Jo Failer weiß genau, wo er war, als Boris Becker erstmals Wimbledon gewonnen hat. „Sonntag, 7. Juli 1985, 17.26 Uhr. Ich war in unserem Haus in Wilflingen im Dachgeschosszimmer. Da konnte ich in Ruhe schauen und laut mitkommentieren.“

Aber: „Ich habe keine Ahnung, wann meine Eltern gestorben sind. Die Krankheit löscht mein Kurzzeitgedächtnis.“ 2024 erhält er die Diagnose Frühdemenz. „Was andere Menschen mit 80 erleben, erlebe ich jetzt“, sagt er. „Noch merkt man es mir meistens nicht an, auch jetzt könntest du denken: Hey, der Jo, der hat doch nichts.“

Diagnose Frühdemenz: TV-Moderator Jo Failer lebt nur noch „im Hier und Jetzt“

Jo Failer ist 52 Jahre alt, hat zwei Kinder und eine erfolgreiche Karriere hingelegt. Doch seine Firma hat er nun aufgegeben. Er arbeitet noch Vollzeit für eine Agentur und vermittelt Künstler an Altersheime, in dem auch Menschen mit Alzheimer leben – die bittere Ironie dahinter wird schnell klar.

Statt in die letzten Jahre seines Berufslebens zu gehen, könnten dies bereits die letzten Jahre seines Lebens generell sein: „Ich weiß ja nicht, ob ich in zehn Jahren noch lebe. Wahrscheinlich nicht.“

Wer sich länger mit Jo Failer unterhält, merkt: Die Suche nach Worten fällt ihm mit zunehmender Gesprächszeit schwerer, die Pausen zwischen den Sätzen werden länger. „Mein Kopf stolpert, aber ich gehe weiter“, sagt er dazu. Neulich bemerkt er unterwegs, dass er seinen Geldbeutel vergessen hat. Den findet er, wieder daheim, auf der Badewanne liegend. „Ich habe keine Ahnung, wie er dorthin gekommen ist.“

Ein anderes Mal mal öffnet er den Kühlschrank, sein Geldbeutel liegt zwischen Butter, Wurst und Käse. „Solche Momente machen mich fertig, weil sie mir vor Augen führen, dass die Krankheit fortschreitet.“

Und doch wäre Jo Failer nicht Jo Failer, wenn er in seiner Geschichte nicht einen positiven Aspekt finden würde. „Ich spüre in vielen Momenten keinen Druck mehr und lebe nur noch im Hier und Jetzt“, erklärt er. „Das wünsche ich jedem: Einfach ohne irgendeine Last leben. Ich habe jeden Tag einen freien Tag im Kopf. Das sind tolle Alzheimer-Momente.“

Das könnte Sie auch interessieren

Dann amüsieren ihn die Probleme anderer, die darüber streiten, ob sie nun zum Chinesen oder zum Italiener gehen wollen, „denn so etwas ist doch wirklich egal und so unwichtig“.

Sigmaringen, Überlingen, München: Stationen eines ereignisreichen Lebens

Doch der Alltag mit seinen Problemen bricht schneller als erhofft über ihn ein – spätestens, wenn er wieder in seinen eigenen vier Wänden ist. „Ich sage immer: Ich habe keine Alltagsprobleme mehr, aber Probleme im Alltag.“ Wie er das meint? „Seit Tagen sind Herd und Duschkopf kaputt. Aber ich habe keine Ahnung, was ich machen muss. Ich weiß es einfach nicht.“

Bald bekommt er einen gesetzlichen Betreuer, „der mit mir durch den Alltag gehen wird. Briefkasten öffnen, Termine koordinieren oder Bankgeschäfte erledigen, so etwas“. Als die Krankheit kam, ging so mancher Freund. „Nicht jeder hat Verständnis“, sagt der 52-Jährige.

Aufgewachsen ist Jo Failer in Wilflingen bei Sigmaringen. Rund um den Bodensee wird er Ende der 1990er-Jahre bekannt als Moderator des Überlinger Senders See TV. Schnell zeichnet sich ab, dass es den heute 52-Jährigen auf größere Fernsehbühnen zieht.

