Seit wenigen Tagen hat es ein Katzenhalter in Walldorf amtlicherseits auf dem Tisch liegen. Seine Katze sei trotz Ausgangssperre zum wiederholten Mal im Walldorfer Südpark gesichtet worden, schreibt in höflichem Amtsdeutsch das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, Untere Naturschutzbehörde, Amt für Landwirtschaft und Naturschutz. Im Wiederholungsfall müsse davon ausgegangen werden, dass der Katzenhalter die Ausflüge seiner Katze trotz der geltenden Allgemeinverfügung billigend in Kauf nehme.

Dann wäre das Amt gezwungen, heißt es, das Zwangsgeld von 500 Euro einzutreiben. Auch eine mehrfache Festsetzung des Zwangsgelds sei möglich – im Fall, dass eine Haubenlerche oder ein Jungvogel „durch die Katze zu Schaden“ komme, auch ein Bußgeldverfahren, schreibt die Behörde mit freundlichen Grüßen.

Diese Art von Post, sagt Volker Stutz, der Vorsitzende des Tierschutzvereins Wiesloch/Walldorf und Umgebung e. V., der das Schreiben vom 20. Juni 2022 anonymisiert weitergibt, erhalten gerade einige Katzenbesitzer im südlichen Teil von Walldorf, einem 14.000-Einwohner-Städtchen im Rhein-Neckar-Kreis südlich von Heidelberg.

Eingesperrte Katzen, verzweifelte Besitzer

Ehrenamtler Stutz hat alle Hände voll damit zu tun, sich um die ganzen Anfragen, die Kommunikation mit den Behörden und die Rechtsberatung der Katzenhalter mit ihren seit mehreren Wochen eingesperrten Freigänger-Katzen zu kümmern. Von der emotionalen Betreuung verzweifelter Katzenhalter, deren an den Freigang gewöhnte Schmusetiger sich eingesperrt in unberechenbare und aggressive Hausterroristen verwandeln, gar nicht zu reden. Weitere Medienanfragen kann Stutz deshalb zurzeit nicht mehr beantworten, der Rummel der ersten Wochen hat ihm schon gereicht.

Seit Mitte Mai besteht für die Katzen rund um den Walldorfer Südpark, ein Areal im Süden der Stadt, eine bundesweit in dieser Form einmalige Ausgangssperre, die selbst international für Aufsehen gesorgt hat. Grund für den vom Landratsamt per Allgemeinverfügung erlassenen Hausarrest, der in der Brutzeit der Haubenlerche für den Zeitraum vom 1. April bis 31. August auch noch für die Folgejahre bis 2025 gilt, sind einige wenige Brutpaare der vom Aussterben bedrohten und unter strengem Naturschutz stehenden Haubenlerche.

Eine Haubenlerche sitzt auf einem Ast. Der Vogel ist vom Aussterben bedroht.
Eine Haubenlerche sitzt auf einem Ast. Der Vogel ist vom Aussterben bedroht. | Bild: Andreas Trepte/dpa

Sie sind auf dem Areal zu Hause und unterliegen seit Jahren – nämlich seitdem die Gemeinde Walldorf hier Neubaugebiete ausgewiesen hat – vor Ort dem Monitoring eines Naturschutzbüros. Dieses Büro überwacht und dokumentiert auch die Ausbrecher-Katzen und verfolgt sie notfalls bis zum Besitzer zurück. Wie viele der geschätzt 300 in der Gegend lebenden Katzen Freigänger sind, ist nicht bekannt.

Für die Haubenlerchen-Population in diesem Gebiet wird es eng. Aber nicht nur wegen der Katzen und anderen potenziellen Vogelkillern, etwa großen Greifvögeln oder Störchen – sondern vor allem auch wegen der neuen Häuser rundherum, deren für brütende Vögel wertlosen Ziergärten, den Spiel- und Parkplätzen, die den natürlichen Lebensraum der Vögel immer weiter eingegrenzt haben.

Haubenlerchen sind in der Regel Bodenbrüter und samt ihrer Jungvögel leichte Beute für Katzen. Alternative, katzensichere Brutstätten nehmen sie nur schwer an. Erwachsene Vögel sind zudem ortsfest, eine Umsiedelung auf Ausgleichsflächen, wie sie in Walldorf versucht wird, gelingt, wenn überhaupt, nur mit Jungvögeln. Und das kann Jahre dauern.

