Bei der bevorstehenden Bundestagswahl im September wird alles ein bisschen anders. Kanzlerin Angela Merkel tritt nach 16 Jahren nicht mehr an, einen Paradigmenwechsel wird es also auch dann geben, wenn die CDU erneut stärkste Kraft werden sollte. In Umfragen liegt sie zwar immer noch vorn, verliert aber zugunsten von SPD und Grünen. Für die Wahl am 26. September ist noch alles offen. Hinzu kommt eine Wahlreform, die in Teilen schon bei dieser Wahl umgesetzt wird.

Was hat es mit der Reform auf sich?

Wenn die Bürger am 26. September an die Urnen gehen, wird ein erster Teil einer Wahlrechtsreform in Kraft treten, die der Bundestag im vergangenen Jahr beschlossen hat. Ziel ist es, den Bundestag zu verkleinern, der durch die sogenannten Überhangs- und Ausgleichsmandate bei der vergangenen Wahl die neue Rekordzahl von 709 Abgeordneten erreichte.

Rekordverdächtig sind auch die Kosten für den Bundestag – die eine Milliarde Euro in diesem Jahr überstiegen. Damit der Bundestags nicht immer größer wird – die eigentliche Größe ist laut Bundestagswahlgesetz auf 598 Abgeordnete limitiert, kommt die stufenweise Reform. Davon dürfte vor allem die Union profitieren.

Was wird bei dieser Wahl anders durch die Reform?

Es gibt 299 Wahlkreise. Hinzu kommen dann die Mandate, die über die Zweitstimmen den Parteien zustehen. Eigentlich maximal 598. Durch die Überhangs- und Ausgleichsmandate wird die Zahl aber deutlich höher.

Die große Reform ist bei dieser Wahl zwar noch nicht zu spüren. Es bleibt bei 299 Wahlkreisen. Trotzdem wird sich etwas verändern. Erstmals werden dabei die sogenannten Überhangsmandate nicht mehr so großzügig verteilt wie bisher. So sollen bis zu drei Überhangsmandate nicht mehr ausgeglichen werden. Von den Überhangsmandaten hat bisher die CDU am meisten profitiert.

Wie entstehen Überhangsmandate?

Sie kommen dann zustande, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Mandate bekommt, als ihr rein rechnerisch über die Zweitstimmen zustehen, kommt es zu den Überhangsmandaten. Damit die Proportionalität des Wahlergebnisses bei den Parteien gewahrt bleibt, werden die sogenannten Ausgleichsmandate vergeben.

Wie werden die Stimmen gewichtet?

Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith erklärt, worum es geht: „Im Grunde wird mehrfach ausgezählt. Erst, wie viele Sitze eine Partei laut Zweitstimmen in der ganzen Bundesrepublik bekommt, dann werden diese auf die Länder heruntergebrochen und innerhalb der Länder wieder auf die Parteien. Daraus ergibt sich dann die Mandatszahl im jeweiligen Bundesland.“

Politologe Ulrich Eith erklärt, weshalb die CDU sich nicht mehr darauf verlassen kann, alle Direktmandate zu gewinnen.
Politologe Ulrich Eith erklärt, weshalb die CDU sich nicht mehr darauf verlassen kann, alle Direktmandate zu gewinnen. | Bild: Patrick Seeger

Wer zieht automatisch in den Bundestag ein?

Die Kandidaten, die das jeweilige Direktmandat im Wahlkreis gewonnen haben, also dort die meisten Erststimmen erhielten, sind sicher im Bundestag. Die Listenplätze werden entsprechend der Ergebnisse der Parteien im jeweiligen Bundesland verteilt.

Wie aber wirkt sich das Ergebnis der Wahl auf die Landesliste aus?

