Wenn Winfried Kretschmann am Wochenende zum Parteitag der Südwest-Grünen ins oberschwäbische Weingarten kommt, wird der 75-Jährige Mühe haben, noch auf langjährige politische Weggefährten zu treffen. Die meisten von Kretschmanns Vertrauten und strategischen Ratgebern haben sich längst von der politischen Bühne verabschiedet oder sich anderen Aufgaben zugewandt.

Mit Wolfgang Kaiser, dem langjährigen Landesschatzmeister aus Bad Dürrheim, tritt nun auch der Letzte aus dieser Riege aus der ersten Reihe ab. Der 74-jährige langjährige Landesschatzmeister, mit Kretschmann vor 44 Jahren einer der Gründungsväter der Südwest-Grünen, kandidiert nicht erneut für das Amt. Nur Kretschmann ist noch da.

Nah an der 20-Prozent-Marke

Auf den Parteitag bringt der einzige grüne Regierungschef Deutschlands aber nicht nur die immer gewichtigere Frage mit, wer ihm spätestens 2026 als Spitzenfigur der Landesgrünen nachfolgen soll. Sondern auch einen eindeutigen Trend, der da lautet: 27, 26, 24, 22 Prozent – die Entwicklung der grünen Umfragewerte der vergangenen zwölf Monate bei der Sonntagsfrage zur Landtagswahl. Und das, obwohl Kretschmann noch im Amt ist.

Im Augenblick läuft alles gegen die Grünen, sagt Wahlforscher Frank Brettschneider.
Im Augenblick läuft alles gegen die Grünen, sagt Wahlforscher Frank Brettschneider. | Bild: Marijan Murat/dpa

Erstmals seit 2016 ist die CDU im September 2023 deutlich davongezogen, während sich die Grünen der 20-Prozent-Marke nähern. „Im Augenblick läuft alles gegen sie“, sagt Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler und Wahlforscher an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Er macht vier entscheidende Faktoren für einen künftigen Erfolg oder Misserfolg der Südwest-Grünen aus: den Zustand der Partei im Bund, im Land, die Person Winfried Kretschmann und den Auftritt des Hauptgegners, der CDU.

„Umfrageergebnisse sind noch lange keine Wahlergebnisse“, sagt Pascal Haggenmüller, neben Lena Schwelling Co-Vorsitzender der Landespartei. Das Duo will zur Wiederwahl antreten, Gegenkandidaten sind nicht in Sicht. Neu gewählt werden Landesvorstand und Parteirat. Diesem käme für die Neuausrichtung der Partei auf die Nach-Kretschmann-Ära eigentlich eine zentrale Rolle zu, doch der Einfluss des Gremiums schwand mit zunehmender Regierungszeit Kretschmanns.

Daher stößt man bei der Frage nach den Köpfen, die die Südwest-Grünen künftig personell und programmatisch prägen sollen, in Partei und Landtagsfraktion auf manch ratlose Miene. Es habe in diese Richtung ja geradezu ein Denkverbot gegeben in den vergangenen Jahren, sagt eine Landtagsabgeordnete. Wer oder was nach Kretschmann kommen sollte, wurde ausgeblendet. Und die Parteiführung sei, verwöhnt durch die vergangenen Jahre, unvorbereitet auf die Entwicklung.

Abwärts Richtung Bundestrend

„Viele Jüngere in der Partei kennen nur Wahlsiege, die Landesergebnisse waren jahrelang abgekoppelt vom Bundestrend. Jetzt geht es aber abwärts in Richtung Bundestrend. Und die Verantwortung dafür, entgegenzuwirken, haben die Landesvorsitzenden“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands.

Dass das aktuelle Führungsduo zu wenig in Erscheinung trete, an der Parteispitze ein strategisches und personelles Vakuum herrsche, lässt Haggenmüller nicht gelten. „Natürlich sehen wir den Abwärtstrend und würden es uns anders wünschen. Deshalb müssen wir jetzt Themen setzen. Wir haben als Partei keinen Konflikt in der Zielsetzung. Aber wir haben ein Umsetzungsproblem“, sagt er. Den Kommunen etwa müsse bei der Bewältigung der Migration dringend geholfen werden, entschieden aber würden diese Fragen nicht auf Landesebene.

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Die Parteispitze habe sich in den vergangenen beiden Jahren intensiv um die Neuorganisation der Parteistrukturen gekümmert, den Fokus komplett auf die Vorbereitung der Kommunalwahlen im kommenden Jahr gelegt. Die Partei soll endlich in der ganzen Fläche des Landes mit Listen vertreten sein.

Doch die K-Frage, die Kandidaten- und Kretschmann-Nachfolgefrage, soll in Weingarten laut Parteitags-Regie keine Rolle spielen. Der interne Fahrplan gilt weiter: Eine personelle Entscheidung muss stehen, bevor Ende 2024/Anfang 2025 die Nominierungen zur Bundestagswahl anstehen. Spätestens dann müsste sich auch der von vielen in der Partei als Wunschkandidat gehandelte Cem Özdemir erklären, ob er erneut für den Bundestag kandidiert – oder ein halbes Jahr später in Baden-Württemberg Spitzenkandidat werden will.

Im Aufwind: Durch den Rückzug von Thomas Strobl (rechts) als Landesvorsitzender der CDU zugunsten von Manuel Hagel (links) will sich sie ...
Im Aufwind: Durch den Rückzug von Thomas Strobl (rechts) als Landesvorsitzender der CDU zugunsten von Manuel Hagel (links) will sich sie Partei neu ausrichten. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Für Politikforscher Brettschneider ist dieser späte Zeitpunkt für die Grünen nicht ohne Risiko, zumal sich jetzt die baden-württembergische CDU ohne öffentlichen Streit personell neu ausgerichtet habe. „Je eher die Grünen Farbe bekennen, desto besser. Es wäre fatal, wenn der Eindruck entsteht, dass Özdemir eigentlich gar nicht will“, sagt Brettschneider.

Ungeachtet dessen hält auch er die Umfragewerte in der Mitte der Legislaturperiode für eine Momentaufnahme. „Bei der Landtagswahl 2026 wird viel vom Ergebnis der vorausgehenden Bundestagswahl abhängen. Es wird in jedem Fall neu gewürfelt im Land. Und sehr spannend werden.“