Wenn der Bildhauer Peter Lenk seine Skulpturen enthüllt, dann ist ein Aufschrei meist schon vorprogrammiert. Am vergangenen Wochenende blieb der Skandal aber aus. Im Gegenteil: Die gut 1000 Schaulustigen in Bad Urach im Landkreis Reutlingen waren vor allem interessiert. Von Feindseligkeit war nichts zu merken, schildert Fotograf Achim Mende. Auch wenn bei den Skulpturen hier und da ein nackter Hintern zu sehen ist, und auch das ein oder andere männliche Geschlechtsteil angedeutet wird.
„Ich wollte keine Pimmelparade machen“, erklärt Lenk, der sich als Skandal-Künstler einen Namen gemacht hat und vor allem als Erschaffer der Konstanzer Hafenskulptur Imperia bekannt ist.
Nur mit Hemd und ohne Hose
In gut vier Metern Höhe thront sie nun, die neue Lenk-Skulptur in dem kleinen schwäbischen Städtchen Bad Urach. 210.000 Euro ließ sich die Stadt diese anlässlich des 300-jährigen Jubiläums des traditionellen Schäferlaufs kosten. 75.000 Euro davon konnten durch Spenden finanziert werden.
Der Schäferlauf ist ein Volksfest, das an den damaligen Schäferlauf erinnern soll. Auch heute laufen im Rahmen des Fests junge Schäfer und Schäferinnen über Stoppelfelder um die Wette.
Lenks Skulptur zeigt eine Szene aus einem solchen historischen Schäferlauf, das Vorbild ist allerdings nicht Bad Urach, sondern der erste erwähnte Schäferlauf 1593 im heutigen Markgröningen – 120 Jahre bevor die Tradition in Bad Urach aufgenommen wurde. Aus seiner Sicht war das Spektakel eine Gewaltorgie, erklärt der Künstler, der zur Vorbereitung einige Bücher zur Geschichte dieses Volksfests gelesen hat. Eineinhalb Jahre brauchte er für das Kunstwerk.
Der Kern seines Werks sei „die Bewegung und der Tumult“, so der 76-Jährige. Zu sehen sind acht Schäfer in Aktion. Sie rennen, fallen übereinander, einer versucht, mit einem Hirtenstab einen Konkurrenten aufzuhalten. Am Ende steht einer in Siegerpose und lässt die Muskeln spielen.
Das Spezielle: Die Schäfer tragen nur ihre Hemden und versuchen, den Intimbereich zu verdecken. Da könne es eben passieren, dass einer „halt die Klöten des anderen am Hinterkopf hat“, wie es der Künstler selbst beschreibt. Doch so oder so ähnlich soll es sich damals zugetragen haben, 120 Jahre bevor die Bad Uracher diese Tradition in einer gesitteteren Form übernahmen.
Die Enthüllung wird zum Spektakel für sich
Die Enthüllung des Kunstwerks wurde in Bad Urach zum ungewollten Spektakel. Eigentlich sollten die acht Figuren am Sonntag um 17.30 Uhr einzeln enthüllt werden. Doch die Hebebühne hatte etwas dagegen – die Hydraulik streikte. Während die 1000 Anwesenden in der Hitze förmlich mitfieberten, hielt sich Lenk selbst im Hintergrund auf. „Das hätte man so inszenieren sollen“, hält Lenk amüsiert fest. Nach fast einer Stunde habe die Feuerwehr mit der Drehleiter anrücken müssen, damit die verdeckten Figuren enthüllt werden konnten. Empfangen wurden sie vom großen Applaus der Anwesenden.
Selbst in Erscheinung treten wollte der Bildhauer nicht. Auch die Bühne betrat er nicht, als Bürgermeister Elmar Rebmann (SPD) eine Ansprache hielt. „Ich halte mich da zurück und war ganz hinten. Bevor ich das mache, bringe ich mich um“, behauptet Lenk.
Der große Aufschrei bleibt aus
Trotz der dargestellten Nacktheit und des Trubels bei der Enthüllung – der große Skandal und Aufschrei blieb aus. Wer an den Skulpturen etwas Anstößiges finden will, muss da schon genau hinschauen. Vor allem, weil sich die Figuren weit über den Köpfen der Betrachter befinden.
Auch damals sei der Umstand, dass die Schäfer ohne Hosen rannten, nie anrüchig verstanden worden, meint Lenk. Es sollte den Schäfern schwergemacht werden, über das abgemähte Stoppelfeld zu rennen und diente zur Belustigung. Schäfer hätten damals einen schlechten Ruf gehabt, und galten als faul und untätig, heißt es auf der Tafel neben der Skulptur. Und weiter: „Die unfreiwillige Entblößung hat wohl zur Beliebtheit dieser rohen Spiele beigetragen.“
Ganz ohne Satire kommt aber auch dieses Lenk-Werk nicht aus. Er wollte darstellen, dass es sich damals um Wettkampf und nicht um einen Wettlauf handelte. Mit weit aufgerissenem Mund und muskelbepackt erinnere der Sieger des Rennens an einen Fußballer, der gerade ein Tor geschossen hat. Auch in den Details findet sich Bedeutung. Am Gürtel des Siegers hängt ein Büschel Bockshornklee, das den Testosteronspiegel erhöht und den Muskelaufbau fördert. „Eine frühe Form von Doping“, so Peter Lenk.
Einen Skandal löst er damit nicht aus. Vielleicht auch, weil die dargestellten Männer keine realen Menschen zum Vorbild haben. Möglichkeiten hätte es sicher gegeben. So ist beispielsweise Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Kind der Stadt Bad Urach. Der Bildhauer hat sich seit der berüchtigten Stuttgart-21-Skulptur aber von den großen Themen abgewandt: „Ich mache keine Politiker mehr. Da habe ich keinen Bock mehr drauf“, sagt er dem SÜDKURIER. So bleibt die Skulptur in Bad Urach vor allem ein nicht ganz günstiger Hingucker.
„Kunst ist immer streitbar“
Vereinzelt kritische Stimmen habe es nur im Voraus gegeben, wie Bern Mall, Sprecher der Stadt erklärt. Sie richteten sich aber nicht konkret gegen das Kunstwerk. „Die kritischen Stimmen gibt es immer.“ Nur dem Gemeinderat sei ein Vorabmodell mit einem Film gezeigt worden, sodass man auch nicht die Katze im Sack gekauft habe.
Vor allem aber bei der Enthüllung am Sonntag seien die Reaktionen fast durchweg positiv gewesen. „Kunst ist immer streitbar“, hält Mall fest. Aber eines sei klar: „Über Qualität lässt sich nicht streiten. Und diese Skulptur hat das ohne Zweifel.“ Ziel der Skulptur sei es gewesen, etwas Bleibendes im Stadtbild zu schaffen, denn dies habe es weder zum 100. noch zum 200. Jubiläum gegeben.