„Gewinnt eine Partei weniger Mandate mit den Erststimmen, als ihr über die Zweitstimmen zusteht, werden die zustehenden Mandate über die Landesliste aufgefüllt“, erklärt Politikwissenschaftler Eith. Ein Blick auf die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahl macht das deutlich:

  • Wahlsieger qua Zweitstimmen war die CDU. Diese gewann auch alle Direktmandate in den 38 Wahlkreisen im Südwesten. Die Landesliste wurde entsprechend nicht berührt.
  • Zweitstärkste Kraft wurde die SPD, die so mit 16 Plätzen der Landesliste in den Bundestag einzog.
  • Die Grünen gelangten mit 13 Listenplätzen in den Bundestag.
  • Die FDP brachte zwölf Kandidaten über die Landesliste in den Bundestag.
  • Die AfD schickte zehn Kandidaten über die Landesliste in den Bundestag mit Alice Weidel als Spitzenkandidatin.
  • Bei den Linken schafften es die ersten sechs Plätze der Landesliste in den Bundestag, unter anderem Bernd Riexinger.

Warum könnte bei dieser Wahl das Ergebnis anders ausfallen im Südwesten?

Wenn es den Grünen gelingt, ihr starkes Ergebnis bei den Landtagswahlen auch bei den Bundestagswahlen zu wiederholen, könnten die Grünen erstmals einige der Direktmandate erlangen, glaubt Eith. Dafür spreche, dass die Grünen zuletzt auch in den ländlichen Gebieten deutlich zulegten.

Dort waren die Grünen bislang traditionell eher schwach, punkten konnten sie vor allem in den Universitätsstädten. Das hat sich inzwischen geändert: Die größeren Bundestagswahlkreise, die damit auch häufiger ländliche Gebiete umfassen, sind damit kein unüberwindbares Hindernis mehr, ein Direktmandat zu erringen.

In diesem Jahr ändern sich einige Vorzeichen bei der Wahl – besonders im Südwesten.
In diesem Jahr ändern sich einige Vorzeichen bei der Wahl – besonders im Südwesten. | Bild: Michael Kappeler

Muss die CDU in Baden-Württemberg diesmal ihre Liste nutzen, um ihre Kandidaten in den Bundestag zu bringen?

Eine Prognose wagt Eith nicht zu erstellen – „weil das davon abhängt, wie die CDU in Baden-Württemberg im Vergleich zum Bund abschneidet.“ Ist die CDU überall stark, im Südwesten aber schwach, bekommt sie hier weniger Sitze. Ob dann die Liste genutzt werden kann, hängt wiederum davon ab, wie viele Direktmandate die CDU hier gewonnen hat. Gewinnt sie weniger Direktmandate, steigen die Chancen, über die Landesliste einzuziehen.

Was unterscheidet die Landtagswahl von der Bundestagswahl?

Weil bei der Landtagswahl nur eine Stimme vergeben wird, bei der Bundestagswahl aber die Erststimme an den Kandidaten geht, die Zweitstimme an die Partei, lassen sich nicht so leicht Rückschlüsse aus den Ergebnissen der jüngsten Landtagswahl ziehen. Hinzu kommt, dass es bei der Landtagswahl mit 70 Wahlkreisen fast doppelt so viele Wahlkreise gibt.

Wieso ist ein Listenplatz noch keine Garantie für den Einzug in den Bundestag?

Wer relativ weit vorne platziert ist, kann sich seiner Sache trotzdem nicht sicher sein. „Ein Listenplatz ist keine sichere Bank“, betont Politikwissenschaftler Eith. Wenn eine Partei im land alle Direktmandate gewonnen hat, wird die Liste dieser Partei gar nicht angefasst. Ist das Wahlergebnis der Zweitstimmen hingegen so schlecht, dass die Partei ein schlechtes Ergebnis einfährt, könnten die Listenplätze weniger stark berücksichtigt werden als vielleicht erhofft.

Was passiert mit Kandidaten, die sowohl direkt antreten, als auch über die Liste?

Wer sein Mandat direkt errungen hat, aber rein rechnerisch auch über die Landesliste einziehen würde, wird von der Liste gestrichen. Der nächste rückt automatisch nach.