Verteidiger Gerhard Zahner kämpfte vor Gericht mit viel Überzeugung für das Recht seines Mandanten. Am Ende wurde Michael K., der Feierabend-Räuber von Konstanz, wegen schweren Raubes und schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt – und Zahner hat damit einen Teilerfolg errungen.

Dass der 38-jährige Verurteilte die Überfälle auf vier Supermärkte, einen Imbiss und einen Baumarkt in Konstanz verübte, war schon lange klar. Bereits kurz nach seiner Festnahme im Juni 2020 legte Michael K. ein umfassendes Geständnis ab.

Im Kern ging es im zweiten Prozesstag gar nicht um das Ob, Was, Wie, oder Wann. Die entscheidende Frage war: Warum raubt ein Mann sechs Geschäfte in zwei Monaten aus und wie stark darf sich das Motiv auf das Strafmaß auswirken?

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Fakt ist: Michael K. trinkt Alkohol seit er zwölf Jahre alt ist. Mit 18 setzt er sich den ersten Schuss Heroin. Später kommen Methadon und Kokain dazu. Sein Leben sind die Drogen. So ein Alltag ist kostspielig. 200 Euro gibt der 38-Jährige täglich für Drogen aus. Lange kann er sich das mit Arbeit im Akkord auf deutschen und schweizerischen Baustellen leisten. Doch als ihn die Corona-Krise in die Arbeitslosigkeit treibt, verliert K. die Kontrolle.

Mal schnell zum Dealer im Park und Nachschub holen – das geht plötzlich nicht mehr, das Geld fehlt. Michael K. sitzt auf dem Trockenen. Was also tun? K.s letzter Ausweg führt in die Kriminalität. Supermärkte überfallen, um sich dann die nächste Tablette einzuschmeißen. Zwei Wochen hält er nach dem ersten Überfall auf einen Netto-Markt durch. Dann sind die Drogen aufgebraucht. Der nächste Überfall muss her. Ein Strudel, aus dem es für den Straftäter scheinbar kein Entkommen gibt.

Die Verteidigung argumentiert: Gerade Methadon-Abhängige leiden an schwersten Entzugserscheinungen wie Krämpfe, Panikattacken, Todesangst – sollte der Stoff ausbleiben. Michael K. ist schwerst abhängig. Er nimmt täglich 100 Milligramm Mathadon. Ein normaler Mensch stirbt, wenn er 70 Milligramm schluckt. Und: Michael K. kennt den Entzug. Zwei Mal versuchte er vom Stoff wegzukommen – vergeblich.

Kann die Angst vor einem drohenden plötzlichen, kalten Entzug durch die Pandemie so sehr die Sinne vernebeln, dass der Feierabend-Räuber nicht mehr richtig einordnen kann, dass er mehrere Personen schwer verletzt, nicht mehr weiß, dass er Geschäfte ausraubt, nicht mehr versteht, wie weit er eigentlich geht? In der juristischen Fachsprache würde das verminderte Steuerungs-, verminderte Schuldfähigkeit bedeuten.

„Die Einschränkung der Steuerungsfähigkeit konnten wir nicht ausschließen.“

„Die Einschränkung der Steuerungsfähigkeit konnten wir nicht ausschließen. Aufgrund der Geschichte und den Erfahrungen von K. erscheint die Beschreibung plausibel“, sagt der Richter während der Urteilsbegründung.

Ja, er sieht es als erwiesen an, dass Michael K. zum Tatzeitpunkt genau wusste, was er tat; die Überfälle und die Flucht waren geplant, Michael K. konnte auf ängstliche Kassierer reagieren, die nicht sofort die Kasse öffneten – teils mit Gewalt. Die Steuerungsfähigkeit war also in der Ausführung gegeben.

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Aber nicht in der Einordnung der Tat an sich. Bedeutet: Die Angst vor dem drohenden Entzug wiegt in diesem Moment der tiefsten Verzweiflung höher als die Abschreckung vor der Tat. Auch das gehört – juristisch betrachtet – zur verminderten Steuerungsfähigkeit.

Und das hat Konsequenzen auf den Strafrahmen. Der Richter schickt den 38-Jährigen nicht für 15 Jahre hinter Gitter. Auf Michael K. kommen sieben Jahre und sechs Monate Haft zu.

Er wird nach einem sogenannten Vorwegvollzug über ein Jahr und neun Monate in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Zwei Jahre wird er dort versuchen sein Suchtproblem in den Griff zu bekommen. Sollte K. das Programm meistern, könnte er danach auf Bewährung auf freien Fuß gelangen. Die Verteidigung nahm das Urteil an und verzichtet auf Rechtsmittel. Ob Die Staatsanwaltschaft und Nebenklage anfechten wird, bleibt abzuwarten.