Vier Wochen vor der Wahl eines neuen Bundestags am 23. Februar hat Johannes Kretschmann seinen Platz im Parlament eingenommen. Er rückt für Stefanie Aeffner aus Pforzheim nach, die im Alter von 48 Jahren überraschend verstorben war. JFK, wie er sich gerne abkürzt, hatte nicht mit dem Einzug in den Bundestag gerechnet. Das berichtet er in einem eiligen Telefonat.

Er hatte auch kaum Zeit für die Vorbereitung auf den Vollzeit-Job und wurde ins politisch kalte Wasser geworfen. Als er am 27. Januar erstmals auf dem hellblauen Sessel Patz nahm, erlebte er vormittags die Gedenkstunde an den Holocaust – und bis in den späten Abend hinein die Debatte über verschärfte Regeln für die Zuwanderung, die von der Union angestoßen wurde.

Viel Zeit hat der 46-Jährige nicht. Sein Mandat als Nachrücker dürfte Ende März bereits ablaufen. In der Regel vier Wochen nach der Wahl am 23. Februar konstituiert sich dann der gewählte neue Bundestag, dem Kretschmann Junior nicht angehören wird. Nach seiner Niederlage 2021 gegen CDU-Mann Thomas Bareiss tritt der Schwabe in diesem Jahr nicht mehr an.

Bisher läuft es gut, berichtet er euphorisch. Er wohnt bei Freunden am Prenzlauer Berg. Dabei kommt ihm zugute, dass er viele Semester in der Hauptstadt studiert hat und das Gelände dort gut kennt. Auch kulturell fasste er schnell Fuß; er gehört zu den Gründern der „Zentralkapelle“ – ein Ensemble, in dem Kretschmann das Horn bläst.

Das Parlament sei aber doch eine Welt für sich, berichtet er der „Stuttgarter Zeitung“. Dabei kommt ihm zugute, dass er 2022 einige Monate im Bundestag als Sachbearbeiter tätig war und weiß, wie der Hase läuft. „Wenn ich den Bundestag nicht schon kennen würde, bräuchte ich eine Kindsmagd“, sagt er im schönsten hohenzollerischen Idiom.

Er ist gut beschäftigt

In der Grünen-Fraktion spricht er eher Hochdeutsch. Das gilt auch für seine Jungfernrede im Plenum, die zu nachtschlafender Stunde angesetzt wurde. Überhaupt sind die Tage lang, stöhnt der frischgebackene Berufspolitiker. Zur ersten Besprechung werde schon um neun Uhr gerufen. Um ein Uhr nachts habe er dann den Kuppelbau verlassen, da habe er gemerkt: „Das geht auf den Akku.“

Die politische Arbeit sagt ihm zu, zumal ihn seine Fraktion warmherzig empfangen habe. Sein Name sei schon ein Vorteil gewesen, da musste er sich nicht eigens vorstellen. „Der Bundestag passt für mich, die Arbeit ist gut und anstrengend.“ Seit Kurzem hat er eine Mitarbeiterin, die ihn unterstützt. Seinen Stab wird er nicht mehr vergrößern; das Budget, das Volksvertretern sonst zusteht, wird er damit nicht ausschöpfen.

Johannes Kretschmann hat erkannt, dass es auf jeden Abgeordneten ankommt. Seine Arbeit sei sinnvoll, unterstreicht er und nennt ein Beispiel: Beim CDU-Antrag zum Thema Migration hätten 348 Parlamentarier dafür gestimmt – und 344 mit Nein. Das knappe Ergebnis zeigt, dass Mehrheiten auch eine Frage der Präsenz im Parlament seien.

Was ihn am meisten beeindruckt: „Jeder und jede hat hier viel Verantwortung, das spürt man.“ Wenn seine Zeit vermutlich Ende März ausläuft, geht er zurück in sein ziviles Leben. Kretschmann lebt – wie seine Eltern auch – in Laiz, einem Dorf im Kreis Sigmaringen. Er verdient sein Brot als selbstständiger Autor und tritt mit schwäbischem Kabarett auf. Außerdem reist er als Dialekt-Fürsprecher durch die Lande, besucht Schulen und klärt dort eine staunende Lehrerschaft über die schöne Mundart auf.