Es war eine Woche der Wahrheit für die Zukunft der Gäubahn. Lässt sich die im Sommer 2025 drohende Kappung in Stuttgart-Vaihingen verhindern? Und falls das nicht möglich ist: Welche Alternativen bieten sich an, um Reisenden aus dem Süden von Baden-Württemberg weiter eine umsteigefreie Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof zu erhalten?
Das wollte der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn mittels dreier Gutachten ermitteln, die am 19. September in Horb vorgestellt wurden. Das Ergebnis: Eine direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof per Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn über Horb nach Rottweil scheint durchaus machbar.

Landesnaturschutzverband (LNV), der Fahrgastverband Pro Bahn und der ökologische Verkehrsclub VCD allerdings sind weiter davon überzeugt, dass auch der Erhalt der Gäubahn-Anbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof mit vergleichsweise geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich ist, bis die neue Streckenführung über Pfaffensteigtunnel und Stuttgarter Flughafen fertiggestellt ist. Fragen und Antworten dazu.
Wie ist der Stand der Dinge?
Unverändert plant die Bahn, die Züge auf der Gäubahn im Sommer 2025, rund ein halbes Jahr vor der geplanten Inbetriebnahme des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofs, am Regionalbahnhof in Stuttgart-Vaihingen enden zu lassen. Der Bahndamm, auf dem die Gäubahn im Stadtkessel Richtung Hauptbahnhof geleitet wird, soll abgebaut werden, um im Zuge von Stuttgart 21 Platz für die S-Bahn zu schaffen.

Auch die Stadt Stuttgart will die Kappung, der Gleisbereich in der Stadt steht laut den Angaben aus der Landeshauptstadt der städtebaulichen Entwicklung des Areals entgegen. Gäubahn-Reisende von oder nach Stuttgart Hauptbahnhof müssten dann mindestens sieben Jahre lang dort oder an dem erst noch zu bauenden Haltepunkt Nordhalt aus S-Bahnen, Bussen oder Stadtbahnen umsteigen, bis die neue Streckenanbindung der Gäubahn an den Stuttgarter Tiefbahnhof über den Pfaffensteigtunnel und den Stuttgarter Flughafen fertig ist. Das wird frühestens 2032 der Fall sein, kritische Stimmen rechnen mit deutlich längerer Bauzeit.
Auch die Anrainer-Kommunen der Gäubahn bis nach Singen wollen eine Unterbrechung vermeiden und fürchten, abgehängt zu werden. Aktuell ist vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zudem eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die Kappung der Gäubahn anhängig.
Im November 2022 gab es bereits einen Faktencheck. Warum gab es jetzt nochmals Gutachten?
Beim Faktencheck, zu dem Bahn und Stadt Stuttgart alle Beteiligten eingeladen hatten, trugen Experten von Stadt Stuttgart und Bahn vor, warum aus ihrer Sicht die Kappung der Gäubahn ohne Alternative sei. Zudem wurden Alternativen einer Direktverbindung an den Hauptbahnhof durchgespielt und einer Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn Richtung Süden über Horb hinaus eine Absage erteilt.
An diesen Darstellungen und den zugrunde liegenden Argumentationen kamen unmittelbar nach der Veranstaltung Zweifel auf. LNV, VCD und Pro Bahn hatten direkt im Anschluss von einer „Märchenstunde“ gesprochen. Auch die Anrainer-Kommunen hatten sich skeptisch geäußert.
Mit den Gutachten, die daraufhin Anfang 2023 vom Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn in Auftrag gegeben wurden, sollten die von Bahn und Stadt Stuttgart vorgestellten „Fakten“ von unabhängiger Seite hin überprüft werden. Das Problem: Im Interessenverband sitzen nicht nur die Anrainer-Kommunen, sondern auch Stadt und Region Stuttgart, die völlig unterschiedliche Interessen haben. Die Ergebnisse der Gutachten wurden nun vorgestellt.
Was kam bei den Gutachten heraus?
Einerseits sehen sich die Verbände VCD, Pro Bahn und LNV in ihrer Einschätzung bestätigt, dass ein Erhalt der Gäubahn-Gleise technisch und betrieblich durchaus möglich sei. Die Aussagen der Bahn hätten sich in wesentlichen Punkten nicht bestätigt. Auch der Stuttgarter Städtebau sei bis 2030 nicht beeinträchtigt.
„Was die Bahn und die Stadt Stuttgart präsentierten, war nicht relevant, nicht vollständig und einseitig und interessengeleitet“, so die Verbände. Sie kritisieren allerdings, dass auch die neuen Gutachten nicht untersuchen sollten, was nötig ist, um die direkte Gäubahn-Anbindung an den Hauptbahnhof doch zu erhalten.
Zum anderen zeigt das Gutachten, das die Verlängerung der Stuttgarter S-Bahn über Horb bis nach Rottweil und Singen geprüft hat – eine Lösung, für die sich die Oberbürgermeister stark gemacht hatten –, dass zumindest eine Anbindung von Rottweil denkbar ist. „Die Ergebnisse zeigen, dass eine neuerliche Überprüfung zwingend erforderlich war“, sagt der Rottweiler OB Christian Ruf.
„Das von der SMA vorgelegte Gutachten hat deutlich gezeigt, dass eine Verlängerung der S-Bahn nach Rottweil möglich ist und so eine Kappung der Direktverbindung nach Stuttgart vermieden werden kann.“ Die praktische Herausforderung liege nun darin, schnell ausreichend Wagenmaterial zu organisieren. Ruf zeigte sich angetan, dass das Verkehrsministerium bereits Unterstützung signalisiert habe.
Wie viele Reisende sind überhaupt betroffen?
Die Gäubahn Stuttgart-Horb-Singen bindet 1,4 Millionen Einwohner Baden-Württembergs an die Landeshauptstadt an und ist die Schienenverbindung der Wirtschaftsräume Tuttlingen, Rottweil und Konstanz, von Schwarzwald und Bodensee-Raum sowie der Schweiz in die Landeshauptstadt und darüber hinaus.
Auf der Gäubahn fährt zudem der europäische Fernverkehr Richtung Zürich und Italien. Täglich sind auf der Strecke rund 10.000 Fahrgäste (ohne S-Bahn-Fahrgäste) unterwegs, knapp die Hälfte der Fahrgäste Richtung Stuttgart fährt dort weiter, 51 Prozent haben die Landeshauptstadt als Ziel.
Wie geht es jetzt weiter?
Anfang Oktober befasst sich der Verband Region Stuttgart, Träger der Stuttgarter S-Bahn, mit der Thematik und der möglichen Verlängerung der S-Bahn. Unabhängig davon muss zudem juristisch über die DUH-Klage gegen die Kappung der Gäubahn entschieden werden.
Derzeit hängt das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, weil das Eisenbahnbundesamt (EBA) noch immer keine Klage-Erwiderung vorgelegt hat. Diese hätte bereits Ende August vorliegen müssen. „Das EBA verzögert damit künstlich das Verfahren“, teilt die DUH auf Anfrage zum Stand aktuellen Stand mit. Im Oktober laufe die Frist zur Einreichung endgültig ab.