„Lienheim wäre naheliegend“, sagt Friedrich Schäuble. Er muss es wissen. Schäuble betreibt die Tauchschule Hohentengen und kennt die Wasser- und Strömungsverhältnisse am Hochrhein gut. Es geht um die Frage: Wo könnte der Körper der seit dem 19. Februar 2023 verschwundenen Jasmin M. aus Heudorf sein?
Diese Frage stellen sich Herbert und Cornelia Hug aus Stockach, Peter Schöner aus Konstanz, Kirsten Seidel aus Singen und Jana K., die Tante der Vermissten. Sie sind sich – wie auch das Konstanzer Landgericht – sicher, dass Ex-Partner Robert S. die damals 21-Jährige getötet hat. Was den Fall so besonders macht: Bis heute gibt es keinen Leichnam.
Die Polizei hat die Suche vorerst abschlossen, weitere Aktionen gibt es wohl nur bei neuen Hinweisen. Aber damit wollen sich diese fünf nicht zufriedengeben.
Was passierte am Hochrhein?
Die Gruppe sitzt an einem Tisch im Gasthaus „Zum Löwen“ in Hohentengen, das Tauchlehrer Schäuble betreibt. Sie sind gebeugt über eine Faltkarte, die den Rheinverlauf in der Gegend zeigt. Die Ermittlungsbehörden hatten bei ihren Suchaktionen vor allem drei Bereiche im Blick: im Wohnort von Jasmin M., das kleine Heudorf, wurde mit Unterstützung der örtlichen Feuerwehr auch in Güllegruben und den umliegenden Wäldern gesucht.
In Radolfzell wurden Uferbereich und See durchkämmt. Und am Hochrhein, wo die Ex-Partnerin und Noch-Ehefrau von Robert S. ihr Haus hat, suchte die Polizei – Bewegungsdaten zeigen, dass S. am Tag nach Jasmin M.s Verschwinden für einige Stunden hierhergefahren ist. Auf dem Hinweg über die umständlichere Route durch Deutschland.
Es dauerte damals einige Tage, bis die Polizei auf die Spur zum Hochrhein stieß. Wegen des hohen Wasserstands und schlechten Wetters unterbrachen die Beamten mehrmals Suchaktionen. Das nährt die Hoffnung der Gruppe, hier noch Spuren zu finden. Und damit zurück nach Lienheim.
Es fehlt eine Gewichtsdecke
Tauchlehrer Schäuble sagt, in Lienheim sei die Strömung nicht so stark. Das bedeutet: Ein Körper könnte dort gut absinken und in den Felsen am Grund hängenbleiben. „Es gibt hier einen Spruch“, sagt Schäuble: „Spätestens nach drei Tagen kommt man hoch oder nicht.“
Der Körper besteht zu etwa 80 Prozent aus Wasser. Das sei auftriebsneutral, erklärt der Tauchprofi. Da braucht es also nicht viel zusätzliches Gewicht, um einen Leichnam unten zu halten. In den ersten Tag entwickelt der Körper Gase, die ihn nach oben treiben. Hängt er irgendwo fest oder wird beschwert, bleibt er unten. Sind dann alle Gase entwichen, kann er ohnehin nicht mehr auftauchen. Daher kommt der Spruch mit den drei Tagen. Und: Im Haushalt der Vermissten fehlten eine sechs Kilo schwere Gewichtsdecke und Hanteln.
Was treibt die Suchgruppe an?
Der private Suchtrupp hört aufmerksam zu, diskutiert Optionen für die weitere Suche. Die Hugs haben vor ein paar Tagen schon in einem Waldstück bei Küssaberg gesucht, als nächstes wollen sie Taucher für die Suche im Wasser beauftragen. Tauchlehrer Schäuble hat schon seine Hilfe angeboten, ab Mitte September vielleicht, wenn das Wasser nicht mehr so hoch steht. „Dann könnten wir mal mit ein paar Clubmitgliedern suchen“, sagt er.
