Die grün-schwarze Koalition hat Vorschläge für eine größere Schulreform vorgelegt. Unter anderem geht es um die Rückkehr zu G9, das Ende des Werkrealschulabschlusses und die Einführung von Verbundrealschulen. Richtige Ansätze? Kann man so sehen, es gibt aber auch Argumente dagegen.

1. Es braucht verständlichere Unterteilungen.

Es ist kein entscheidender Maßstab für die Qualität eines Bildungssystems, wie verständlich es für Unbeteiligte ist, aber bedenklich ist es doch: Würde man eine Handvoll Menschen befragen, die keine Eltern sind, kaum einer könnte wohl noch genau erklären, wie die weiterführenden Schulen im Land aufgebaut sind.

Hauptschule? Irgendwie abgeschafft. Realschule? Welche meinen Sie denn? Werkrealschule? Oder die neu erfundenen Verbundrealschulen? Wie lange geht jetzt eigentlich das Gymnasium? Und was ist mit Gemeinschaftsschulen?

Die Schullandschaft in Baden-Württemberg ist völlig unübersichtlich. Vielfalt erfreut, ja, aber nicht im Bildungssystem. In Sachen Lehrpläne, Lehrkräfte, ja allein schon bei Schulgebäuden gilt ganz klar: Vielfalt macht Arbeit.

2. Selektion ist nichts Schlechtes

Nun soll die Grundschulempfehlung in einer Art wieder zurückkommen, doch das mit ihrer Abschaffung gesendete Signal war verkürzt gesagt: Jeder ist schlau, jeder kann es zum Abi schaffen. Schön wäre es. Aber leider gibt es halt schlaue Menschen und nicht ganz so schlaue Menschen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass es sich schon seltsam anfühlt, das auszusprechen. Aber so ist es nun einmal.

Die scharfe Aufteilung in ein dreigliedriges Schulsystem war deswegen schon immer gut begründbar. Streiten kann man freilich über den Zeitpunkt: In den Pisa-Studie-Siegerländern Singapur, Irland, Südkorea und Japan geht die Grundschule sechs Jahre.

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3. Kein Abi, kein Problem

Die schwerwiegendste Folge des Gymi-für-alle bleibt die Hinrichtung der bis dato absolut gut angesehen Realschule. Die de-Facto-Abschaffung der Hauptschule verstärkte diese Entwicklung erst recht, sodass mit Werkrealschule, Realschule, bald auch noch Verbundrealschule, lauter ähnlich lautende Schulformen zu einem grauen Einheitsbrei verkochen.

Das Gymnasium ist oben, der Rest ist unten, darauf läuft es hinaus. Als klarer Mittelweg eines dreigliedrigen Schulsystems war die Realschule dagegen der Anker des dualen Ausbildungssystems in Deutschland, ein Modell, um das uns die ganze Welt beneidet.

Eine immer stärkere Akademisierung dagegen mag uns eine Annäherung an internationale Quoten bringen, beraubt uns aber unserer größten Stärke in der Nachwuchsförderung. Vielmehr muss wieder klar werden: Es kann auch eine richtig gute Entscheidung sein, kein Abitur zu machen.

4. G8 oder G9, das ist eine völlig überbewertete Frage

Zugegeben eine unpopuläre Aussage, aber sie sei mir als Mitglied des legendären G8/G9-Doppeljahrgangs mit Abi im Jahr 2012 mal gestattet. Es ist nur verwunderlich, wie viel sich um diese Frage dreht. Wie war es denn 2012? Der Prüfungsschnitt des älteren und jüngeren Jahrgangs war nahezu identisch.

Weder waren wir G8er durch Schulstress ausgebrannte Grünschnäbel, noch waren die G9 rotweinartig gereifte Ruhepole, die direkt den Durchblick hatten. Jeder stand am selben Punkt – und zwölf Jahre später kann ich immer noch nicht sehen, dass sich die Lebensläufe der einen oder anderen Generation besser entwickelt hätten.

Unbequeme Wahrheit: Wem der Aufstieg zum Abi in acht Jahren zu steil ist, dem wird auch mit einem Jährchen mehr Zeit die Luft knapp. Und nicht Dauer, sondern Qualität der Lehre ist entscheidend.

Es scheint eine Selbstverständlichkeit in Vergessenheit geraten zu sein: Schule darf nerven, Schule darf auch mal super anstrengend sein. So wie später der Beruf nerven und anstrengen kann. Mein Gott, das ganze verdammte Leben ist manchmal nervig und anstrengend. Je früher man das lernt, desto mehr Spaß macht‘s trotzdem. Auch dafür ist ein Bildungssystem da.