Das Heiligblutfest ist der höchste Feiertag der Insel Reichenau. Doch war der Dreiklang aus gutem Wetter, traditionellem Gepräge und einem prominenten Redner der katholischen Hierarchie in diesem Jahr gestört. Der Festredner, der die Vesper am Sonntagabend leiten sollte, war am Donnerstag tot aufgefunden worden; Domkapitular Christof May aus Limburg hat sich nach bisherigem Stand selbst getötet. Die Seelsorger auf der Insel machten nach anfänglichem Schock das Beste aus der bitteren Situation: Kurzerhand sprang Reinhard Marx ein – Kardinal und Erzbischof von München- Freising. Er war ohnehin für den Montag vorgesehen, als Hauptzelebrant der Festmesse und Prediger. Anstelle von Christof May hielt der Kardinal eine Ansprache aus dem Stegreif und rettete die Feier.

Der Kardinal hielt keine Trauerpredigt

Der prominente Kirchenmann und zudem enge Berater von Papst Franziskus wollte keine Trauerpredigt halten. Er nahm den buchstäblich Roten Faden des höchsten Feiertags der Reichenau auf: Das Heiligblutfest erinnere unmittelbar an das Blut Christi. Dieses habe er vergossen als Opfer für die Menschen. So gesehen ziele dieser jährliche gefeierte Anlass ins Zentrum des christlichen Glaubens. Insgesamt hielt der Kardinal eine versöhnliche Ansprache, er sprach Worte der Hoffnung. Es war leicht erkennbar, dass er die Festlaune der zahlreichen Gäste und Einheimischen nicht verderben wollte sondern auf etwas verwies, was den Christen hinter seinem Tod erwartet.

Von Amtsmüdigkeit ließ Reinhard Marx nichts erkennen. Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Mann vor knapp einem Jahr noch sagte, die Kirche sei „an einem toten Punkt“ (so wörtlich) angekommen. Und dass er dem Papst seinen Rücktritt angeboten habe, was der Papst binnen kurzer Frist zurückwies. Die Reichenauer erlebten in ihrem steinalten romanischen Marien- und Markusmünster vielmehr einen Kirchenmann, der mit seinem Latein noch lange nicht am Ende ist. Nur die örtlichen Temperaturen machten dem gewichtigen Kardinal zu schaffen: Das insular feuchte Klima sowie das intensive Weihräuchern, das eine stattliche Schar an Ministranten nach Kräften unterstützte, brachten Marx stark ins Schwitzen.

Er übernahm kurzfristig: Reinhard Kardinal Marx.
Er übernahm kurzfristig: Reinhard Kardinal Marx. | Bild: Uli Fricker

„Dieses Fest ist keine Kirmes“

Als geübter Redner huldigte er auch dem Ort: „Ihr seid eine gute Insel“, sagte der Erzbischof, was die Einheimischen ohnehin wissen und doch stets gerne hören. 2006 war er schon einmal auf der Insel als Urlauber und damals noch Bischof in Trier. Alfred Heizmann († 2017), der große Menschenfreund und Fasnachter, hatte ihn damals auf seinem kleinen Boot die kleinen Schönheiten der Gegend – zwischen Kretzer und Kerner – gezeigt.

Das Blutfest ist der höchste Feiertag der Insel. Nicht nur der Turm des Münsters ist dann beflaggt.
Das Blutfest ist der höchste Feiertag der Insel. Nicht nur der Turm des Münsters ist dann beflaggt. | Bild: Uli Fricker

Kardinal Marx traf die Befindlichkeit der Reichenauer, um deren Fest es am Montag nach Pfingsten geht. Der fehlende Festredner, der von eigener Hand aus dem Leben ging, war natürlich Gesprächsthema. Aber, so sagte es Karl Wehrle als insulares Urgestein und Verkehrsamtsleiter am Rande der Vesper: „Das Heiligblutfest ist keine Kirmes. Wir feiern sie jedes Jahr, es findet immer statt. Wir würden es auch feiern, wenn der Papst am Vortag gestorben wäre.“ Das ist ziemlich klar.

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