„Das könnte jetzt ein Ameisenhaufen sein“, sagt Daniel Slangen. Der 34-Jährige steht vor einer hohen Wiese, irgendwo zwischen Buggensegel und Grasbeuren. Es ist heiß, und das Gras reicht ihm beinah bis zur Hüfte. Konzentriert schaut Slangen auf den Monitor seiner Drohne. Darauf zu sehen ist das ein Wärmebild des Feldes. Zwischen die dunkelgrau gefärbten Flächen mischen sich zahlreiche helle Flecken.
Helle Flecken wie etwa der Ameisenhaufen, den der Jäger unter dem dichten Gras vermutet. Nach Insekten sucht Slangen jedoch nicht. Der 34-Jährige hält Ausschau nach Rehkitzen, die sich in solchen Feldern vor Fressfeinden verstecken. Schnell können die vermeintlich sicheren Verstecke jedoch zur tödlichen Falle werden.
Versteck und tödliche Falle für Rehkitze
Denn Landwirte können sie auf ihren Mähwerken kaum sehen, erklärt Slangen. Hinzu komme, dass die Jungtiere anfangs noch keinen Fluchtreflex haben. Nähern sich also Landmaschinen, ducken sie sich nach unten weg und verharren in ihrer Position. Deutschlandweit sterben auf diese Weise schätzungsweise rund 100.000 Kitze pro Jahr. Genau das will der Jäger verhindern, indem er sie mit einer Drohne aufspürt.

Es ist bereits das fünfte Jahr, in dem Slangen zwischen April und Juli auf den Feldern um Immenstaad, Illmensee, über Pfullendorf bis Sipplingen unterwegs ist. Er ist einer von neun Piloten des Vereins Badische Jäger Überlingen, die sich ehrenamtlich für die Kitzrettung einsetzen.
Neue Technik rettet Leben
Auch vor Ort ist Jagdpächter Günther Bäder. In seinem Revier kümmert er sich um die Terminabsprache zwischen Drohnenpiloten und Landwirten, wenn diese ihre Felder mähen wollen. „Bis vor Kurzem war das alles noch sehr altmodisch“, erinnert sich Bäder.
Bevor Drohnen eingesetzt wurden, habe man versucht, die Kitze mit Scheuchen – also Pfählen und weißen Säcken – aus dem Feld zu verjagen. „Das wirkt bedrohlich auf die Geiß“, so der 56-Jährige. Das Problem: „Die Drohgebärde wirkt nur einen Tag, dann ignorieren sie das.“

„Deshalb ist die Drohne eine top Sache“, sagt Günther Bäder. Sie sei deutlich effektiver und erspare etlichen Kitzen einen qualvollen Tod. In diesem Jahr konnte das Team der Badischen Jäger auf diese Weise schon 189 Rehkitze retten. Um die mehrere Tausend Euro teuren Fluggeräte zu finanzieren, ist der Verein auf Spenden angewiesen.
Landwirte und Jäger arbeiten eng zusammen
Will ein Landwirt eine Wiese mähen, sollte er dies mit mehreren Tagen Vorlaufzeit entweder beim Jagdpächter oder direkt auf dem Anmeldeportal der Kitzrettung auf der Internetseite der Badischen Jäger Überlingen anmelden. „Den meisten Landwirten ist es ein riesiges Anliegen, die Rehkitze zu retten“, sagt Daniel Slangen. Alle Beteiligten treffen sich dann vor Ort und ein Drohnenpilot überfliegt die zu mähenden Flächen.
Entdecken sie ein Kitz, so tragen sie es in Holzkisten aus dem Feld und stellen sie an einem schattigen Ort ab. „Ganz wichtig ist es, dabei immer Handschuhe zu tragen und die Kitze weg vom Körper zu halten“, betont Slangen. „Zusätzlich nehmen wir auch immer ein Büschel Gras, um die Tiere anzufassen.“ Sonst könne es passieren, dass die Geißen ihre Kitze wegen des Geruchs nicht mehr annehmen. Sobald die Wiese gemäht ist, werden die Kleinen in der Nähe des Fundortes wieder ausgesetzt.
Bei ihren Einsätzen finden die Jäger übrigens nicht nur Rehkitze, merkt Daniel Slangen an. Auch Junghasen, Igel oder Nester von Bodenbrütern erscheinen hin und wieder auf den Monitoren ihrer Drohnen – und werden ebenfalls in Sicherheit gebracht.
Spaziergänger sollten nicht eingreifen
„Leider kommt es immer wieder vor, dass Spaziergänger die Kisten mit den Kitzen finden“, berichtet der Jäger weiter und appelliert an die Finder: „Sie dürfen auf keinen Fall freigelassen werden.“ Zu groß sei die Gefahr, dass sie zurück zu ihrem Versteck laufen und unter den Mähdrescher geraten.
Günther Bäder fügt an: „Wenn Menschen ein verletztes Rehkitz oder ein anderes Wildtier finden, dieses bitte auf keinen Fall anfassen oder mitnehmen.“ Am besten sei es in diesem Fall, die Polizei zu rufen. Diese verständige dann den zuständigen Jagdpächter. Wer eigenmächtig handelt, mache sich zudem der Wilderei schuldig.
Zeitaufwand für das Team ist riesig
Wäre da nicht das Treffen mit dem SÜDKURIER, würde Daniel Slangen wohl nicht am frühen Nachmittag über das Feld fliegen. Denn ob er auf der Wärmebildkamera einen Wildkörper erkennen kann, sei abhängig von der Außentemperatur, erklärt der 34-Jährige. Diese müsse unter der Körpertemperatur der Rehkitze liegen.

Im Frühling sei es tagsüber meist noch kühl genug, sodass er die Tiere an den hellen Stellen auf dem Monitor erkennen kann. „Im Juli leuchtet dann aber alles“, sagt Slangen. Kleine Erdhügel zum Beispiel, Blätter oder eben Ameisenhaufen.
Für die ehrenamtlichen Drohnenpiloten der Badischen Jäger bedeutet das wiederum ungemütliche Einsatzzeiten: Spät abends, früh morgens, nachts. Wie leisten die Kitzretter das? „Man braucht einen sehr flexiblen Arbeitgeber“, sagt Daniel Slangen, der selbst als Ingenieur arbeitet. Nur so sei es möglich, Urlaub und Gleitzeit für die Rettungseinsätze zu nutzen.
„Und man braucht eine sehr flexible Familie“, fügt der 34-Jährige an. Von April bis Ende Juni sei er eigentlich permanent im Einsatz. Das Privatleben stelle er in dieser Zeit zurück. Ändern würde der Jäger daran dennoch nichts. „Es ist ein tolles Gefühl, Kitze gerettet zu haben“, findet Slangen. „Für mich ist das gelebter Naturschutz und Tierschutz.“