Wird die Schweiz zum ersten europäischen Bioland? Das jedenfalls will die Initiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“, über die die Eidgenossen am 13. Juni abstimmen. Auch eine zweite Initiative (“Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“) zielt auf das Thema ab. Bei einem Ja würde die Schweiz dem Königreich Bhutan als weltweit zweites Land folgen, das künstliche Pestizide verbietet.
Die Stimmung zwischen Befürwortern und Gegnern ist aufgeladen, jüngste Umfragen sehen beide Seiten ähnlich stark.
Worum geht es bei den Initiativen?
Beide Initiativen haben eine Einschränkung bei der Nutzung von Pestiziden zum Ziel. So würde ein Erfolg „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“ künstliche Pflanzenschutzmittel vollständig und für alle verbieten. Auch die Einfuhr von pestizidbehandelten Lebensmitteln wäre nicht mehr erlaubt.
„Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“ geht nicht ganz so weit. Ein Ja würde bedeuten, dass der Staat nur noch Landwirte finanziell unterstützt, die auf Pestizide oder vorsorgliche Antibiotika für das Vieh verzichten. Eine Import-Einschränkung gäbe es nicht.
Die Ziele der beiden Initiativen im Detail
Warum kommt es überhaupt zu den Abstimmungen?
Pestizide sorgen als Schutz vor Schädlingen für Pflanzen einerseits dafür, dass die wachsende Bevölkerung ernährt werden kann. Andererseits ist nachgewiesen, dass Rückstände mutmaßlich gesundheitsgefährdender Stoffe ins Wasser gelangen und sie außerdem den Fortbestand von Insekten und Vögel direkt oder über Umwege bedrohen. 2019 gab das Schweizer Bundesamt für Umwelt bekannt, dass landwirtschaftliche Pestizide in der Hälfte von 600 Messstellen nachgewiesen wurden.
Im selben Jahr sorgte eine Studie über das Pilzbekämpfungsmittel Chlorothalonil für Schlagzeilen und verunsicherte die Bevölkerung. Rund 80 Prozent seines Trinkwassers gewinnt die Schweiz aus dem Grundwasser. Die Chlorothalonil-Grenzwerte lagen teils vielfach über den erlaubten Werten und wurden im Folgejahr in der Schweiz verboten. Auch wenn die Konzentration laut Fachleuten immer noch niedrig genug ist, um Wasser bedenkenlos trinken zu können.
Hätte ein Erfolg der Initiativen Auswirkungen auf den Handel mit Deutschland?
Auch in Baden-Württemberg schaut man gespannt auf die Abstimmungen. Mit Exporten in Höhe von 14,6 Milliarden Euro war die Schweiz 2020 nach den USA und China einer der wichtigsten Märkte für das Bundesland. Aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie stammen davon etwa 325 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der wichtigste Sektor ist die Pharmazie (4,5 Milliarden Euro).
Ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums weist darauf hin, dass deutsche Bauern in der Grenzregion bei einem Ja „an die Vorgaben des Initiativkomitees gebunden“ sein werden. Sie dürften also Lebensmittel, die künstliche Pestizide enthalten, nicht mehr ins Nachbarland liefern. Das Ministerium geht davon aus, dass private Schweizer Kunden vom Importverbot nicht betroffen wären.
Würden Schweizer Produkte dann auch bei uns teurer?
Käse, Schokolade, Nudeln – Schweizer Lebensmittel sind auch hierzulande beliebt. Sie würden bei einem Verzicht auf Pestizide wohl teurer, da die Erträge aus der Bio-Landwirtschaft niedriger und die Produktionskosten gleichzeitig höher sind. Genaue Auswirkungen auf den deutschen Markt sind laut Landwirtschaftsministerium noch nicht absehbar. Es wird laut seines Sprechers vorerst darauf ankommen, „wie ein zustimmendes Ergebnis der Volksabstimmung in der zehnjährigen Übergangszeit umgesetzt wird“.
Was sagen deutsche Landwirte über eine pestizidfreie Schweiz?
Der Sprecher des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) bezieht klar Stellung zu den Initiativen. Padraig Elsner sagt: „Wir halten nichts von politisch motivierten Verboten. Stattdessen müssen Anreize geschaffen werden, die die Gesellschaft von sich aus zu einem Umdenken bewegen.“ Dies habe auch die Debatte um das Volksbegehren Pro-Biene in Deutschland zuletzt gezeigt.
