Simon Rentz und Justin Meurer entspannen am Konstanzer Rheinufer. Die Sonne lacht, der Wind ist kühl, die Stimmung gut. Ihre Pause ist gleich um. Aber Berufsschule kann warten. Neben ihnen liegen leere Pizzakartons und ein Smartphone. Sie wippen zur Musik. Es läuft Techno – ohne Bass.
Das Genre gehört zu Simons Leidenschaften. Der 20-Jährige schmeißt gerne Partys in Konstanz und hatte deshalb schon häufig Kontakt mit der Polizei. Meistens den der unangenehmen Sorte.
„Ja, sie machen ihren Job. Aber manchmal unverhältnismäßig hart. Und das gefällt mir nicht“, sagt der Mann mit kurz geschorenen Haaren und dunkler Sonnenbrille. Rentz wirkt nachdenklich, aber sehr reflektiert. Er berichtet von Drogenkontrollen, die er über sich ergehen lassen musste. Wie er sagt: ohne triftigen Grund.
„Das ist nicht in Ordnung. Ich kenne meine Rechte. Es braucht einen konkreten Anlass, um zu kontrollieren. Wer die Polizei darauf hinweist, bekommt noch größere Probleme. Und das darf eigentlich in einer Demokratie nicht sein“, findet er.
Justin Meurer blickt auf den See und nickt zustimmend. „Anstatt den einfachen Bürger auf Drogen zu kontrollieren, sollten sie lieber die Hintermänner finden, die damit reich werden. Das finde ich viel Wichtiger“, sagt der 20-Jährige.
„Junge Männer berichten oft, dass sie von der Polizei gegängelt werden“
Rentz‘ Meinung über die Polizei hört Diana Willems in letzter Zeit häufiger. „Gerade männliche Jugendliche berichten oft, dass sie von der Polizei gegängelt werden“, sagt die Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut in München.

Warum dieser Eindruck entsteht, kann sie nur schwer beurteilen. Die Studienlage ist überschaubar. Willems vermutet, dass die Corona-Krise Mitschuld trägt. Über viele Wochen mussten Jugendliche und junge Erwachsene ihre sozialen Kontakte meiden, durften nur allein auf die Straße.
Dann wurden die Regeln gelockert. Seitdem trifft man sich so oft wie möglich draußen an beliebten Plätzen. Doch gerade dort ist die Wahrscheinlichkeit höher kontrolliert zu werden. Das Dilemma ist vorprogrammiert.
„Das ist schon krass, was da in Stuttgart passiert ist“
Finn Höller breitet gerade sein Handtuch am Hörnle aus. Der 16-Jährige will mit vier Freunden Sonne tanken und baden, als der SÜDKURIER-Reporter nach seinen Erfahrungen mit der Polizei fragt: „Das ist schon krass, was da in Stuttgart passiert ist – das geht gar nicht.“
Er selbst habe noch nie Stress mit der Polizei gehabt und könne auch nur wenig darüber sagen, wie junge Leute ticken. „Ich persönlich finde, dass sie einfach nur ihre Arbeit machen.“
Can Güldiken stimmt seinem Freund zu. „Ich sehe das auch so. Klar gibt es auch bei der Polizei schwarze Schafe. Aber der Großteil bekämpft doch einfach nur Verbrechen“, sagt der 16-Jährige.
Ist das Bild der Polizei negativ verfälscht?
Güldiken hat eine ganz eigene Theorie, warum die Polizei häufig bei jungen Leuten nicht gut ankommt: „Gerade die, die mal mit Alkohol oder Drogen erwischt wurden, erzählen die Geschichten dann aus ihrer Sicht weiter. Mal ganz ehrlich – der sagt doch nicht: ‚Okay, ich war Schuld.‘ Nein. Er berichtet dann, dass die Kontrolle nicht in Ordnung war und so.“ Dadurch entstünde ein verfälschtes Bild. Das prägt. Und es wird weiter getragen, vervielfältigt sich. Wie bei „Stille Post“.

Der SÜDKURIER unterhielt sich mit zahlreichen weiteren Jugendlichen in Konstanz. Sie wollten aber nicht namentlich genannt werden. Bei ihnen gingen die Meinungen zur Polizei auseinander. Positive und negative Stimmen hielten sich die Waage.
Lukas Herrmann entspannt mit zwei Freundinnen in der Sonne. Auch er hat noch keine negativen Erfahrungen mit Sicherheitsbeamten gemacht. Er hat aber einen Freund. Dessen Wurzeln liegen im Iran. „Er selbst war noch nie da. Aber man erkennt es an seiner Hautfarbe. Und der wurde halt schon häufig kontrolliert“, berichtet der 22-Jährige.
Herrmann glaubt nicht, dass diese Häufung etwas mit Rassismus zu tun hat. „Es sind einfach Erfahrungswerte“. Der 22-Jährige vergleicht diese Art von Kontrollen seines Freundes mit Kriminalität in Problemvierteln: „Wenn an einem bestimmten Ort mehr Verbrechen stattfinden, als woanders, dann ist die Wahrscheinlichkeit eben höher, dass genau da wieder etwas passiert. Und es wird dann eben häufiger dort kontrolliert.“ Das Problem: Nicht-weiße Menschen, also sogenannte „People of Colour“, die sich nichts zu Schulde kommen lassen, können nichts dafür, wenn andere Menschen mit Migrationshintergrund Verbrechen begehen. Aber auch sie geraten dann häufiger ins Visier der Polizei. Man nennt es „Racial Profiling“.
Ein Thema, mit dem sich auch die Forschung viel beschäftigt. Diana Willems vom Jugendinstitut findet diese Art der Kontrollen problematisch. Und das wirke sich unweigerlich auf die Meinung der jungen Menschen über den deutschen Sicherheitsapparat aus.
Eine kritische Einstellung zu Autoritäten sei als Jugendlicher zwar völlig normal. Die Gewalttaten in Stuttgart sind aber neu.
„Der zeitliche Zusammenhang zwischen Stuttgart und den Bildern aus den USA ist da.“
Willems glaubt, dass die Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten aus den USA die Stimmung in Deutschland prägen. „Der zeitliche Zusammenhang zwischen Stuttgart und den Bildern aus den USA ist da. Das kann man nicht von der Hand weisen. Das müssen wir jetzt wissenschaftlich prüfen, aber auch als Gesellschaft insgesamt beobachten, genau hinschauen und – wenn nötig – reagieren“, sagt die Diplom-Soziologin.
Was sie meint? Auf Jugendliche zugehen, mit ihnen sprechen. Deeskalation statt Konfrontation. „Die Polizei tut viel. Sie gehen in die Schulen. Machen Präventionsarbeit. Das könnte aber noch zielgruppengenauer und an manchen Orten noch besser ausgebaut werden. Wenn wir mit Jugendlichen über Probleme reden, ist schon viel gewonnen“, sagt Willems.