Herr Schreier, herzlichen Glückwunsch zum respektablen Ergebnis! Sind Sie trotzdem auch ein bisschen enttäuscht?
Klar, wenn man antritt, möchte man gewinnen. Natürlich ist es schade, dass es nicht ganz gereicht hat, aber trotzdem überwiegt die Freude über die breite Unterstützung. Über 70.000 Menschen haben meine Kandidatur unterstützt, während mich am Anfang des Jahres in Stuttgart praktisch noch keiner kannte. Alle haben gesagt, dass das als unabhängiger Kandidat ohne die Unterstützung einer Partei gar nicht möglich sein würde, erfolgreich zu sein. Wir haben gezeigt, dass es doch geht.
Gab es eigentlich schon eine Gratulation vonseiten der Stuttgarter SPD?
Bis jetzt noch nicht. Allerdings habe ich so viele Nachrichten bekommen, dass ich das auch nicht ausschließen kann.
Und vonseiten der SPD überhaupt?
Meine Kandidatur haben auch viele Genossen unterstützt und davon haben sich auch viele bereits gemeldet – aus Stuttgart und darüber hinaus.
Sonst irgendwelche überraschende Anrufe oder Angebote?
Nein, es gab sehr viele Nachrichten und Zuspruch, was mich sehr gefreut hat, aber keine Angebote.
Mit 36,9 Prozent haben Sie überraschend viele Stimmen geholt. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, eine große Rolle spielt das Angebot jenseits der etablierten Strukturen und festgefahrenen Pfade. Mein Angebot war, Politik anders zu gestalten, und das hat viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter angesprochen.
Besonders in den Innenstadtbezirken schnitten Sie gut ab. Liegt das daran, dass dort mehr junge Menschen wohnen?
Auch in der Innenstadt wohnen ja ältere Menschen, und meine Kandidatur wurde auch nicht nur von jungen Menschen getragen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, das Wahlergebnis genauer zu analysieren, aber es spielt sicher eine Rolle, dass die Klientel in der Innenstadt etwas urbaner ist als in einigen Außenbezirken.
Sie haben offensichtlich vieles richtig gemacht. Gibt es irgendetwas, das Sie heute anders machen würden?
Selbstverständlich macht man in einer Kampagne Fehler. Nichts Großes, aber Dinge, die man zum Beispiel anders hätte kommunizieren können.
Zum Beispiel?
Da müsste ich im Detail drüber nachdenken. Mit Blick auf alle großen Entscheidungen gibt es nichts, wo ich sagen würde, das hätte man anders machen sollen.

Wie geht‘s jetzt für Sie weiter?
Ich bin jetzt weiter Bürgermeister in Tengen und freue mich auf die kommunalpolitische Arbeit dort.
Steigen Sie direkt wieder in die Arbeit ein, oder haben Sie noch ein bisschen Luft, sich zu erholen?
Ich steige direkt wieder ein. Ich stand auch die ganze Zeit mit den Amtsleitungen in Kontakt, wir haben regelmäßig Videokonferenzen gemacht, gemailt und telefoniert. Ich habe auch die Gemeinderatssitzungen geleitet, sprich: Ich war nie richtig draußen aus der Arbeit in Tengen. Insgesamt haben die Amtsleitungen viel aufgefangen.
Ihr ganzer Urlaub ist vermutlich für den Wahlkampf draufgegangen.
Richtig.
Nach Ihrem guten Abschneiden drängt sich natürlich die Frage auf, ob Sie Tengen lange erhalten bleiben werden. Wird Ihre Heimatstadt Stuttgart ein einmaliger Versuch bleiben, oder würden Sie auch andere Städte oder andere politische Ämter reizen?
Ich konzentriere mich jetzt auf die kommunalpolitische Arbeit in Tengen. Um über irgendwelche anderen Dinge zu spekulieren, ist es jetzt definitiv zu früh.
Sie haben noch drei Jahre als Bürgermeister in Tengen. Haben Sie sich dort noch etwas vorgenommen, was es dringend zu erledigen gilt?
Es gibt eine Reihe von laufenden Projekten, zum Beispiel die Frage, wie wir das Schloss Blumenfeld in Zukunft nutzen werden. Dann werden die nächsten Jahre vor allem von der Corona-Krise geprägt sein, sprich von den finanziellen Auswirkungen. Da muss man schauen, dass man die Gemeinde gut durchbekommt.
Wissen Sie schon, wie es mit der SPD weitergeht? Ihre Mitgliedschaft ist noch auf Eis gelegt?
Das ist seit Montag nicht mehr der Fall. Die Entscheidung der Landesschiedskommission war, dass die Mitgliedschaftsrechte bis zum zweiten Wahlgang ausgesetzt werden. Und der ist abgelaufen – damit sind die Mitgliedschaftsrechte wieder voll aktiv.
Was hat das denn konkret bedeutet?
Dass ich innerhalb der SPD keine Ämter bekleiden konnte. Zum Beispiel also auch nicht an den Sitzungen des SPD-Kreisvorstandes teilnehmen.
Mussten Sie noch Mitgliedsbeiträge zahlen in der Zeit?
Ja, so ist die Regelung.
Ist Ihre Liebe zur Sozialdemokratie nach dieser Abfuhr durch die SPD ein wenig erkaltet?
Ich habe nie Austrittsgedanken gehegt, sonst hätte ich das ja schon Anfang des Jahres gemacht.
Wie geht das Abenteuer Wahlkampf ohne parteiliche Unterstützung finanziell für Sie aus? Auf wie viel Kosten bleiben Sie sitzen?
Das kann ich noch nicht abschließend sagen. Der Wahlkampf wurde aus zwei Quellen finanziert: Einmal aus Spenden, da liegen wir bei gut über 100.000 Euro, die wir eingesammelt haben. Der andere Teil ist der Eigenanteil.
Das heißt aber, Sie werden die nächsten Jahre erstmal kein Haus bauen.
Das hatte ich auch nicht vor. Ich bin insgesamt der Meinung, dass meine privaten finanziellen Verhältnisse nicht Gegenstand der politischen Arbeit sind, deshalb kommentiere ich das nicht weiter.
Aber der Einsatz hat sich gelohnt für Sie?
Ja, der Wahlkampf war wirklich großartig. Ich habe meine Heimatstadt noch einmal anders kennengelernt, war in allen 23 Stadtbezirken unterwegs. Ich habe viele Gruppen und Initiativen getroffen, die ich vorher noch nicht kannte. Darüber sind zahlreiche persönliche Verbindungen entstanden, die auch über den Wahlkampf hinaus Bestand haben werden. Und vor allen Dingen habe ich mit einem fantastischen Team zusammenarbeiten dürfen, die rund um die Uhr im Einsatz waren – das werde ich nie vergessen. Insgesamt war der Wahlkampf absolut super und lehrreich, das würde ich immer wieder machen.