Auf drei oder vier Brutpaare wird der aktuelle Walldorfer Bestand in diesem letzten verbliebenen Bauabschnitt noch geschätzt. Genau weiß man das nicht, sagt Tobias Korta, Referatsleiter Naturschutz und Recht vom Regierungspräsidium Karlsruhe. Maßnahmen der Gemeinde aus den Vorjahren – etwa Schutzzäune und Appelle an die Katzenhalter – hätten nicht zu einer Erholung des Bestandes geführt.

Jeder Vogel zählt

„Es kommt auf jedes Brutpaar an“, sagt Korta. Sonst drohe Walldorf den gleichen Weg wie Oftersheim und Schwetzingen zu nehmen: In den Nachbargemeinden blieb es bei Appellen an die Katzenhalter, auf ihre Katzen zu achten. Seit 2019 ist die kleine Haubenlerchen-Population dort ausgestorben. Das Regierungspräsidium hat sich daher mit dem Landratsamt über die Allgemeinverfügung und die Walldorfer Ausgangssperre abgestimmt.

Korta wird nicht politisch, seine Richtlinie in Sachen Haubenlerche ist das Naturschutzgesetz, und das lässt keine Fragen offen. Wenn die Population gefährdet ist, müssen Schutzmaßnahmen erlassen werden und es darf eben nicht weitergebaut werden. Also geht es eigentlich gar nicht um die Katzen? „Zumindest dieser Interessenskonflikt wurde bislang wenig beleuchtet“, sagt Korta. „Man sollte vielleicht nicht über Katzen gegen Haubenlerche reden, sondern über Bauplätze gegen Haubenlerche.“

Eine Katze schaut aus dem Fenster eines Hauses. Vielleicht wäre sie gerade lieber draußen – so geht es in Walldorf gerade vielen ...
Eine Katze schaut aus dem Fenster eines Hauses. Vielleicht wäre sie gerade lieber draußen – so geht es in Walldorf gerade vielen Stubentigern. | Bild: Marcus Brandt/dpa

Davon aber erwähnt der Walldorfer Bürgermeister nichts. „Die Ausgleichsflächen sind schon lange vorbereitet worden, die Maßnahmen laufen seit vielen Jahren“, sagt Matthias Renschler. Was also tun mit den Haubenlerchen? Da weiß auch der FDP-Politiker keinen Rat. Bei der Haubenlerche sei es eben sehr schwer, sagt er.

Keine Transparenz, keine Kommunikation

Aber die Ausgangssperre für Katzen, die sei „realitätsfern und unverhältnismäßig“. Noch immer regt er sich darüber auf, dass das Landratsamt die Gemeinde „mit einer derart drastischen Maßnahme innerhalb von drei Tagen überrascht“ habe. „Es gab keine Transparenz, keine Kommunikation“, kritisiert Renschler. Die Stadt habe das nicht rechtzeitig kommunizieren können, die Stimmung der Katzenhalter sei entsprechend.

Auch die Möglichkeit einer Befreiung von der Ausgangssperre durch einen Nachweis per GPS-Tracking, das sich eine Katze gar nicht in dem Haubenlerchen-Areal aufhalte, sei erst vom kommenden Jahr an möglich. Katzen hinterherrennen will Renschler jedenfalls nicht. „Die Stadt Walldorf verfolgt Katzenhalter nicht, das muss das Landratsamt machen. Wir haben andere Aufgaben zu erfüllen“, sagt der Bürgermeister.

Das könnte Sie auch interessieren

Das nächste Wort haben nun wohl die Juristen. Bislang sind beim Landratsamt 42 Einsprüche gegen die Allgemeinverfügung eingegangen, bis zum 29. Juni läuft noch die Einspruchsfrist. Dann wird darüber entschieden, ob es vor die nächste Rechtsinstanz geht.

Der Deutsche Tierschutzbund hat im Auftrag des Walldorfer Tierschutzvereins bereits ein juristisches Kurzgutachten zur Zulässigkeit der Ausgangssperre erstellt, das zu einem eindeutigen Schluss kommt: „Die Allgemeinverfügung ist aus unserer Sicht aufgrund formeller und materieller Mängel rechtswidrig“, heißt es im Fazit. Bis aber ein Verwaltungsgericht diese Sicht bestätigt, geht der Kampf für die Katzenhalter von Walldorf weiter. In den eigenen vier Wänden, gegen Stubentiger mit Stubenkoller.