Für Felicitas Rohrer ist die Gerichtsentscheidung ein schwerer Schlag. Die aus Bad Säckingen stammende 37-Jährige kämpft mit den Tränen, als die Vorsitzende Richterin das Urteil verkündet. „Es ist eine sehr große Enttäuschung“, sagt Rohrer dem SÜDKURIER nach dem Richterspruch.
Ihre Klage gegen den Pharmariesen Bayer im Streit um mutmaßlich lebensgefährliche Gesundheitsrisiken durch die millionenfach vertriebene Verhütungspille „Yasminelle“ hat der in Freiburg ansässige vierte Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe am Freitag in einer Berufungsverhandlung abgewiesen. Rohrer stehen somit weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld zu. Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines Zivilrechtsstreites, der vor mehr als zehn Jahren begonnen hat.

Rohrer erlebt auch in zweiter Instanz eine juristische Niederlage. Das OLG folgt in vollem Umfang dem Urteil der ersten Instanz. Schon das Landgericht Waldshut-Tiengen hatte im Dezember 2018 die Klage der Frau gegen die Bayer Vital GmbH, die das Verhütungsmittel vertreibt, abgewiesen. Die gesundheitlichen Probleme könnten nicht zweifelsfrei auf die Einnahme des Verhütungsmittels zurückgeführt werden, entschied das Gericht damals. Möglich seien auch andere Ursachen.
Diese Begründung liefert nun auch das OLG. Und entscheidet damit so wie das Gericht in Waldshut-Tiengen. Rohrer hatte gegen das Urteil der ersten Instanz Berufung vor dem OLG eingelegt. Unter anderem hatte sie die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von rund 200.000 Euro erreichen wollen.

Langer Leidensweg
Im Sommer 2009, als sie 25 Jahre alt war, nahm die damals in Bad Säckingen lebende Rohrer „Yasminelle“. Ihr Hausarzt hatte ihr diese weltweit eingenommene und von den Behörden zugelassene Anti-Baby-Pille verschrieben. Nach der Einnahme erlitt sie eine lebensgefährliche beidseitige Lungenembolie sowie einen Kreislaufzusammenbruch mit Herzstillstand. Sie kam in Bad Säckingen ins Krankenhaus und von dort in die Uniklinik Freiburg. „Als sie in die Klinik eingeliefert wurde, war sie klinisch tot“, heißt es in den medizinischen Berichten. Eine Notoperation rettete ihr das Leben.
Rohrer, die heute bei Offenburg lebt und sich weiteren Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe engagiert, macht das Verhütungsmittel mit seinem Wirkstoff Drospirenon für ein hohes Thrombose-Risiko und ihre medizinischen Probleme verantwortlich. Noch heute leide sie unter schweren gesundheitlichen Einschränkungen. Zudem könne sie keine Kinder mehr bekommen und nicht in ihrem Beruf als Tierärztin arbeiten. Im Frühjahr 2011 reichte sie Klage gegen Bayer ein. Der Pharmakonzern hat Rohrers Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Erhöhtes Thromboserisko
„Yasminelle“ habe als Nebenwirkung zwar ein erhöhtes Thrombose-Risiko, urteilt nun das OLG. Im konkreten Fall könnte aber auch eine längere Flugreise vier Monate vor der Pilleneinnahme in Verbindung mit einer Vorerkrankung die Ursache für Rohrers Erkrankung gewesen sein. „Wir konnten nicht ermitteln, wo die verhängnisvolle Entwicklung ihren Anfang genommen hat“, sagt die Richterin und nennt Rohrers Langstreckenflug als möglichen Thrombose-Verursacher: „Wir sind überzeugt, dass die Flugreise für sich alleine genommen als Alternativursache in Betracht kommt, verstärkt durch die Vorerkrankung.“ Ein Richterspruch gegen Bayer wegen der Pille sei somit nicht möglich. Das Gericht hatte beim Prozessauftakt Anfang Mai vier Stunden einen Gutachter befragt. Auch er konnte keine eindeutigen Beweise liefern.
„Für Sie persönlich tut es mir leid, dass wir nicht anders entscheiden konnten“, sagt die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Eva Voßkuhle, als Rohrer deutlich sichtbar den Kopf schüttelt. „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Am Ende war sie aber eindeutig“, betont Voßkuhle.
„Ich habe gehofft, dass sich das Oberlandesgericht detaillierter mit dem Fall befasst und ein weiteres Gutachten in Auftrag gibt“, sagt Rohrer nach der Urteilsverkündung. Vieles sei vage und unklar geblieben. Die Hoffnung gebe sie nicht auf. Sollte es möglich sein, werde sie gegen das Urteil vorgehen. Sie werde dies gemeinsam mit ihrem Anwalt genau prüfen: „Dann entscheiden wir, wie es weitergeht.“

Keine Revision zugelassen
Doch die juristischen Möglichkeiten sind begrenzt: Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Möglich ist nun lediglich, dass Rohrer innerhalb eines Monates gegen diese Nichtzulassung der Revision Beschwerde einlegt. Die Aussichten auf Erfolg einer solchen Nichtzulassungsbeschwerde werden von Juristen jedoch allgemein als vergleichsweise gering eingestuft, sagt ein Gerichtssprecher.
Bayer reagiert am Freitag schriftlich auf das OLG-Urteil. Man sehe sich in seiner Auffassung, dass die Klage unbegründet war, bestätigt, teilt das Unternehmen mit: „Gleichwohl möchten wir betonen, dass wir großes Mitgefühl mit dem Schicksal der Klägerin und mit Patienten haben, die unsere Produkte anwenden und von ernsten gesundheitlichen Beschwerden berichten – unabhängig von deren Ursachen.“
In den USA hat Bayer wegen Drospirenon hohe Vergleichszahlungen geleistet. 10.600 Antragsstellerinnen erhielten dort wegen Erkrankungen infolge venöser Blutgerinnsel insgesamt rund 2,1 Milliarden US-Dollar, wie das Unternehmen mit Sitz in Leverkusen Anfang Mai mitteilte. Eine Haftung oder eine juristische Schuld seien damit aber nicht eingestanden worden.