Seine Wäsche macht Johannes F. Kretschmann noch immer von Hand. Wenn das Telefon läutet, trocknet er sich erst einmal die Hände. „Ich bin gerade am Hemder waschen mit Gallseife“, berichtet er gutgelaunt und im gewohnt breitem Dialekt. Der vergnügte Single macht diese Arbeit alleine. Er wohnt preisgünstig in einem alten Bauernhaus in Sigmaringen-Laiz, direkt vor dem Kirchbuckel. Auf der anderen Seite des Buckels wohnen seine Eltern Winfried und Gerlinde Kretschmann.

Frische Hemden (schwäbisch: Hemder) benötigt der Sohn des Landesvaters jetzt öfters. JFK, wie er sich gerne in Anlehnung an John F. Kennedy nennt, strebt in den Bundestag. Bisher galt der Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen für die Grünen als verlorenes Land. Seit 1949 fällt der Wahlkreis 295 zuverlässig an die CDU. So war das mindestens bisher. Nun haben sich die Vorzeichen gedreht: Die Landtagswahl im Frühjahr gilt den grünen Strategen als Beleg für Wechselstimmung. Die grüne Kandidatin holte die meisten Stimmen im Kretschmann-Land.

Kretschmann junior meidet Attacken

Sein Sohn Johannes ist äußerst zuversichtlich, dass er in den Bundestag kommt. „Ich habe gute Chancen“, sagt er im Gespräch, während im Hintergrund etwas klappert. Die Delegierten haben ihn auf der Landesliste auf Platz 22 gesetzt. Durch den Wechsel von Danyal Bayaz an die Spitze des Finanzministeriums rückte er auf Platz 21 vor.

Texasknoten statt Krawatte: Johannes Kretschmann will in den Bundestag.
Texasknoten statt Krawatte: Johannes Kretschmann will in den Bundestag. | Bild: Thomas Warnack

Im Gespräch wird deutlich: Der prominente Sohn will auf keinen Fall krawallig werden. Keine Spitzen gegen den Platzhirsch im Wahlkreis 295 – den CDU-Mann Thomas Bareiß. Ließ er an dessen Politik noch vor einem Jahr kein gutes Haar, so äußert sich der 43-Jährige jetzt milde. „Es ist nicht meine Aufgabe, nach Schwachstellen zu suchen“, meint er, und: „Später muss man mit diesen Leuten vielleicht zusammenarbeiten. Da wäre ein zu persönlicher Wahlkampf eher schädlich.“

Manchen Termin schafft er nur mit Chauffeur

Auch der Konkurrent will keine persönlichen Attacken führen. Bareiß verlässt sich auf seinen Wählerstamm, sitzt er doch seit 2005 schon im nationalen Parlament. Er leistet sich einen ziemlich aufwändigen Wahlkampf. Manche Tage in diesem gemächlichen Landstrich sind so eng getaktet, dass er sie nur mit Dienst-Audi und Chauffeur schafft.

An der Eierwaage: Thomas Bareiß.
An der Eierwaage: Thomas Bareiß. | Bild: Fricker, Ulrich

Auch an diesem heißen Mittwoch fährt der 45-Jährige im einem nahezu geräuschlosen E-Audi vor. Nur der Kies knirscht, wenn der schwere Silberfisch auf den Parkplatz des Hühnerhofs Scheck einbiegt. Der Hof liegt außerhalb von Meßkirch. Der Chauffeur aus Bonn dürfte das Gelände nur mit Hilfe des Navi gefunden haben.

Bareiß und der Mittelstand

Familie Scheck freut sich über den veritablen Staatssekretär, der auf sie zueilt. In roten T-Shirts stehen Barbara und Gottfried Scheck vor ihrer Farm, daneben die beiden Söhne Martin und Thomas. Es wird ein Gute-Laune-Termin im Familienbetrieb zwischen Silo und Bodenhaltung.

