„Ein bisschen ein schlechtes Gewissen habe ich schon, gegen die eigene Hochschule vorzugehen“, gibt Wolfgang Ertel zu. Doch das hat den Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) nicht davon abgehalten, zusammen mit den beiden Klima-Aktivisten Samuel Bosch und Sebastian Wich an der eigenen Hochschule zu demonstrieren. Zu wichtig ist ihm sein Anliegen, welches ihn schon jahrelang beschäftigt.

Professor Wolfang Ertel und der 18-jährige Klima-Aktivist Samuel Bosch bei der Protestaktion.
Professor Wolfang Ertel und der 18-jährige Klima-Aktivist Samuel Bosch bei der Protestaktion. | Bild: Igor Chernov

Die Polizei verhinderte den Bau eines Baumhauses

Eigentlich wollte die dreiköpfige Gruppe sogar ein Baumhaus errichten, die Polizei machte den Aktivisten aber am Dienstag in den frühen Morgenstunden einen Strich durch die Rechnung. Deshalb wurde auf einen Baum geklettert und von dort aus eine Traverse zum K-Gebäude gespannt. Etwa 15 Meter ist das Hochschulgebäude von der Trauerweide entfernt. „Wir haben jetzt hier quasi unser Baumhaus ohne Baumhaus“, sagt der 18-jährige Klima-Aktivist Samuel Bosch. Die Traverse soll so lange besetzt bleiben, bis sich in Ertels Anliegen etwas ändert.

Das könnte Sie auch interessieren

Denn der Professor stellt klar: „Ja, ich bin frustriert.“ Der Professor RWU setzt sich seit rund zehn Jahren dafür ein, dass an der RWU Energie gespart wird. Warum laufen die Hörsaalheizungen durchgehend und werden nicht intelligent gesteuert? Diese Frage stellt sich der Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Hochschule jeden Tag.

Hochschule reagiert entspannt

Dass Ertel an der eigene Hochschule demonstriert, sieht die RWU gelassen: „Hochschulen leben vom Diskurs. Wo, wenn nicht an einer Hochschule, wird um Meinungen, Lösungen und Zukunftsbilder gerungen?“, schreibt Christoph Odenkotte, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit an der RWU, auf SÜDKURIER-Anfrage. Gerade in Zeiten sich zunehmend verselbständigender Meinungsblasen sei das wichtig, auch wenn es manchmal anstrengend sein möge. „Sollten wir nicht froh sein, in einem Land zu leben, in dem einer, um seine Meinung kundzutun, auf einem Baum sitzen darf?“, so Odenkotte.

Geheizt in leeren Hörsälen

Für Ertel hat das Thema spätestens seit der Corona-Pandemie noch einmal an Relevanz zugelegt: Denn Studierende, Professoren und Mitarbeiter sitzen wegen der Auflagen fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden – doch die Heizungen an der Schule würden weiter laufen. „Es werden Steuergelder verschwendet, um durch das Heizen leerer Säle den Klimawandel anzutreiben“, sagt der verärgerte Professor.

Von 2014 bis 2018 war Ertel an der RWU sogar Nachhaltigkeitsbeauftragter – um seine Pläne in Sachen Energie vorantreiben zu können. Passiert sei aber bis heute nichts. „Ich war leider erfolglos“, sagt er. Deshalb habe er vor drei Jahren auch enttäuscht den Job als Nachhaltigkeitsbeauftragten abgegeben.

Professor Wolfgang Ertel kletterte für den Protest nach oben.
Professor Wolfgang Ertel kletterte für den Protest nach oben. | Bild: Igor Chernov

Ertel hat es auf allen Ebenen versucht, bis hin zum Ministerium in Stuttgart. Gescheitert ist sei er mit jedem neuen Ansatz: „Ich habe versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen“, sagt er. Der Professor spricht von einem systematischen Problem. Die Nutzung und Bewirtschaftung seien voneinander getrennt: „Die Nutzer haben also gar kein Interesse daran, Energie zu sparen“, stellt er fest. „Das Land könnte viel Geld sparen und den Umweltschutz voranbringen.“

Hochschule sieht Verbesserungspotenziale – ist dem Land aber auch dankbar

Die Hochschule relativiert dagegen Ertels Vorwürfe, dass das Land Baden-Württemberg, welches die Hochschule unterhält, nichts unternehme. In den vergangenen Jahren sei durchaus in nachhaltige Maßnahmen investiert worden: Energetische Sanierungen, Photovoltaikanlagen auf etlichen Gebäuden – zudem sei die Grünflächenplanung in Arbeit.

Natürlich gebe es Verbesserungspotenziale. Die Hochschule sei darum bemüht, diese umzusetzen. Dennoch sei man dem Land dankbar – sowohl für die Investitionen der vergangenen Jahre als auch für die konstruktiven Gespräche zur weiteren Entwicklung.

Das könnte Sie auch interessieren

100.000 Euro pro Jahr könnten laut Ertel eingespart werden

Ertel sieht das anders. Er spricht von einer äußerst trägen Landesbürokratie. Von etwa 400.000 Euro Energiekosten pro Jahr könnten laut ihm etwa 100.000 Euro und hunderte Tonnen CO2 durch die intelligente Steuerung der Heizungen eingespart werden. Laut der Hochschule kann diese Behauptung nicht bewertet werden. „Diese Rechnung liegt nicht vor“, schreibt Odenkotte.

Besonders ärgert den Professor, dass die technischen Voraussetzungen und die Leute, die das umsetzen könnten, da wären. „Es würde vollautomatisch funktionieren“, sagt er. Die Realität sehe aber anders aus. Immer wieder seien es neue Argumente, die seine Pläne durchkreuzen würden.

Ertel froh über die Unterstützung der Aktivisten

In den 26 Jahren als Professor sei an der RWU in den Hörsälen sowohl in den Weihnachtsferien als auch in den Semesterferien immer bei einer Raumtemperatur von etwa 22 Grad geheizt worden. „Ich bin froh, dass die Klima-Aktivisten mich unterstützen. Die Investitionen für die Heizungssteuerung würden sich nach ein oder zwei Jahren lohnen“, sagt er.