Sechseinhalb Jahre Haft – das ist die Strafe, die die frühere IS-Anhängerin aus Konstanz, Sarah O., für die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Menschenhandel, Freiheitsberaubung und Beihilfe zum Totschlag bekam. So hat das Oberlandesgericht in Düsseldorf entschieden. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, im Fall einer Revision müsste der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden.
Die frühere Konstanzer Gymnasiastin war mit 15 nach Syrien gereist, heiratete einen Kölner Salafisten und brachte drei Kinder zur Welt. Sie betrieb aktive Propaganda für den IS in sozialen Medien und half nach Darstellung des Gerichts Neuankömmlingen vor Ort. Mit ihrem Mann hielt sie fünf jesidische Frauen und zwei Mädchen als Sklavinnen. Mindestens zwei von ihnen wurden demzufolge vergewaltigt, ein Mädchen kam bei einem Transport ums Leben. 2018 floh sie wegen der massiven Gebietsverluste des IS in die Türkei, von wo aus sie an Deutschland ausgeliefert wurde. Im Oktober 2019 begann der Prozess, der sich über 20 Monate hinzog.
Das mögliche Strafmaß für die der heute 23-Jährigen vorgeworfenen Taten liegt bei zehn Jahren nach Jugendstrafrecht, nach Erwachsenenstrafrecht wären bis zu 15 Jahren möglich gewesen. Weil sie zum Großteil der Tatzeitpunkte noch minderjährig war, wurde Jugendstrafrecht angewandt.
Die Forderung der Anklage lag aber deutlich darunter. Der Generalbundesanwalt hatte für Sarah O. eine Jugendstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten beantragt, Sarahs Strafverteidiger hatten dagegen eine zur Bewährung auszusetzende Jugendstrafe von 2 Jahren und einen Teilfreispruch, beziehungsweise eine Jugendstrafe von 4 Jahren beantragt. Sarah O.‘s Anwalt Ali Aydin will bis Mittwoch mit seiner Mandantin entscheiden, ob er Revision beim Bundesgerichtshof einlegen will. Er sagt allerdings: „In 99 Prozent der Fälle wird das Urteil bestätigt.“

Aber wie hart ist das Urteil im Fall von Sarah O.? Dem SÜDKURIER sagt Aydin: „Der Fall Sarah O. war in einigen Punkten und durch die Anwendung des Völkerstrafgesetzbuchs schon etwas Spezielles und ist deshalb schwer mit anderen Verfahren vergleichbar.“ Zudem sei „das sehr junge Alter“ seiner Mandantin eine Besonderheit.
Aydin war und ist als Strafverteidiger in mehreren IS-Verfahren beteiligt, darunter im Fall Yasmin H., die einen Anschlag mit einer Rizin-Bombe plante. Die 44-Jährige wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. In Frankfurt hatte Aydin den IS-Anwerber Malif F. verteidigt, der zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Nach und nach wurde Aydin unter den IS-Rückkehrern als Anwalt bekannt. Angeklagte können einen bestimmten Pflichtverteidiger benennen – so kam der Frankfurter Anwalt im Lauf der Jahre zu immer neuen Mandanten in einem IS-Kontext.
Weitere Urteile gegen IS-Rückkehrer
Ein Blick auf andere Urteile zeigt jedoch: Sarah O. hat unter den Frauen die bislang längste Strafe bekommen. Das erste deutsche Urteil gegen eine IS-Rückkehrerin fiel gegen die heute 34-Jährige Sabine S. im Juli 2019 vor dem dem Oberlandesgericht Stuttgart. Die Frau wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Sie hatte sich 2013 dem IS in Syrien angeschlossen, wo sie bis 2017 lebte. Ähnlich wie Sarah warb sie über Blogs für den IS. Sie soll zudem an der Waffe ausgebildet worden sein. Sie bekam vier Kinder von ihrem Mann, einem IS-Kämpfer, der bei Kämpfen starb.
Im März dieses Jahres wurde Lisa R. vor dem Oberlandesgericht Hamburg zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie war 2014 nach Syrien ausgereist, heiratete mehrmals, bekam drei Kinder und flüchtete erst 2019. 2020 wurde die heute 30-Jährige nach Deutschland abgeschoben. Auch sie betrieb Propaganda für den IS.
Ein weiterer Fall dieser Art läuft vor dem Oberlandesgericht in München. Dort vertritt Aydin Jennifer W. Die heute 30-Jährige war 2014 über Istanbul mit Schleusern nach Syrien gelangt, wurde dort nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft zur Sittenpolizistin des IS ausgebildet. Auch sie heiratete einen IS-Krieger, soll eine fünfjährige Jesidin als Sklavin gehalten haben. Das Mädchen soll verdurstet sein. Nach seinem Tod soll W. nach Niedersachen zurückgekehrt sein, wo sie ein Baby zur Welt brachte. Ihr Prozess begann im April 2019, also noch vor Sarah O.‘s Verhandlung in Düsseldorf. Trotzdem ist der Prozess noch nicht abgeschlossen, ein Urteil könnte in diesem Sommer fallen. Ihr Mann steht in einem separaten Prozess vor Gericht.

Erst im Februar fiel ein weiteres wichtiges Urteil gegen den mutmaßlichen Deutschlandchef des IS, Abu Wallaa. Aydin hatte bei dem Verfahren den Mitangeklagten Hasan C. verteidigt. Der Hassprediger radikalisierte über sein Netzwerk nach Auffassung des Gerichts junge Menschen schickte sie in die damaligen IS-Kampfgebiete. Die Bundesanwaltschaft hatte elfeinhalb Jahre für ihn gefordert, er bekam zehneinhalb. Mehrere Prozesse gegen IS-Anwerber laufen derzeit vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf.
Wie konnte das passieren?
Aydin hält es für wichtig, auch diese Menschen zu verteidigen. Er sagt: „Trotz meiner Erfahrung in zahlreichen Verfahren glaube ich noch an den Rechtsstaat, obwohl es einem mit jedem Verfahren schwieriger gemacht wird.“ Er fordert aber: „Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie es sein kann, dass jemand, der unter uns aufwächst, sich so entwickeln konnte. Niemand wächst in einem Vakuum auf.“