als bisher angenommen. „Unsere Analysen zeigen, dass Infizierte das Virus bis zu fünf oder sechs Tage vor Ausbruch der Krankheit weitergeben können“, erklärte ETH-Forscher Peter Ashcroft gegenüber der Sonntagszeitung der Neuen Zürcher Zeitung.
Die neuen Erkenntnisse stellen die bisherige Form der Kontaktnachverfolgung, wie sie in der Schweiz und Deutschland praktiziert wird, infrage. „Will man 90 Prozent der präsymptomatischen Ansteckungen abfangen, müsste man die Kontakte bis zu vier Tage zurückverfolgen“, wird Ashcroft zitiert. Nachdem die ETH-Forscher ihre Hongkonger Kollegen über den Fehler informiert hatten, berichtigten diese auch die Originalpublikation entsprechend.
Wird die Corona-Kontaktnachverfolgung jetzt angepasst?
Haben diese neuen Erkenntnisse nun Folgen für das Contact-Tracing in Deutschland und der Schweiz? Das Robert-Koch-Institut (RKI) teilt auf SÜDKURIER-Anfrage am Montag mit, dass es die Studie sehr gründlich prüfen werde. Derzeit könne aber noch keine fundierte Einschätzung gegeben werden. Das schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die ETH-Analyse zur Kenntnis genommen, wie es am Sonntag bestätigte.
„Wir sind derzeit dabei, ihre möglichen Auswirkungen auf das Contact-Tracing zu evaluieren“, sagte BAG-Sprecher Yann Hulmann. Die ETH-Studie werde Thema in der anstehenden Diskussion mit der wissenschaftlichen Task Force sein. „Im Moment können wir daher noch nicht sagen, ob wir dem Vorschlag folgen werden“, so Hulmann weiter.