Aber was treibt diese Leute an, anderthalb Jahre nach Jasmins Verschwinden im Februar 2023?
„Mich hat der Fall nicht mehr losgelassen“, erzählt Cornelia Hug. Bei ihrer Arbeit im Einzelhandel sei damals immer die Zeitung im Pausenraum ausgebreitet worden, wenn es Neuigkeiten von der Suche gab. Die Kolleginnen und Kollegen hätten alle mitgefiebert, mitgelitten. Hug besuchte auch einige Prozesstage der Gerichtsverhandlung, jedenfalls wenn sie freibekam.
Endlich Zeit, zu helfen
Jetzt ist sie in Rente und hat endlich Zeit, bei der Suche zu helfen. Der Fall geht ihr nicht nur nah, er ist es auch: „Von unserem Balkon aus können wir sehen, wo Jasmin gearbeitet hat“, sagt Hug.
Eigentlich wollten sie und ihr Mann mit dem Wohnwagen herkommen und den Wald weiter absuchen. „Das ist aber zu viel und zu steil“, sagt sie. Zumindest für die beiden.
Bald 500 Quadratkilometer erschlossen
Es haben sich aber noch andere angeschlossen. Kirsten Seidel ist eine Freundin von Jasmins Mutter Karen M., sie hat auch früher schon geholfen. Und für Peter Schöner, der als Koch in Konstanz arbeitet, ist es nicht die erste Suche nach einer verschwundenen Frau. Seit etwa vier Jahren hilft er mit einem losen Zusammenschluss anderer Leute bei der Suche nach Scarlett, die von einer Wanderung im Schwarzwald nicht zurückkam.
Ihre Familie lebt in Paderborn, weit weg also. Da braucht es also Hilfe von vor Ort. „Wenn du die Familie kennst, kannst du nicht anders“, sagt Schöner. Die Familie hat 12.000 Euro ausgelobt, aber darum scheint es hier nicht zu gehen. Mit der Zeit entwickelten sich auch Freundschaften, sagt Schöner.
Die Mitglieder der Scarlett-Gruppe speichern ihre Suchrouten in einer Wander-App, einer legt die abgelaufenen Wege dann übereinander, damit immer klar ist, wo schon wie intensiv gesucht worden ist. „Mit unseren Suchaktionen haben wir bald 500 Quadratkilometer erschlossen“, sagt Schöner.
Er nutzt seinen ersten Urlaubstag für die Suche nach Jasmin M. Die App-Methode soll nun auch in ihrem Fall genutzt werden. „Leute fragen uns, warum wir das machen“, erzählt Schöner. Manche sagten: Die ist doch eh tot. „Aber ich muss da helfen. Das ist doch ein Mensch!“
Aufbruch nach Lienheim. Hätte Robert S. hier den Leichnam entsorgen können? Der Zugang zu Wasser ist durch eine Schranke gesperrt, die nur Mitglieder des örtlichen Bootsclubs öffnen können, erklärt der Campingplatz-Betreiber nebenan. Und: „Die Polizei hat hier oft gesucht.“
Die Schranke ist aber nicht weit vom Rhein entfernt. „Von hier aus hätte er sie doch locker zum Wasser tragen können“, sagt Jana K.
Der Mann vom Campingplatz hat noch etwas gesagt, auf das auch Tauchlehrer Schäuble schon hingewiesen hatte: „Das Wasser ist hier acht bis neun Meter tief. Die Älteren im Ort erzählen von einem Strudel, der hier vor der Begradigung des Rheins gewesen sein soll. Heißt: Da unten sind Steine, große Steine. Wenn man da hängen bleibt, taucht man nie wieder auf.“
Für den privaten Suchtrupp ist das aber kein Grund zur Entmutigung. Sie wollen weitermachen. Damit Jasmin M.s Mutter wenigstens Gewissheit hat.