Selbst Zäune waren für die intelligenten Raubtiere offenbar kein Hindernis: In der Gemeinde Bernau (Kreis Waldshut) haben Wölfe zwei Rinder gerissen. Der Vorfall ereignete sich schon Mitte November, damals waren der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg zwei verendete Rinder gemeldet worden. Das mit der Spurenauswertung beauftragte Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik stellte nun klar: Wölfe sind für die Todesfälle verantwortlich.
Experten des Umweltministeriums vermuten, dass es sich bei den Angreifern um das in der Region ansässige Wolfsrudel handelt. Genauer werden die Risse dem schon bekannten Wolfsrüden GW1129m und der Fähe – so nennt man weibliche Wölfe – GW2407f oder dem Welpen GW3699m zugeordnet. Genaueres sollen weitere Proben ergeben.
Kleiner Rückblick: Im Juni 2023 zeichnete eine Wildkamera das Bild jener Fähe auf. Auf diesem waren klar die Milchdrüsen des Tieres erkennbar, für Experten damals schon ein Beleg für Nachwuchs. Wenige Wochen später dann der Beweis: Bilder einer anderen Fotofalle beim Schluchsee zeigten einen Welpen.
Wenige Monate später ist es nicht auszuschließen, dass dieser Welpe nun gemeinsam mit seinen Eltern auf die Jagd nach Nahrung geht. Das bestätigt auch eine Sprecherin des Umweltministeriums: „Wir gehen davon aus, dass das Jungtier aktuell mit den Eltern unterwegs ist.“ Weitere Welpen sind nicht bekannt.
Landwirte stehen vor Herausforderungen
Schon als das Bild der Fähe im Juni auftauchte, warnte Biologe und Wolfsexperte Rainer Luick: „Der Wolf wird jetzt mehr jagen.“ Das Risiko für Angriffe auf Nutztiere im Umkreis des Schluchsees werde somit tendenziell steigen. Bernau liegt weniger als zehn Kilometer Luftlinie vom Schluchsee entfernt.
Umso wichtiger sei es laut Luick, dass Nutztierhalter ihre Sicherheitsvorkehrungen weiter optimieren. Genau dabei stießen sie laut Luick aber an Grenzen, insbesondere im Schwarzwald: „In den gebirgigen Regionen kann man keinen absolut wolfsicheren Zaun bauen“, sagt der Experte. Die Viehweiden seien geprägt von Waldstücken und Gräben, der Untergrund sei oft uneben.
„Da kann ein Wolf auch mal mit Anlauf drüberspringen“, sagt Luick. Den Landwirten könne man deshalb keinen Vorwurf machen. „Man kann eben keine Gehege wie in Zoos bauen.“
Trotzdem appelliert der Biologe erneut an die Landwirte in der Region, ihre Zäune genau zu überprüfen: „Ich würde genau schauen, dass die Zäune in Ordnung sind“, sagt er, „und dass genügend Strom drauf ist. Mehr würde ich aber nicht verlangen.“
Nicht der erste Nutztierriss in der Region
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in der Region. Im Frühjahr riss der Wolf etwa das Hochland-Rind Sabine, das auf einer Weide nahe des Schluchsees stand.
Den heftigsten Zwischenfall gab es am 30. April 2018, als der Rüde GW852m in der Nähe von Bad Wildbad im Schwarzwald über eine Herde von etwa 150 Schafen hergefallen war. 44 Tiere starben bei dem Abgriff – 32 davon hat der Wolf gerissen, die restlichen waren zu Tode gestürzt oder in der Nagold ertrunken.

Wölfe könnten getötet werden
Sollte es sich bei den Tätern der bei Bernau gerissenen Rinder um das verdächtige Wolfsrudel handeln, könnte das für die Tiere schwerwiegende Konsequenzen haben. Zumindest dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Sollten dieselben Wölfe „im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang“ etwa erneut zuschlagen und dabei wiederholt „einen an sich wolfsabweisenden Herdenschutz“ überwinden, könnten sie zum Abschuss freigegeben werden, heißt es vom Umweltministerium Baden-Württemberg. Auf Nachfrage kann eine Sprecherin jedoch nicht genau eingrenzen, wie viele Wochen oder Monate für den zeitlichen Zusammenhang maximal zwischen Angriffen liegen dürfen, auch die genaue räumliche Eingrenzung bleibt offen.
Im sächsischen Bautzen etwa ordnete das Landratsamt jüngst den Abschuss mehrerer Wölfe an. Die Voraussetzungen dafür seien erfüllt, da die Tiere zumutbare Schutzmaßnahmen zweimal innerhalb von zwei Wochen überwunden und Weidetiere gerissen hatten.
Das ist allerdings eine artenschutzrechtlichen Ausnahme. Denn eigentlich sind Wölfe in Deutschland streng geschützt – es ist verboten, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten. Erst wenn ein Wolf zu einem schadenstiftenden Wolf erklärt wird, darf er getötet werden.
Dem pflichtet mit Blick auf den Schwarzwald auch Biologe Rainer Luick bei. „Wölfe sind unglaublich gelehrig. Sie haben Zäune überwunden, die man eigentlich als ausreichend ansieht“, sagt er. „Bei aller Sympathie für den Wolf – da muss man eingreifen.“
Wie hat sich der Wolf ausgebreitet?
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts galt der Wolf in Deutschland als ausgerottet. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten breitet er sich jedoch nach und nach wieder in den Wäldern der Bundesrepublik aus. Das erste Rudel kam 2000 über die Grenze von Polen nach Sachsen in die Lausitz. Danach breiteten sich die Tiere rasant aus. 2010 galten schon sieben Rudel, mehrere Paare sowie Einzeltiere in Deutschland als ansässig. In Baden-Württemberg ließ sich 2018 der erste Rüde nieder.
Genaue Zahlen gibt es nicht
Wie viele Tiere heute in der Region umherstreifen, sei schwer zu erfassen, wie Micha Herdtfelder von FVA schon im Sommer sagte. Denn um sie eindeutig zu identifizieren, bräuchte man ihre DNA – oder zumindest Aufzeichnungen einer Wildkamera.
Ähnliches gelte für die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Wölfe. Diese kann laut einer Sprecherin des Umweltministeriums nicht seriös angegeben werden. Die Beobachtung der Tiere sei nicht auf einzelne Wölfe, sondern „auf den Nachweis von Rudeln, Paaren und territorialen Einzeltieren ausgerichtet“. Datensätze aus dem Jahr 2022/2023 zählten bundesweit 184 Rudel, 47 Paare und 22 Einzeltiere.