Die beiden Polizisten im zivilen Einsatzwagen dürften beim Blick in den Rückspiegel ihren Augen nicht getraut haben: Ein Porsche raste am Sonntagabend kurz vor 21.30 Uhr mit weit überhöhter Geschwindigkeit über die Autobahn A3 am Zürichsee – und kam immer näher.

Weil auch die Beamten der Kantonspolizei Zürich auf der Überholspur unterwegs waren, fuhr der junge Raser bei Thalwil dicht auf die Zivilstreife auf und blendete sie mit seinen Scheinwerfern – wohl um ihnen klar zu machen, dass sie mit den erlaubten 120 km/h (Kilometer pro Stunde) viel zu langsam unterwegs seien und er vorbei wolle.

354 PS starker Porsche Macan S

Die Zivilpolizisten ließen sich zunächst auf die unmissverständliche Aufforderung des Dränglers ein und fuhren zur Seite auf die Normalspur. Als der Porsche-Fahrer daraufhin aufs Gas stieg und an den Beamten vorbeizog, nahmen sie – zunächst noch unauffällig – die Verfolgung auf. Mit einem Messgerät hielten sie die Geschwindigkeit des Rasers fest: Er war mit bis zu 249 km/h unterwegs – mehr als das Doppelte des Erlaubten.

Mit so einem Wagen – einem Porsche Macon S – soll der 20-jährige Schweizer auf 249 km/h beschleunigt haben.
Mit so einem Wagen – einem Porsche Macon S – soll der 20-jährige Schweizer auf 249 km/h beschleunigt haben. | Bild: Wiki Creative Commons/Vauxford

Aufgrund des hohen Tempos hatten die Polizisten Mühe, den jungen Mann im Porsche einzuholen. Das gelang ihnen erst, als der Verkehrssünder nach etwa neun Kilometern abbremste, um die Autobahn bei Horgen am Zürichsee zu verlassen.

Erst jetzt gaben sich die Zivilbeamten zu erkennen und hielten den Raser an. Sie nahmen den 20-jährigen Schweizer vorübergehend fest und beschlagnahmten seinen 354 PS starken Porsche Macan S. Als sich herausstellte, dass seine Luxus-Karosse für etwa 1000 Euro pro Monat nur geleast war, musste die Polizei den Wagen an den Eigentümer zurückgeben.

Zwei Nächte im Gefängnis

Zwei Tage und Nächte verbrachte der 20-Jährige in Haft. Nachdem ihn Oberstaatsanwalt Michael Huwiler am Dienstag befragt hatte, kam der junge Mann wieder auf freien Fuß. Bei einer Verurteilung drohen dem Schweizer zwischen einem und vier Jahren Freiheitsstrafe. „Wenn jemand keine Vorstrafe aufweist, wird üblicherweise eine Bewährungsstrafe verhängt“, sagt Huwiler. Ob sich der junge Raser, für den die Unschuldsvermutung gilt, schon einmal etwas zu schulden kommen hat lassen, lässt er offen.

Oberstaatsanwalt Michael Huwiler, Leiter der Abteilung Straßenverkehr in der Zürcher Anklagebehörde
Oberstaatsanwalt Michael Huwiler, Leiter der Abteilung Straßenverkehr in der Zürcher Anklagebehörde | Bild: Staatsanwaltschaft Zürich

Auch am Donnerstagvormittag war Oberstaatsanwalt Michael Huwiler wieder mit der Vernehmung eines Rasers beschäftigt, als ihn der SÜDKURIER wenig später erreicht. „Raser-Delikte liegen nach wie vor auf hohem Niveau“, sagt der Leiter der Abteilung Straßenverkehr in der Staatsanwaltschaft Zürich.

Drakonische Raser-Strafen werden aufgeweicht

Bereits im November des vergangenen Jahres machte der Ankläger auf eine bedenkliche Häufung von Raser-Delikten aufmerksam, nachdem es innerhalb von 20 Tagen zu fünf Unfällen in Zusammenhang mit weit überhöhter Geschwindigkeit gekommen war. Alle fünf Raser waren männlich, zwischen 18 und 31 Jahren alt. Die meisten ihrer PS-starken Boliden waren geleast und der Sicherheitsassistent absichtlich deaktiviert, um wie in den Hollywood-Streifen der Reihe „The Fast And The Furious“ besser um die Kurven driften zu können.

Ein Fahrzeug braust über eine Autobahn. Die Aufnahme erfolgte mit Langzeitbelichtung und Mitzieh-Effekt.
Ein Fahrzeug braust über eine Autobahn. Die Aufnahme erfolgte mit Langzeitbelichtung und Mitzieh-Effekt. | Bild: Frank Rumpenhorst/dpa

Damals warnte der Zürcher Staatsanwalt auch eindringlich vor einem Gesetzesvorhaben der Schweizer Regierung, für das nun beide Parlamentskammern gestimmt haben: Demnach wird die Eidgenossenschaft, die weltweit für ihre drakonischen Strafen gegen Raser bekannt ist, diese rigoros aufweichen.