Hier ist Bareiß in seinem Element. Mittelstand und regionale Wirtschaft. Er nimmt Witterung auf und sagt: „Ich komme auch aus der Wirtschaft und war zehn Jahre lang in der Textilbranche.“ Zuletzt als Controller. Erst dann wechselte der ehemalige JU-Landeschef in den Bundestag.

Sein grüner Konkurrent gerät ins Stocken, wenn es um berufliche Fixierungen geht. Johannes Kretschmann hat lange studiert. Berlin kennt er deshalb gut. Zuletzt war er im seltenen Fach Rumänistik eingeschrieben, studierte also die rumänische Kultur. Heute bezeichnet sich JFK als Sprachwissenschaftler mit Schwerpunkt Dialekt. Eigentlich ist er Lebenskünstler, nur dass man das in keinen Lebenslauf hineinschreiben wird.

Wenn nur Urlaub wäre

Diese Leichtigkeit geht Bareiß ab. Seine Vita ist eng getaktet. Gymnasium, Bundeswehr, Studium, Junge Union. Er spricht schnell und schluckt oft die letzte Silbe der Wörter. Irgendwann entfährt ihm: „Ich freue mich auf den Urlaub“. Eine Woche weg.

Auf dem Hühnerhof lässt er sich nichts anmerken. Er hört Vater Scheck zu, der zwischen Gackern des Federviehs eine überraschende Bilanz zieht. Für seinen Betrieb wirkte Corona wie ein Schub. „Alle wollten regionale Produkte haben“, freut sich der 57-Jährige. Eier und selbstgemachte Nudeln verkauft die Familie in kleinen Hütten, die rund um die Uhr offen sind. Mit roten Kleinbussen fahren die Söhne viele private Haushalte zwischen Alb und Heuberg an. Damit kutschieren sie die Landfreuden direkt ins Haus. „Das läuft sehr gut“, sagt Barbara Scheck.

Thomas Bareiß nickt zufrieden und arbeitet einige Minuten an der summenden Eierwaage mit. Hier findet er einen Unternehmer, der nicht klagt.

Wie begrüßt man einen Hohenzoller?

Zur gleichen Zeit absolviert auch Johannes Kretschmann einen anspruchsvollen Termin. Zusammen mit Parteikollegen, die ihn begleiten, besucht er eine wichtige Persönlichkeit – einen Mann, den jeder kennt oder zu kennen behauptet. Karl-Friedrich Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen hat die Öko-Vorkämpfer eingeladen.

Ein Landkreis, zwei Jahrhunderte: Wahlkämpfer Johannes Kretschmann trifft auf Karl-Friedrich Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen (links).
Ein Landkreis, zwei Jahrhunderte: Wahlkämpfer Johannes Kretschmann trifft auf Karl-Friedrich Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen (links). | Bild: Klaus Harter

Dabei muss Kretschmann keine Eier wiegen wie sein Konkurrent. Vielmehr entdeckt man schnell Gemeinsamkeiten. Es geht um die Waldwirtschaft. „Wir haben ein entspanntes Verhältnis“, sagt Kretschmann über sich und den Aristokraten.

Kretschmann will kein Bürgerschreck sein

Schnell wird deutlich: Der Grüne schlägt gemäßigte Töne an. Auf keinen Fall will er als langhaariger Bürgerschreck dastehen in einem Gäu, das ländlich und konservativ ist. Natürlich spreche er den Hohenzoller mit „Hoheit“ an, sagt Kretschmann ungeniert – als ob es das Normalste in der Welt ist, einen Menschen mit Titeln anzureden, die vor über 100 Jahren abgeschafft worden sind.

Sein Kurs ist klar: Nicht den Jakobiner oder Weltfremden geben, sondern seine Partei als Alternative zu den Dauermandataren der CDU empfehlen. Dass die Hohenzollern den Kandidaten empfangen und dann noch reichhaltig bewirten, spricht Bände. „Mit uns ist zu rechnen“, sagt der Grüne. Zum Ende des Besuchs spielte er auf seinem Horn ein Solo, berichtet er. Der Fürst, eher dem Jazz zuhause, war beeindruckt, berichtet ein Teilnehmer.