Für deutsche Bauern aus der Grenzregion erwarte er „keine unmittelbaren Auswirkungen“. Technisch könne heute vermieden werden, dass auf deutscher Seite verwendete Pestizide auf ein benachbartes Schweizer Feld gelange. „Anders sieht es beim Export aus“, sagt Elsner, „wobei auch in Baden-Württemberg der ökologische Anbau vorangetrieben wird.“ Ziel im sogenannten Biodiversitätsstärkungsgesetz ist ein Anteil von 30 bis 40 Prozent bis 2030, der Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel soll um 40 bis 50 Prozent zurückgehen.
Und wie sehen es deutsche Umweltschützer?
Der baden-württembergische BUND-Landwirtschaftsreferent Christoph Schramm sagt: „Ein positives Ergebnis der Volksabstimmungen könnte aller Welt zeigen, wie Naturschutz und Nahrungsmittelproduktion Hand in Hand gehen können.“ Sollte es so kommen stünde drohenden wirtschaftlichen Folgen durch ein Importverbot gegenüber, dass baden-württembergische Bauern „von ihren Schweizer Kollegen lernen, wie eine pestizidfreie Landwirtschaft funktionieren kann“, so Schramm.
Der Nabu Baden-Württemberg hält insbesondere die Trinkwasser-Initiative für sinnvoll. Der Ansatz, nur pestizid- und antibiotika-frei wirtschaftende Landwirte staatliche zu fördern, „kann nur unterstützt werden“, erklärt Jochen Goedecke, Referent für Landwirtschaft und Naturschutz. Er ergänzt: „Der Erfolg der Volksinitiativen würde unserem Trinkwasserspeicher Bodensee zugutekommen.“ Goedecke gibt allerdings auch zu Bedenken, dass es für jeweils im anderen Land wirtschaftende Bauern Regelungen geben muss.

Wer ist dafür?
Beide Abstimmungen entstammen privaten Zusammenschlüssen. Sie erhalten politische Unterstützung von linken und grünen Parteien sowie Umwelt- und Tierschutzverbänden. Die Befürworter der Trinkwasser-Initiative betonen vor allem, dass die Steuerausgaben für die Landwirtschaft in keinem Verhältnis zur Umweltbilanz stehe. Zudem stelle die Wasserbelastung schon jetzt eine Gesundheitsgefahr dar. Die Urheber der Pestizid-Initiative wollen darüber hinaus die Schweiz zum internationalen Vorreiter beim alternativen Pflanzenschutz machen.
Und wer ist gegen die Vorschläge?
Klar dagegen spricht sich ein Bündnis von rechtskonservativen und Mitte-Parteien sowie Wirtschafts- und dem größten Bauernverband aus. Sie befürchten eine Verteuerung der Lebensmittel und einen weiter wachsenden Einkaufstourismus. Auch von einer möglichen Abwanderung von Arbeitgebern aus der Lebensmittelindustrie ist die Rede. Bundesrat und Parlament haben sich ebenfalls gegen beide Initiativen ausgesprochen, sie halten die Pläne für zu radikal und verweisen auf bereits ergriffene Maßnahmen.

Wie ist die Stimmung in der Schweiz vor der Abstimmung?
Das Thema sorgt für Zündstoff – schon vor der Abstimmung und von beiden Lagern. Da verbrennen Befürworter Plakate von Gegnern, kommt es zu gegenseitigen Beleidigungen, erhalten die Urheber der Initiativen gar Morddrohungen. Das öffentlich-rechtliche Nachrichtenportal Swissinfo berichtet von 'nie dagewesenen Spannungen'.
Bei beiden Abstimmungen hat sich die Stimmung gewandelt, die Gegner liegen inzwischen knapp vorn. Bei einer ersten Umfragen Anfang Mai im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) tendierten 54 Prozent bei der Trinkwasser-Initiative zu einem Ja, 40 Prozent zu Nein. Bei einer Zweitbefragung Anfang Juni waren nur noch 44 Prozent dafür und 43 Prozent dagegen.
Ähnlich sieht es bei der weiterreichenden Pestizid-Initiative aus. Hier waren Anfang Mai noch 55 Prozent dafür, diese zu verbieten (inzwischen 47 Prozent). 42 Prozent wollten das zunächst nicht, jetzt sind es 51 Prozent Gegner.