„Falsches Signal an Täter und Opfer“

Künftig wird bei Raser-Delikten in der Schweiz auf die bisher zwingende Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr verzichtet, die Mindestdauer des Führscheinentzugs von 24 auf zwölf Monate gesenkt und Auto-Rundstreckenrennen werden wieder erlaubt. Damit sollen Richter bei Raser-Delikten mehr Ermessensspielraum erhalten, um die Umstände besser beurteilen und unnötige Härten vermeiden zu können.

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Für jene Raser, die glaubhaft nur ein Verkehrsschild übersehen haben, sind künftig auch Geldstrafen ohne Anklagen vor Gericht möglich. Damit werde „ein falsches Signal an Täter und Opfer von Raser-Delikten“ gesandt, teilte die Staatsanwaltschaft Zürich bereits im November 2021 mit. Angesichts der Schwere und der Häufigkeit von Raser-Unfällen müsse die Lockerung des Raser-Artikels kritisch hinterfragt werden.

„Machtdemonstration der Auto-Lobby“

Die Stiftung Roadcross, die sich für mehr Verkehrssicherheit einsetzt, schrieb bereits vor der Abstimmung in einem Brief an die Parlamentarier, dass sie mit einer Abschwächung des Raser-Gesetzes „die Verkehrssicherheit gefährden und vorsätzlich Tote und Schwerverletzte in Kauf nehmen“ würden. Nach dem Votum erwog die Stiftung ein Referendum, nun will man eine Volksinitiative lancieren.

Raser werden in der Schweiz oft gleich zur Kasse gebeten. Bei schweren Vergehen erwartet die Fahrzeuglenker auch ein Fahrverbot oder ...
Raser werden in der Schweiz oft gleich zur Kasse gebeten. Bei schweren Vergehen erwartet die Fahrzeuglenker auch ein Fahrverbot oder Schlimmeres. | Bild: Picture-Factory - Fotolia

Aber: 100.000 Schweizer müssten innerhalb von 18 Monaten eine Unterschrift leisten, damit es überhaupt zu einer Abstimmung kommt. Laut einer repräsentativen Umfrage, die die Stiftung Roadcross in Auftrag gegeben hat, wollen 69 Prozent aller stimmberechtigten Schweizer keine Abschwächung des Raser-Artikels. Daneben laufen auch die Grünen gegen die neue Milde für Raser in der Schweiz Sturm: Für sie sei die Reform „eine Machtdemonstration der Auto-Lobby – ohne Rücksicht auf Tote und Verletzte“.

Zürcher Raser-Rekord: 287 km/h

Auch der Regierungsrat im Kanton Zürich und die Oberstaatsanwaltschaft Zürich befürworten die Lockerung laut Staatsanwalt Michael Huwiler nicht. „Es ist eine politische Entscheidung, die wir zur Kenntnis nehmen“, sagt der leitende Staatsanwalt dem SÜDKURIER. Er betont, dass das neue Gesetz noch nicht in Kraft getreten sei und damit bislang noch die schärferen Strafen für Raser gelten – auch für den aktuellen Fall des eingangs geschilderten 20-jährigen Schweizers.

Wer viel rasanter als erlaubt fährt, könnte bald gar nicht mehr fahren dürfen – denn neben Bußgeldern drohen Rasern auch Fahrverbote.
Wer viel rasanter als erlaubt fährt, könnte bald gar nicht mehr fahren dürfen – denn neben Bußgeldern drohen Rasern auch Fahrverbote. | Bild: Sebastian Gollnow/dpa

Ob die 249 km/h des jungen Rasers die höchste jemals im Kanton Zürich gemessene Geschwindigkeit war, darauf konnte eine Sprecherin der zuständigen Zürcher Polizei keine Antwort geben. „Wir führen dazu keine Statistik“, sagte die Polizistin. Staatsanwalt Michael Huwiler erinnert sich an einen Fall, bei dem – nach Abzug der Toleranzgrenze – immer noch 287 km/h gemessen wurden. „Das war das schnellste und dürfte der Rekord sein“, sagt er dem SÜDKURIER.

Anklage wegen Rasens im Autobahntunnel

Die knapp 300 km/h Zürcher Negativrekord gingen auf das Konto einer Gruppe, die mit hochmotorisierten und getunten Boliden illegale Autorennen veranstaltete. Die Polizei nahm deswegen im Mai 2021 elf Männer und eine Frau im Alter zwischen 24 bis 40 Jahren fest, vier kamen in Untersuchungshaft. Ein Jahr später gibt es noch immer keine Anklage. Laut dem Zürcher Staatsanwalt soll das Verfahren aber noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.