Im Alten Schlachthof in Sigmaringen diskutierte der Grüne Bundestagskandidat Johannes Kretschmann (rechts) mit dem Abgeordneten des ...
Im Alten Schlachthof in Sigmaringen diskutierte der Grüne Bundestagskandidat Johannes Kretschmann (rechts) mit dem Abgeordneten des Europäischen Parlaments Reinhard Bütikofer über die Stärkung Europas. | Bild: Isabell Michelberger

Wie war das mit Aserbeidschan, Herr Staatssekretär?

So harmonisch verlaufen die Termine von Thomas Bareiß nicht. Erstens, weil er als Typ spürbar unter Druck steht. Die romantischen Geste seines Konkurrenten Kretschmann mit Baskenmütze und wallendem Haar ist ihm fremd. Wenn Bareiß aus dem Fond des flüsternden Audi steigt, wirkt er wie ein Direktor auf dem Weg zum Aufsichtsrat. Kretschmann erinnert eher an einen botanisierenden Dorfschulmeister. Zwei kernige Typen, jeder auf seine Art.

Thomas Bareiß hat ein Problem und das heißt Aserbeidschan. Ihm wird vorgeworfen, er habe gute, ja: zu gute Beziehungen zu dem asiatischen Land. Fakt ist, dass eine Gruppe von CDU- und CSU-Abgeordneten sich auffallend häufig in der Hauptstadt Baku aufhielt, dort Gespräche führte, um dann voll des Lobes über den autoritär regierten Öl-Staat zurückzukehren.

Prominenz aus dem Rheinland: Wolfgang Bosbach, CDU, unterstützt Thomas Bareiß mit einem Auftritt.
Prominenz aus dem Rheinland: Wolfgang Bosbach, CDU, unterstützt Thomas Bareiß mit einem Auftritt. | Bild: CDU Zollernalbkreis-Sigmaringen

„Das ist eine ärgerliche Sache“, sagt Bareiß

Was ist dran? Dem Staatssekretär Bareiß ist Aserbeidschan inzwischen peinlich. Er will lieber über Balingen reden, nicht über Baku und die Politiker dort. „Das ist eine ärgerliche Sache“, sagt er dem SÜDKURIER kleinlaut nach dem Besuch des Hühnerhofs. Er stärkt sich für den nächsten Auftritt und löffelt einen Eisbecher mit heißen Himbeeren leer.

Ja, sagt er, er war fünf Mal in dem stinkreichen Öl-Staat gewesen. Ein Mal hat ihn die Regierung von Baku eingeladen, „das würde ich nicht mehr machen“. Die anderen Reisen habe Berlin bezahlt. Sie dienten dem deutschen Interesse, denn: „Ich habe mich bei meinen Auslandskontakten immer für die deutsche Wirtschaft eingesetzt und dabei unsere Werte von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit vertreten“, sagt er.

Schecks oder Geschenke habe er nicht empfangen. „Ich habe nie Geld bekommen von Aserbeidschan oder einen anderen persönlichen Vorteil daraus gezogen. Ich lasse mich von niemandem kaufen“, fasst er zusammen. Man sieht ihm an, dass ihn der Komplex schlaucht. Er bestellt noch einen Kaffee, verabschiedet sich und verschwindet im Audi.

Kirchenaustritt? Das war vor 25 Jahren

Da hat es Johannes Kretschmann einfacher. Vor einigen Wochen ärgerte ihn die Schlagzeile, er sei aus der Kirche ausgetreten. „Das stimmt scho‘“, sagt er am Telefon, „aber das isch‘ 25 Jahre her.“ Im Gegensatz zu seinem berühmten Vater vertritt er die Ansicht, dass Staat und Kirche radikal getrennt gehören.

Überhaupt der Landesvater, der überdies sein Leibvater ist: Zu ihm habe er ein entspanntes Verhältnis. Zumal man sich im Bundestag auch nicht in die Quere käme. Dort könne er sich verstärkt um Osteuropa kümmern, Rumänisch kann er bereits.