Jo Failer Ende des vergangenen Jahrtausends als Moderator von See TV, das aus Überlingen über die Region rund um den See berichtete. ...
Jo Failer Ende des vergangenen Jahrtausends als Moderator von See TV, das aus Überlingen über die Region rund um den See berichtete. Über seine Zeit am Bodensee sagt er heute: „Ich stand morgens immer mit frisch gebrühtem Kaffee an der Uferpromenade in Überlingen – ein stiller Moment nur für mich. Das leise Klimpern der Segelmasten und der Blick über das Wasser wurden zu einem Ritual, das sich tief eingebrannt hat. Wie mein persönlicher Soundtrack aus Stille und Wind.“ | Bild: Jo Failer (Archiv)

Er zieht nach München, arbeitet als Sportreporter für die Sat.1-Sendung „Ran“ und macht sich 2004 selbstständig als Produzent für Film und Fernsehen. „Ich drehte mit Heidi Klum oder Robbie Williams, produzierte für das Aktuelle Sportstudio oder RTL Aktuell. Ich war für den DFB, Adidas, Volkswagen oder McDonald‘s auf der Welt unterwegs“, blickt er auf ereignisreiche Jahre zurück. „Beim WM-Finale 2014 in Rio war ich mittendrin.“

Jo Failer mit Robbie Williams.
Jo Failer mit Robbie Williams. | Bild: Jo Failer (Archiv)

Doch schon damals kommt er in Kontakt mit der Krankheit Demenz. Seine Mutter leidet darunter. „Ich kenne die Krankheit sehr gut“, sagt er. „Sie entwickelt sich in Schüben, kontinuierlich lassen Dinge nach. Irgendwann kann man nicht mehr gehen. Irgendwann kann man nicht mehr essen. Das Perverse: Das erholt sich nicht mehr.“

Besonders ein Moment in der Zukunft zerbricht ihm bereits heute das Herz: „Das ist, wenn ich meine Kinder nicht mehr erkenne. Diese Vorstellung bereitet mir riesige Angst – wegen meiner Kinder, nicht wegen mir. Als Kind fühlt sich das unbeschreiblich schlimm und falsch an. Ich kenne das von meiner Geschichte mit meiner Mutter. Und meine Kinder sind erst vier und sechs Jahre alt.“

So viel Zeit wie möglich verbringt er mit seinem Nachwuchs. „Ich bin so gerne Papa, auch wenn ich die Kinder nur an den Wochenenden sehe.“ Ehemann ist er nicht mehr, nach der Diagnose trennt sich seine Frau von ihm.

„Niemand muss sich verstecken“: Jo Failer möchte anderen Demenz-Kranken helfen

Vor allem an den Tagen, wo er sich mit Leidensgenossen der Demenzgruppe zum Austausch trifft, wird ihm klar, dass er auf sich selbst gestellt ist: „Die Partner der anderen warten im Nebenzimmer. Die nehmen sich dann am Ende in die Arme. Ich gehe alleine nach Haus.“ Doch er tut dies trotzdem mit einem Lächeln, „denn die Treffen mit Menschen, die das gleiche Schicksal haben, sind sehr inspirierend und sehr befreiend“.

Das könnte Sie auch interessieren

2021 ereilt Jo Failer eine schwere Depression. Schon damals hat er eine Vorahnung, dass dies die Vorboten einer sich anschleichenden Demenz sein könnten. „Ich hatte fortan ein Leben zwischen den Extremen und ich hatte immer mehr damit zu tun, wie ich im Leben zurechtkomme“, erzählt der 52-Jährige. „Damals schon lebte ich mich von meiner Frau auseinander. Ich war kein fürsorglicher Ehemann mehr.“ Im Frühjahr 2024 die Diagnose Frühdemenz.

Den schleichenden Prozess der Krankheit spürt Jo Failer. „Energie und Kraft sind nach zwei, drei Stunden Arbeit weg“, berichtet er. „Manche Dinge packe ich einfach nicht mehr.“ Er begleitet den Fortschritt in den sozialen Medien, er schreibt ein Buch, erzählt seine Geschichte im Sat1-Frühstücksfernsehen, zahlreiche Tageszeitungen übernehmen sie. „Ich möchte anderen damit helfen“, sagt Jo Failer, „niemand muss sich verstecken, nur weil er an Demenz leidet.“